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Achillesferse von Tumoren

Medizin. - Schon lange rätseln Krebsforscher, warum Patienten nach scheinbar erfolgreicher Behandlung plötzlich doch wieder einen Tumor entwickeln – die Antwort darauf liefern vermutlich die so genannten Krebsstammzellen. Mit neuen Konzepten wollen Ärzte den hartnäckigen Widersachern dennoch beikommen.

Von Ulrike Till | 28.10.2008
    Lange Zeit dachte man, die Zellen innerhalb eines Tumors seien alle gleich – jetzt wird allmählich klar: das Gegenteil ist der Fall. Offenbar sind die meisten Tumore hierarchisch aufgebaut; einige wenige Krebsstammzellen scheinen verantwortlich für Wachstum, Erhalt und Metastasierung des Tumors. Noch ist das nicht eindeutig bewiesen, doch die bisherigen Ergebnisse führen bereits zu einem Umdenken in der Krebsforschung. Professor John Niederhuber, Direktor des National Cancer Institute in den USA:

    "Es gibt immer mehr Belege dafür, dass es diese Untergruppe von Zellen gibt. Wir haben sehr viel über sie gelernt bei der Untersuchung von Leukämien und Lymphomen, und jetzt machen wir entscheidende Fortschritte bei soliden Tumoren: Darmkrebs, Brustkrebs, Lungenkrebs und so weiter. Aber ist es wirklich entscheidend, dass wir diese Untergruppe von Zellen, die die Fähigkeit zur Selbsterneuerung besitzen, bekämpfen? Die Hypothese ist: ja. Deshalb hängt viel davon ab, dass wir diese Zellen besser verstehen und sie in die Krebstherapie miteinbeziehen."

    Wenn Chemotherapie und Bestrahlung wie bisher nur auf normale Krebszellen zielen, lässt sich ein Tumor nicht dauerhaft besiegen – schon eine einzige überlebende Tumorstammzelle reicht aus, um die Heilung zu gefährden, sagt Professor Andreas Trumpp vom Deutschen Krebsforschungszentrum DKFZ in Heidelberg:

    "Der Tumor wird effizient verringert durch die klassischen Therapien, aber die Tumorstammzellen, die oft eben nur wenige Zellen innerhalb des Tumors sind, die bleiben erhalten, bleiben unentdeckt im Körper und können dann nach einer kürzeren oder auch längeren Latenzzeit wieder aktiviert werden. Und der Tumor kommt zurück, und er kommt oft zurück sehr viel aggressiver, metastasiert und führt dann oft zum Tod des Patienten."

    Tumore der Bauchspeicheldrüse enthalten besonders viele der höchst widerstandsfähigen Stammzellen; deshalb ist diese Krebsform auch so schwer zu behandeln. Einer Forschungsgruppe am Uniklinikum Heidelberg ist es kürzlich im Tierversuch gelungen, therapieresistente Krebsstammzellen wieder empfindlich für Medikamente zu machen: mit Sulforaphan, einem Wirkstoff des Broccoli. Studienleiterin Professor Ingrid Herr:

    "Wir haben zuvor den Mechanismus untersucht, wie sich Krebsstammzellen schützen und sehen, dass ein Faktor, der so genannte NF-Kappa-B-Transkriptionsfaktor überaktiviert ist in Krebsstammzellen. Das ist ein Grund, warum diese Zellen nicht reagieren auf Chemotherapie. Und wir wussten von dem Broccoli-Stoff, dass er NF-Kappa-B hemmen kann, und haben dann auch gesehen, dass der programmierte Zelltod induziert wurde."

    Möglicherweise lassen sich Krebsstammzellen auch dadurch unschädlich machen, dass man sie dazu bringt, zu spezialisierten Zellen heranzureifen – dazu laufen derzeit Untersuchungen bei Hirntumoren. Einen anderen vielversprechenden Ansatz verfolgt Andreas Trumpp im neuen Zentrum für Stammzellforschung am DKFZ: Die Tumorstammzellen befinden sich oft jahrelang im Ruhezustand – weil sie sich in diesem Schlummermodus kaum teilen, reagieren sie auch nicht auf die gängigen Krebsmittel, die immer gegen aktive Zellen gerichtet sind:

    "Wir haben bestimmte Proteine identifiziert, die diesen Ruhezustand aufheben, diese Stammzellen wieder in einen aktiven Teilungszustand überführen und sie dadurch sensitiv macht zu unserer klassischen Chemotherapie, die wiederum sich teilende Zellen recht effizient abtöten kann. Das heißt erst aufwecken, dann abtöten."

    Schon bald sollen klinische Studien mit Leukämiekranken und Brustkrebspatientinnen zeigen, ob dieser Ansatz gefahrlos auch beim Menschen funktioniert. Langfristigen Erfolg wird aber wohl nur eine Kombination verschiedener Methoden bringen.