Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Abwehrmoleküle gegen Krankheitserreger

Im 19. und frühen 20. Jahrhundert setzte sich eine neue Erkenntnis durch: Viele Krankheiten werden nicht von schlechter Luft verursacht oder durch krank machende Ausdünstungen – sondern von winzigen Einzellern, von Bakterien. Auch der Belgier Jules Bordet gehört zu den ganz Großen des Fachs. Ohne ihn wäre die Diagnose vieler Infektionskrankheiten lange Zeit unmöglich gewesen. Am 6. April 1961 verstarb er.

Von Martin Winkelheide | 06.04.2011
    "Es ist eine große Ehre für mich, ausgewählt worden zu sein, hier im Namen der Ausländer zu sprechen. Es ist eine Ehre für mich als Schüler der Pasteurschen Schule und als Belgier."
    November 1946 an der Pariser Sorbonne. Zum 50. Todestag Louis Pasteurs spricht der belgische Forscher Jules Bordet, selbst ein Pionier der Bakteriologie und Nobelpreisträger. Bordet hatte Pasteur noch kennengelernt:

    "In diesem Moment empfinde ich ein tiefes Gefühl, das Sie verstehen und mir vergeben werden. Vor mir scheint eine ferne Vergangenheit auf. Unter den Gestalten, die sich abzeichnen, sind viele berühmte Wissenschaftler und viele, die längst verschieden sind. Sie waren meine Meister am Institut Pasteur. Oder sie waren für mich geliebte Freunde, immer noch betrauert."

    Jules Jean Baptiste Bordet wurde am 13. Juni 1870 in Soignies geboren, der Vater war Lehrer. 1874 zog die Familie nach Brüssel. Mit 16 Jahren begann Jules ein Medizinstudium an der Freien Universität Brüssel. Erste Veröffentlichungen brachten ihm ein Stipendium ein - von 1894 bis 1900 am Pariser Institut Pasteur. Zurück in Brüssel gründete er ein eigenes Institut – das belgische "Institut Pasteur", das er bis zu seiner Pensionierung leitete. Sein Sohn Paul wurde sein Nachfolger.
    Bekannt wurde Jules Bordet, als er 1906 den Erreger des Keuchhustens entdeckte.

    "Beim Erwachsenen erkennt man ihn häufig gar nicht als Keuchhusten. Aber bei Kleinkindern kann er zu schweren Erstickungsanfällen führen",

    Klaus-Peter Schaal, ehemaliger Direktor des Instituts für medizinische Mikrobiologie und Immunologie der Universität Bonn.
    Wer nachweisen will, dass ein bestimmtes Bakterium tatsächlich eine Krankheit verursacht, der muss zunächst einmal den Erreger isolieren und in der Petrischale vermehren. Mit Keuchhusten-Bakterien gelang dies zunächst nicht. Jules Bordet und sein Mitarbeiter Octave Gengou setzen den klassischen Nährböden für Bakterien verschiedenste Ingredienzien zu – unter anderem auch Kartoffel-Extrakt. Und plötzlich vermehrten sich die Bakterien.

    Klaus-Peter Schaal: "Man konnte damit gezielt die Krankheit diagnostizieren, obwohl es eine Reihe von Jahren gedauert hat, bis sozusagen international in der Fachwelt anerkannt war, dass das der Erreger ist."

    Und dann wurde der Erreger des Keuchhustens auch offiziell nach seinem Entdecker benannt: "Bordetella pertussis".
    Für die Wissenschaft bedeutender noch waren Bordets Forschungen zum Immunsystem des Menschen. Im Verlauf einer Infektion bildet der Körper Abwehrmoleküle gegen Krankheitserreger. Docken diese Antikörper an einen Erreger an, so entdeckte Bordet, wird eine komplizierte Reaktion in Gang gesetzt – die sogenannte Komplement-Bindungs-Reaktion. Bei dieser Reaktion entsteht ein Molekül-Komplex mit besonderen Eigenschaften.
    Klaus-Peter Schaal: "Dieser Komplex, sage ich salopp, bohrt ein Loch in die Zellwand und löst damit die Bakterien auf und ist damit ein hoch effizientes Bekämpfungssystem für bakterielle Infektionskrankheiten."

    Der Komplex lockt zudem Zellen des Immunsystems an, insbesondere die Fresszellen. Diese räumen dann die Krankheitserreger ab.
    Die Entdeckung der Komplement-Bindungsreaktion, die Jules Bordet 1920 den Nobelpreis für Medizin einbrachte, war Grundlage für Labortests zur Diagnose von Infektionen – vor allem der Syphilis, später auch von Virus-Erkrankungen.

    Klaus-Peter Schaal: "Bis vor 20 Jahren war das aber noch Alltag, da standen in jedem serologischen Labor Tausende von Röhrchen, die dann kurz inkubiert wurden und die man dann ablas."

    Auch nach seiner Pensionierung 1940 forschte Bordet weiter, trotz zunehmender Sehschwäche. Am 6. April 1961 starb er in Brüssel. Jules Bordet wurde 90 Jahre.

    Klaus-Peter Schaal: "Das zeigt übrigens, dass damals schon ohne Gesetze, Infektionsschutzgesetz und Biostoffverordnung, Mikrobiologen lange leben konnten. Also man war nicht gefährdet, wenn man richtig mit den Erregern umgehen konnte."