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Abzug der amerikanischen Truppen aus Deutschland

Zum Abzug der amerikanischen Truppen aus Deutschland, den Präsident Bush in der letzten Woche bekannt gab, bemerkt Petra Steinberger in der Süddeutschen Zeitung: "Das mit dem amerikanischen Militär in Deutschland ist so eine Sache. Alles Militärische, haben zwei Generationen von Deutschen nach zwei verschuldeten Weltkriegen gelernt, ist in bestem Fall ein notwendiges Übel. Über das Militär, das eigene wie das fremde, sprach man deshalb wie über eine verwirrte Großtante, deren Existenz man verschwieg, weil man nicht darüber reden wollte, warum sie so war, wie sie war, und dass sie zur Familie gehörte, als ewiger Makel."

Von Jochen Thies |
    Frau Steinberger weiter: "Jetzt sollen 70 000 amerikanische Soldaten aus Deutschland abgezogen werden, und die Deutschen wissen nicht, ob das gut ist oder nicht oder eher peinlich."

    Petra Steinberger erinnert an die zurückliegenden sechs Jahrzehnte, in denen über 12 Millionen Amerikaner, Soldaten und ihre Familienangehörigen, in Deutschland lebten: "Man hat die amerikanischen Kasernen meist gut versteckt, in kleinen Wäldchen und wenig noblen Stadtvierteln lebten die Amerikaner wie auf kleinen Inseln. Einst waren diese wie ein Paradies für die Deutschen, die hinein durften, Inseln auf denen es alles vorstellbares gab und noch mehr...Mit den Jahren aber, als draußen der Reichtum zunahm, schien das Leben auf den Inseln immer ärmlicher zu werden. Aber vielleicht war es einfach nur so, dass Amerika selbst für die Deutschen so vertraut und erreichbar geworden war, dass der Mythos hinter den Zäunen von seinem Glanz verloren hatte. Man war aneinander gewöhnt und ignorierte sich, wie ein altes Ehepaar."

    Petra Steinberger beschließt ihre Gedanken mit einem Sprung in die Gegenwart und schreibt: "Dann zogen die in Deutschland stationierten US-Soldaten in den Irakkrieg. Sie freuten sich fast immer, wenn sie dort Deutsche trafen. Manchmal erzählten sie in unsicherem Deutsch, dass sie ihre Freundin oder Verlobte vermissten und ob man schon mal da gewesen sei im hübschen Friedberg oder Hanau, da wohnten sie nämlich. Wieder war es etwas peinlich. Und wieder wurde im Kopf säuberlich getrennt. Doch 111 der bald 1000 Soldaten, die im Irak bisher ums Leben kamen, waren in Deutschland stationiert."

    Zur neuen Protestbewegung gegen Hartz IV schreibt Wolfgang Templin in der Frankfurter Rundschau: "Hartz IV eröffnet eine soziale Ausgrenzungsdynamik, in der die Tür zum Fahrstuhl, der nach unten führt, sich immer häufiger und unversehens öffnen wird. Mit den schnell anwachsenden Protesten, der ungewohnt übergreifenden Ost-West-Verteilung und dem sozialen Spektrum der Demonstranten konfrontiert, haben die berufsmäßigen Interpreten zwei Szenarien bereit."

    Der ehemalige Bürgerrechtler Templin weiter: "Nach der ersten Wahrnehmung kann es nur um ein populistisch aufgeheiztes Strohfeuer gehen, dem schon die ersten Nachbesserungsmanöver der Koalition die Nahrung entziehen werden...In einer anderen Wahrnehmung hat sich das Schicksal des Kanzlers und der rot-grünen Koalition längst negativ entschieden. Mit der Agenda 2010 und den Arbeitsmarktreformen sei eine derart bittere Medizin verbunden, dass jedem, der sie austeile, die Abwahl gewiss sei."

