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Achterbahn für Güter
Neues Antriebssystem soll Fabrikabläufe beschleunigen

Extreme Kurven auf engstem Raum bei hoher Geschwindigkeit: Ingenieure der Universität Stuttgart erforschen einen neuen Antrieb für Achterbahnen. Allerdings nicht nur zum Einsatz in Freizeitparks - Transportsysteme nach diesem Vorbild könnten die Logistik in Fabriken beschleunigen.

Von Piotr Heller | 14.02.2018
    Die Forschungsachterbahn in der In der Versuchshalle des Instituts für Fördertechnik und Logistik der Universität Stuttgart
    An der Forschungsachterbahn des Instituts für Fördertechnik und Logistik der Universität Stuttgart wird ein neues Antriebssystem getestet (Deutschlandradio / Piotr Heller)
    In der Versuchshalle des Instituts für Fördertechnik und Logistik der Universität Stuttgart steigt Markus Schröppel in einen Fahrstuhl. Er drückt auf den Knopf für das Untergeschoss. Dort angekommen öffnet sich die Tür und gibt den Blick auf eine Achterbahn frei.
    "Das ist dieser Prüfstand, was im Prinzip aussieht wie eine kleine Achterbahn-Anlage. Das ist hier eine Teststrecke mit 50 Metern Länge, wo wir alle möglichen Streckensituationen eingebaut haben: haben enge Kurven eingebaut, wir haben Steilwandkurven eingebaut, wir haben Steigungen eingebaut."
    Auf engstem Raum extreme Kurven
    Die Forschungsachterbahn fährt auf zwei Stahlrohren, die sich schwungvoll um die Säulen der unterirdischen Halle winden. Auf dem kleinen Wagen können zwei Personen wie auf einem Motorrad Platz nehmen.
    "Das Interessante an diesem Konzept ist eigentlich das Antriebssystem, weil wir hier einen permanenten, formschlüssigen Antrieb haben in Form von so einem flexiblen Ketten-Element. Und dieses flexible Kettenelement ist in der Lage, diese ganzen Kurven, Verwindung von der Fahrschiene mitzumachen."
    Die flexible Kette ist fest auf einem der Rohre der Achterbahn angebracht. Sie besteht aus Metallzähnen. In diese Zähne greift der Antrieb des Achterbahnwagens mit einem speziellen Zahnrad ein. Im Prinzip ist das Ganze also eine Zahnradbahn. Aber - und das ist das Neue - eine, die auf engstem Raum extreme Kurven bewältigen kann. Markus Schröppel fährt einen Computer hoch, für eine Probefahrt. Der Wagen setzt sich in Bewegung und fährt zügig durch die Halle, bremst immer mal wieder, beschleunigt, legt sich geschmeidig in die Steilkurve.
    "Wir können hier nicht die ganz großen Geschwindigkeiten fahren, wir sind limitiert für elf Meter pro Sekunde und es ist hier auch ein Prototyp mit vielen Messgeräten und Anbaugeräten. Deswegen ist das auch eine große Geräuschentwicklung. Es dient dazu, die einzelnen Komponenten zu erproben und hier Dauertests zu machen. Das scheppert viel, aber den Antrieb an sich hört man gar nicht."
    Transporte schneller machen
    Aus diesen Dauertests und Untersuchungen ist bereits eine erste echte Achterbahn hervorgegangen. Sie dreht ihre Runden in einem Allgäuer Freizeitpark. Aber Markus Schröppel und seine Leute sind Logistiker. Selbstverständlich wollen sie noch viel mehr aus der Idee rausholen.
    "Wir wollen ein Fördertechniksystem umsetzen mit dem Ziel, hohe Transportgeschwindigkeiten zu erzielen. Wir wollen da Transportgeschwindigkeiten von 60, 70 Kilometer pro Stunde erzielen, was deutlich höher ist als aktuelle Fördergeschwindigkeiten."
    Möglicher Einsatz in der Autoproduktion
    Das wäre zum Beispiel in der Autoproduktion interessant, sagt Markus Schröppel. Die modernen Werke werden mit vielen halb fertigen Teilen versorgt, jedoch können die nicht direkt ans Fließband geliefert werden.
    "Es wird häufig so gemacht, dass ich vor meinem Werk ein Logistikzentrum brauche, wo die Ware ankommt, das Ganze vorsequenziert wird und so weiter. Und dann muss ich die irgendwo an mein Band transportieren."
    Heute geschieht dieser Transport noch mit LKW oder speziellen Fahrzeugen auf dem Fabrikgelände. Man könnte es aber auch mit einem Transportsystem nach dem Vorbild der Achterbahn machen. Das wäre schnell, zuverlässig, und durch den Aufbau mit Kette und Zahnrad weiß man ohne zusätzliche Sensoren stets, wo sich welcher Wagen und damit welches Bauteil befindet.
    Optimierungsarbeit noch nötig
    Interesse aus der Industrie gebe es bereits, sagt Markus Schröppel. Aber wie so oft bei der Ingenieurskunst ist vorher Optimierungsarbeit gefragt.
    "Wir sind nach wie vor immer noch an der Optimierung von den einzelnen Komponenten. Also zum Beispiel diese Antriebskette besteht nicht mehr aus so vielen einzelnen Komponenten. Die erste Generation, wenn man sie sieht, die war ja noch aus einzelnen Blechbauteilen aufgebaut."
    Das macht die Produktion und die Montage günstiger. Auch die Schiene der Bahn wollen die Ingenieure vereinfachen. Als Anwendung des Ganzen schweben ihnen nicht nur Transportsysteme für Bauteile vor, sondern auch für Menschen, etwa in Skigebieten. Die würden dann aber wahrscheinlich einen weniger spektakulären Streckenverlauf haben als die Achterbahn im Keller.