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Achtung Gedankenleser!

Neurologie. – Gedankenlesen ist in Science-Fiction-Filmen gang und gäbe. Inzwischen beginnen Forscher aber, sich ernsthaft mit diesem Thema zu beschäftigen und haben dabei durchaus Erfolge. Die Gottlieb Daimler- und Karl Benz-Stiftung lud die international führenden Experten auf diesem Gebiet zu einem Kolloquium nach Berlin ein..

Von Volkart Wildermuth | 10.05.2007
    "Manche Neurone feuern furios und unser Job als Neurowissenschaftler ist es zu dekodieren, worüber redet dieses Neuron und unterhält sich mit seinen Freunden."

    Hier sind Nervenzellen aus dem menschlichen Gedächtniszentrum zu hören. Bewusstseinsforscher Christof Koch vom California Institute of Technology konnte sie bei Epilepsiepatienten kurz vor einer Operation mit Elektroden direkt belauschen. Eines der Neurone feuerte immer, wenn der Patient ein Bild der Schauspielerin Jennifer Aniston sah. Koch:

    "Hier ist sie im schwarzen Hintergrund, hier im blauen, hier ist sie interessanter Weise mit ihrem ehemaligen Mann, der heißt Brad Pitt, und hier das Neuron feuert längst nicht so stark, wenn Brad Pitt im Spiel ist."

    In Experimenten lassen sich jeweils nur wenige Nervenzellen über kurze Zeit belauschen. Christoph Koch ist aber davon überzeugt, dass er mit dieser Technik theoretisch feststellen könnte, ob der Mann gerade an Jennifer Aniston denkt, oder an seine eigene Frau. Praktisch führt das aber nicht weiter, nur sehr wenige Menschen bekommen Elektroden ins Gehirn implantiert. Am Berliner Bemstein Zentrum für Computational Neuroscience nutzt Professor John Dylan Haynes deshalb Bild gebende Verfahren und analysiert großflächige Muster der Hirnaktivität. Kürzlich hat er Versuchspersonen gebeten, sich frei zu entscheiden, ob sie zwei Zahlen zusammenzählen oder voneinander abziehen wollen und das, während sie im Hirnscanner lagen. Haynes:

    "Wir konnten sogar in nachfolgenden Experimenten zeigen, dass wir bevor eine Person sich selbst entschieden hat, vorhersagen können, wie sie sich gleich entscheiden wird, das heißt, wir können nicht nur die bewussten Gedanken einer Person auslesen, sondern wir können sogar die unbewussten Gedanken oder die Vorbereitungen dieser bewussten Gedanken aus der Hirnaktivität auslesen."

    Vorhersagen ist hier allerdings ein relativer Begriff. Die Versuchspersonen lagen eine Stunde im Scanner und addierten und subtrahierten Zahlenpaar nach Zahlenpaar. Im Anschluss suchte ein Computer in den Daten der ersten 50 Minuten nach dem zugehörigen Muster der Hirnaktivität. Erst nach dieser aufwändigen Analyse konnte das Programm in den gespeicherten Daten der letzten zehn Minuten die Reaktion "vorhersagen". Vorerst ist die geistige Freiheit nicht in Gefahr. Doch auch diese relativ kruden Methoden des Gedankenlesens sind nützlich. Bei Patienten im Wachkoma lässt sich mit Bild gebenden Verfahren herausfinden, ob sie überhaupt noch spezifische Gedanken haben, für Angehörige und Ärzte eine wichtige Information. Professor Gabriel Curio nutzt an der Berliner Charité Hirnströme, die er von außen ableitet, um einen Computercursor zu steuern. Solche Systeme könnten in Zukunft gelähmten Patienten helfen, einen Rechner oder auch eine motorisierte Prothese zu steuern, oder als Warnsystem für schläfrige Lastwagenfahrer dienen. Das sind vielversprechende Anwendungen. Skeptisch ist Gabriel Curio aber bei Plänen des amerikanischen Militärs, das Gehirn ihrer Soldaten direkt mit ihren Waffen zu verschalten. Curio:

    "Allein der Gedanke an den Knopf könnte dann schon ausreichen, dass er gedrückt ist, und man ist einfach schneller. Und an der Stelle muss man wirklich ein ‚Vorsicht’ rufen. Warum? Weil letztlich diese Technologie nicht die Spezifität haben kann, sie kann sie nicht haben, um sicher zu stellen, dass diese wirklich der Entscheidung und nicht nur einer Überlegung entspricht."

    Im Gehirn entstehen viele Gedanken, doch nur wenige werden in Handlungen umgesetzt. Diese Kontrollebene technisch zu umgehen, hält Gabriel Curio für sehr gefährlich. Das wissenschaftliche Gedankenlesen ist eine junge Disziplin, mit exakteren Hirnscannern, schnelleren Rechnern, wird sich das Gespräch der Nervenzellen immer besser belauschen lassen. John-Dylan Haynes beruhigt aber: Auch wenn im Labor vieles möglich ist, im täglichen Leben muss niemand um die Privatsphäre in seinem Kopf fürchten.

    "Wir können jetzt nicht auslesen bei einem beliebigen Menschen einen beliebigen Gedanken. Wir können also nicht die universelle Sprache des Gehirns zurzeit entschlüsseln, diese Art von universellem Gedankenlesen ist zurzeit nicht möglich. Aber auf das Vorhandensein einfacher Gedanken können wir zurzeit sehr gut schließen."