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Abwechslungsreiches rund um die "Goldene Muschel"

Offensichtlich hat das Internationale Filmfestival San Sebastián die Kürzung staatlicher Förderungen gut überstanden. 2013 bot es jede Menge Abwechslung und präsentierte mit Dokumentarfilmen über Extremsport und der Retrospektive "Animatoria" zusätzliche Höhepunkte.

Von Wolfgang Martin Hamdorf |
    Mit "Quai d'Orsay" brachte Bertrand Tavernier eine dynamische Politkomödie in den Wettbewerb. Der Film ist eine Parodie auf den ehemaligen Außen- und Premierminister Dominique de Villepin. Der satirische Biss des Films, sein rasanter Rhythmus schlagen aber auch die Zuschauer in Bann, die keine Experten für französische Außenpolitik sind. Das Porträt des redseligen und dynamischen Ministers ist eine sehr universelle Parodie auf Politik und Bürokratie in der modernen Demokratie.

    Bertrand Tavernier gilt als einer der Favoriten für die heutige Preisverleihungl. 13 Filme standen in San Sebastián im Wettbewerb um die "Concha de Oro" - die Goldene Muschel, drei davon aus Spanien, zwei aus Lateinamerika, zwei aus Frankreich. Ein deutscher Beitrag war nicht dabei und auch keiner aus den sonst so starken Filmländern Asiens.

    Haben in Bertrand Taverniers französischem Außenministerium ganz eindeutig die Männer das Sagen, standen in vielen anderen Wettbewerbsfilmen starke Frauenfiguren im Vordergrund. So etwa in dem bosnischen Beitrag "For those who can tell no tales – Für jene, die keine Geschichten erzählen können". In ihrem dritten Spielfilm lässt Regisseurin Jasmila Zbanic ihre Protagonistin hinter der scheinbar heilen Fassade einer Kleinstadt im serbischen Teil Bosniens nach verdrängten Kriegsverbrechen suchen. Schon bald merkt die australische Touristin, dass sie nicht mehr willkommen ist.

    200 Frauen wurden während des Krieges in der kleinen Stadt Visegrad vergewaltigt und getötet. Jasmila Zbanic zeigt die Annäherung an die Kriegsverbrechen über eine Auswärtige, eine Touristin. Der Film rekonstruiert keine Vergangenheit, sondern beschreibt subtil eine Gegenwart, die vom Gesetz des Schweigens beherrscht wird, und eine Gesellschaft, die immer noch durch ethnische und religiöse Konflikte zerrissen ist.

    Auch die venezuelischen Regisseurin Mariana Rondón beschreibt in ihrem dritten Spielfilm "Pelo malo" ("Schlechtes Haar") gesellschaftliche Spannungen, neue und tradierte Rollenbilder über eine einfache Familiengeschichte, einer jungen alleinerziehenden Mutter eines achtjährigen Sohnes in einer Plattenbausiedlung in Caracas.

    Dabei geht es auch um neue und tradierte Rollenbilder. Der Sohn hätte gerne lange glatte Haare statt seiner krausen Locken, die Mutter würde sie ihm am liebsten militärisch kurz schneiden.

    Die Präsenz des lateinamerikanischen Films hat in den letzten Jahren auf allen großen internationalen Festivals zugenommen. In San Sebastián ist der Subkontinent schon seit Jahren ein wichtiger Schwerpunkt, lateinamerikanische Regisseure sind in der Nachwuchsfilmreihe stark vertreten und neben der Lateinamerika-Reihe "Horizontes Latinos", finden Koproduktionsforen statt, bei der Projekte im Planungsstadium und fast fertiggestellte Filme vorgestellt werden.

    Überraschend war dieses Jahr auch die Qualität und die Vielfalt der spanischen Filme im Zeichen der Krise: vom Debütfilm über eine psychisch kranke Frau, über ein anrührendes Roadmovie um einen Beatles besessenen Englischlehrer zur Francozeit, bis zu einem stark stilisierten Film über einen Frauen mordenden Schneider in der spanischen Provinz. Besonderen Zulauf hatte auch die baskische Filmreihe "Cinemira", bei der dieses Jahr die Dokumentarfilme dominierten. Eine Retrospektive war dem im Januar verstorbenen japanischen Regisseur Nagisa Oshima gewidmet. Trotz sommerlicher Temperaturen waren die Kinos überfüllt. In 13 Sektionen wurden insgesamt 246 Filme gezeigt.

    Ganz offensichtlich hat das Festival die Kürzung staatlicher Förderungen gut überstanden und präsentierte dieses Jahr sogar zusätzliche Reihen: Dokumentarfilme zum Extremsport und die Retrospektive "Animatoria" über neue Wege des Animationsfilms.