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Achtung, Nachbar hört mit

Botanik. - Pflanzen können sprechen. Bloß benutzen sie dazu nicht Wörter und Sätze, wie wir Menschen, sondern leicht flüchtige Duftstoffe, die sie in die Umwelt abgeben. Auf diesem Weg können sie zum Beispiel andere Pflanzen warnen, wenn Käfer oder Milben sie befallen haben. Dieses Phänomen der "talking trees", der sprechenden Bäume, kennen die Wissenschaftler nun schon seit gut zwanzig Jahren. Und immer öfter stellen sie fest: Das Grünzeug kann auch gut zuhören. Pflanzenforscher aus Essen stellen in dieser Woche ihre Ergebnisse vor, auf einer Konferenz zur chemischen Ökologie in Jena. Arndt Reuning hat sie vorab besucht.

Von Arndt Reuning |
    Im Botanischen Garten der Universität Essen-Duisburg, in einem Treibhaus, ranken sich Limabohnen an langen Seilen zum Glasdach empor. Versuchsobjekte von Professor Martin Heil. Er untersucht, wie sich die Nutzpflanzen gegen Insekten wehren, zum Beispiel gegen gefräßige Käfer oder Blattmilben. Dazu rufen die Pflanzen Ameisen zu Hilfe, die die Bohnenranke verteidigen. Natürlich nicht ohne Gegenleistung. Die Bohnen müssen ihren "Bodyguards" schon eine Belohnung bieten. Heil:

    "Und da sieht man wie auch bei der Gartenbohne, sieht man diese sehr, sehr, sehr kleinen zusätzlichen Nebenblättchen. Und wenn man da etwas genauer schaut und jetzt auch wiederum eine angefressene Bohne hat, sieht man: Da wird Flüssigkeit produziert. Und wenn man diese Flüssigkeit mal mit dem Finger aufnimmt und testet, merkt man: Das ist süß. Das ist nämlich Nektar. Das ist Nektar, der hier aber eben nicht in den Blüten produziert wird, also nichts mit der Bestäubung zu tun hat. Sondern der Fraßinsekten, und in diesem Fall eben Ameisen, anlockt."

    Gleichzeitig senden die Limabohnen ein Duftsignal aus. Die Nachbarpflanzen können dieses Parfum wahrnehmen und dann ebenfalls ihre Produktion anwerfen und süßen Nektar für die Ameisen bilden. Dass dieser Mechanismus tatsächlich so im Freiland funktioniert, und nicht nur unter Laborbedingungen, das konnten Martin Heil und seine Mitarbeiter nachweisen. Tatsächlich können sich Pflanzen in Nachbarschaft zu befallenen Bohnen besser gegen die Schädlinge verteidigen. Heil:

    "Das war nun einerseits ein superspannendes Ergebnis, weil wir wirklich gezeigt haben: Jawohl, Pflanzen kommunizieren miteinander. Eine Pflanze, die angefressen ist, warnt ihre Nachbarin vor der Gefahr, weil natürlich ein Käfer, der auf einer Pflanze ist, geht auch mal auf eine Nebenpflanze. Nur: wissenschaftlich gesehen hat man damit ein Problem. Weil: Kommunikation sollte normalerweise beiden dienen."

    Dem Sender und dem Empfänger. Der befallenen Bohnenpflanze und dem Gewächs in der Nachbarschaft. Beide stehen miteinander in Konkurrenz um Wasser und Nährstoffe. Welchen Nutzen sollte also die angeknabberte Bohnenranke haben, wenn sie ihre Nachbarn warnt, aber dafür nichts zurück bekommt? Vielleicht, so die Idee von Martin Heil, geht es der Bohne gar nicht darum, ihre Nachbarn zu warnen, sondern die Abwehrreaktion in eigenen Zweigen anzuregen. Das hat er überprüft, indem er einen befallenen Zweig und einen gesunden Zweig an derselben Pflanze in einen durchsichtigen Plastikschlauch gesteckt hat, der normalerweise in der Küche zum Braten verwendet wird. Der Duft der Pflanze konnte so direkt von einem Zweig zum nächsten geleitet wurde. Das Ergebnis war eindeutig. Heil:

    "Wenn ein Blatt befressen wird, warnt dieses Blatt die Nachbarblätter derselben Pflanze vor der Gefahr. Und damit kann eben die Pflanze als Ganze auf diesen lokalen Schaden reagieren. Hat also eben selber was davon. Und die Nachbarpflanzen belauschen das dann einfach nur und machen sich dann eben auch diese Information zunutze."

    Für ihre Kommunikation zwischen zwei Zweigen nutzt die Limabohne also sozusagen keine abhörsichere Leitung. Obwohl die Signalstoffe natürlich auch innerhalb der Pflanze von einem Zweig zum nächsten geleitet werden könnte. Ohne dass die Nachbarn davon "Wind bekommen". Das wäre zwar sicher, aber nicht sehr schnell. Heil:

    "Wenn sie da ein Signal hätten, was sich in der Pflanze drin, also sozusagen in den Adern, in den Leitbündeln der Pflanze bewegt, müsste das von einer Astspitze bis zum Stamm, im Stamm rauf oder runter und dann im anderen Ast wieder bis vorne an die Spitze. Das können bei einer größeren Eiche dreißig Meter sein, die das Signal zurücklegen müsste. Obwohl die Blätter vorne an zwei Nachbarästen sitzen und sich fast berühren."

    Offenbar ist der Nutzen, den das der Bohne bringt, größer als der Nachteil, der durch das Abhören des Signals durch die Nachbarpflanzen entsteht.