    Templin belässt es nicht bei dieser Analyse, sondern fügt seine eigene Auffassung hinzu: "Eine dritte Entwicklung scheint für nahezu alle Politiker und den größten Teil der Medien völlig undenkbar zu sein. Die Möglichkeit nämlich, dass die Demonstranten nicht nur auf die entscheidende Herausforderung für den sozialen Frieden in Deutschland reagieren, sondern auch die Beharrungskraft und Disziplin haben könnten, die friedlichen Proteste durchzuhalten und mit inhaltlichen Alternativen zu verbinden."

    Templin sichtet diese Alternativen in Kreisen der Organisation Attac, der Sozialverbände, bei der Gewerkschaft ver.di und einer kleinen Zahl von Abweichlern bei Rot-Grün. Templin meint: "Mit den Vorschlägen für eine gerechtere Steuerpolitik, der Stärkung der Nachfrageseite, den Konzepten einer umfassenden Bürgerversicherung und einer sozialen Grundsicherung, die ihren Namen wert ist, kann dem Kernproblem, der Frage nach der Zukunft der Arbeit, nach Arbeitsplätzen, dem Verhältnis von Erwerbsarbeit und gesellschaftlicher Tätigkeit anders als derzeit begegnet werden."

    Ursula Seibold-Bultmann zieht in der Neuen Zürcher Zeitung eine Bilanz der Bibliotheksbauten, die nach der Wiedervereinigung in den ostdeutschen Bundesländern entstanden. Zur längst vergessenen Ausgangslage berichtet sie: "1991 ergab eine Umfrage, dass in Ostdeutschland nur 25 Prozent der ermittelten Hauptnutzungsflächen nach 1950 gebaut worden waren; im Westen lag die Zahl bei mindestens neunzig Prozent. Experten hielten damals fest, dass rund vierzig Prozent der untersuchten ostdeutschen Bibliotheken komplett neu gebaut werden mussten, wozu ein erheblicher Sanierungs- und Ergänzungsbedarf an den übrigen Standorten kam." Die Resultate in Zeiten einer gesamtdeutschen Larmoyanz, in Dresden, Leipzig, in Halle, Magdeburg und Halberstadt, in Jena, Weimar, Erfurt und Greifswald können sich, folgt man dem Bericht der Autorin, sehen lassen. "Die jüngst errichteten Bibliotheken sind komplett vernetzt, flexibel nutzbar, meist thermisch effizient und nicht zuletzt behindertengerecht", schreibt Frau Seibold-Bultmann. Doch vielerorts beherrscht nicht Neues das Bild, sondern man baut im Bestand." Als Beispiel wird der mittelalterliche Bischofssitz vom Halberstadt genannt, in dem sich nun die Stadtbibliothek befindet.
    Harry Nutt befasst sich in der Frankfurter Rundschau mit den Olympischen Spielen in Athen und dem Abschneiden der deutschen Sportler. "Es gehe beim Sport", zitiert Nutt den Hamburger Philosophen Martin Seel, "letztlich um eine Zelebration des Unvermögens. Man führe nicht das vor, was man kann, sondern will gerade das erreichen, was man nicht kann. Die sportliche Leistung sei darauf ausgerichtet, das Erlernte ins Unermessliche zu steigern. Man ruft nicht einfach das ab, was man mühsam trainiert hat, sondern hofft auf das Eintreffen von etwas noch nie Dagewesenem."

    Harry Nutt fasst zusammen: "Der sportlichen Leistung haftet etwas Utopisches an, deshalb hat sie einen so hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Nach ihren Rennen wird die heilige Franzi zum Sinnbild deutscher Lebenslagen. Ihre Karriere erscheint als Metapher der gesellschaftlichen Laufbahn, auf der seit geraumer Zeit Abstiegserfahrungen verzeichnet sind. Das Schöne am Sport ist die Nullstellung am Start. Gesellschaften hingegen haben keinen Anfang und kein Ende, es geht immer bloß weiter. Ihre große Sehnsucht ist die Nullstellung des Sports."