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Achterbahn über den Himalaja
Streifengänse mit ungewöhnlicher Flugstrategie

Wenn Streifengänse von Indien aus zum Brüten in die Mongolei fliegen, müssen sie den Himalaja passieren und dafür extrem hoch fliegen. Allerdings halten sich Streifengänse wohl nur selten in der Reiseflughöhe von Jets auf. Ihre Flugroute gleicht einer Achterbahnfahrt, so britische Forscher.

Von Lucian Haas | 16.01.2015
    Für den Zoologen Charles Bishop von der Bangor University in Wales sind Streifengänse bemerkenswerte Zugvögel. Sie überwintern in Indien, ziehen aber im Frühjahr in ihre Brutgebiete in der Mongolei.
    "Das Faszinierende an den Streifengäsen ist, dass sie dabei über diese weite Hochgebirgsregion des Himalajas, das tibetische Hochland fliegen müssen. Wir wissen, dass sie mit dünner Höhenluft gut zurechtkommen. Ihr Blut und ihr Herzmuskel sind speziell darauf angepasst, so viel Sauerstoff wie möglich zu transportieren."
    Ständiges Steigen und Sinken
    Bisher glaubten Forscher, dass die Streifengänse den Himalaja überwinden, indem sie sich einmal in große Höhen aufschwingen, um dann auf direkter Route über alle Berge hinweg zu fliegen. Charles Bishop wollte genauer wissen, welche Leistungen die Streifengänse dabei vollbringen. Gemeinsam mit Kollegen stattete er einige der Vögel mit Sensoren und speziellen Datenrekordern aus. Sie maßen die Herzfrequenz, die Körpertemperatur und den äußeren Luftdruck. Anhand der Luftdruckdaten konnten die Forscher die Flughöhen rekonstruieren. Dabei stießen sie auf eine Überraschung.
    "Der Drucksensor zeigte uns ein sehr komplexes Muster. Die Vögel stiegen häufig auf, um gleich danach wieder abzusinken und die gewonnene Höhe zu verschenken. Bei einigen Flügen gab es ein ständiges Steigen und Sinken, mit nur einem geringen Netto-Höhengewinn über die gesamte Strecke gesehen. Wir sprechen deshalb von der Achterbahn-Strategie."
    Streifengänse als Phänomen
    Die Streifengänse vollzogen eine Art Konturenflug entlang der Bergflanken des Himalaja. Im Durchschnitt flogen sie nur 62 Meter über Grund. Nur selten stiegen sie dabei, dem Relief folgend, in mehr als 6.000 Meter Höhe auf. Die meiste Zeit blieben sie unter 5.000 Meter. Für Charles Bishop macht diese Strategie durchaus Sinn.
    "Es ist so anstrengend in großer Höhe zu fliegen – selbst wenn man nur geradeaus fliegt und auf vielleicht 6000 Meter die Höhe hält. Deshalb ist es die bessere Strategie, in Bodennähe zu bleiben und möglichst viel Zeit in tieferen Regionen mit höherer Luftdichte zu verbringen. Dann muss man zwar den Preis für gelegentliche Steigflüge bezahlen. Das bedeutet harte Arbeit. Aber die dafür nötige Leistung ist immer noch geringer, als wenn die Vögel eine einmal gewonnene Höhe beibehalten würden."
    Enormer Energieaufwand
    Im Steigflug wie in dünner Höhenluft machen die Streifengänse schnellere, vor allem aber größere Flügelschläge. Der Energieaufwand dafür ist enorm. Die Herzschlagmessungen zeigen, dass ihr Puls dann auf über 400 Schläge pro Minute in die Höhe schnellt. Insgesamt verlangt die Himalaja-Passage den Vögeln aber weniger ab, als erwartet.
    "Im Durchschnitt war die Herzfrequenz auffallend niedrig, etwa 330 Schläge pro Minute. Aus Experimenten mit Streifengänsen im Windkanal weiß man, dass ihr Herz bis zu 500 Mal pro Minute schlagen kann. Die Reise über den Himalaja ist also bemerkenswert einfach für sie."
    Nachts besonders hohe Flüge
    In dichterer Luft können Vögel mit jedem Flügelschlag mehr Auf- und Vortrieb erzeugen. Dass die Streifengänse diesen Faktor durchaus bei ihren Flügen berücksichtigen, zeigt sich in einem anderen Detail.
    "Die meisten sehr hohen Flüge der Streifengänse haben wird nachts verzeichnet. Nachts ist es in den Bergen viel kälter, vielleicht 20 Grad weniger als am Tag. Und kalte Luft hat eine höhere Dichte. Der Effekt ist so, als würde man in geringerer Höhe fliegen. Der Vorteil macht umgerechnet etwa 500 bis 600 Meter aus."
    Und noch ein Trick steigert die Effizienz der Streifengänse: Laut den Messungen stiegen die Vögel manchmal, ohne dass ihr Herz oder ihre Flügel schneller schlugen. Offenbar fliegen sie auch deshalb nah am Relief, um dort Hangaufwinde zu nutzen und so Kräfte zu sparen.
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