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Ade mit Wagners Schwanenritter

Als Christine Mielitz vor sieben Jahren als Intendantin nach Dortmund kam, gab sie mit Wagners Meistersingern ihren Einstand. Mit einer gelungenen Lohengrin-Inszenierung verabschiedet sie sich nun aus dem Ruhrgebiet.

Von Holger Noltze | 10.12.2009
    Mit Wagners Meistersingern hatte Christine Mielitz, sieben Jahre ist es her, ihren Einstand als Intendantin in Dortmund gegeben. Es folgte ein kompletter Ring, der sich nicht recht rundete. Generell wollte sich das Wagner- und überhaupt das Mielitz-Glück, das vordem am kleinen Haus in Meiningen so groß gewesen war, im Ruhrgebiet nicht einstellen. Noch vor Ablauf ihres Vertrages wird sie Ende 2010 das Theater Dortmund verlassen und will mehr und anderswo inszenieren. Aber einmal sollte Wagners Schwanenritter doch noch in Dortmund anlanden, die Oper, die mit einem kollektiven "Weh!" endet.

    Lohengrin, ein Science-Fiction-Held, sieht aus, als hätte ihn sich Christine Mielitz aus dem Starlight Express im benachbarten Bochum ausgeliehen, wo schwermetallisch gerüstete Eisenbahndarsteller auf Rollschuhen herumrasen. Der Dortmunder Lohengrin bewegt sich allerdings wie ein Roboter. Er ist ja auch ferngesteuert vom Grals-Headquarter. Allersüßest klang noch die Schwanenverabschiedung zum Beginn der Premiere. Doch nach der Besiegung des Widersachers Telramund im Gottesgericht - wir befinden uns ja doch im düsteren zehnten Jahrhundert -, musste Marco Jentzsch sich einem Infekt ergeben und von Charles Kim, weniger lyrisch-silbrig, eher kernig, von der Seite vokal gedoubelt werden. Das war schade, szenisch aber insofern nicht ganz unplausibel, als "Lohengrin" hier ohnehin ein Außerirdischer bleibt, Projektion erst der bedrängten Elsa, dann kollektiver Sehnsüchte auf schimmernde Erlöserfiguren.

    Interessant wird der Fall, weil ihn dann Elsas bedingungslose Liebe sichtbar erschüttert. Weit reißt der Mann die Augen auf, der kriegt Panik, denn die Frau will, so naiv anhänglich sie auch erscheint: alles. Der Mann im Auftrag des Grals aber ahnt, was das bedeutet, und die Inszenierung macht, plakativ überdeutlich, aber durchaus plausibel, dass Elsa die verbotene Frage nach Nam' und Art ihres Ritters und Retters stellen darf und muss.

    Susanne Schubert wirft sich emphatisch in die Rolle der Elsa, hat schöne Stellen, aber auch einen Hang zum Flackrig-Unscharfen. Gegen die Schneidigkeit der ungarischen Ortrud von Szilvia Rálik hat sie ohnehin keine Chance.

    Diese Ortrud ist, nicht nur der außerordentliche Präsenz der Sängerin wegen, das eigentliche Zentrum der Inszenierung. Überraschend zeigt Mielitz Elsa und Ortrud, die liebe und die böse, als Schwestern im Geiste, liebende Frauen, die ihre Männer verlieren in einer basal aggressiven Männerwelt. In der wird mächtig und prächtig laut gesungen. Stephan Klemm gibt einen König Heinrich von eindrucksvollem Format. Anton Keremidtchiev singt den ewig ehrpusseligen Widersacher Telramund einmal ohne die hier übliche Konsonantenknallerei, was zu einem deutlichen Gewinn an Würde für diesen oft missachteten Bösewicht führt - und wunderbarerweise einleuchten lässt, dass Ortrud diesen Telramund nicht nur benutzt, sondern auch liebt.

    Als er erschlagen da liegt, verwandelt sie sich in eine große Trauernde. Wo hat man das gesehen? Es führt zwar, weil das böse Weib ja böse sein muss, zur Reibung mit dem Text, es führt aber auch zu einer überraschenden feministischen Binnenspannung, die der Intendantin ein paar Buhs einbrachte. Die konnte man, angesichts einer insgesamt dicht gearbeiteten Regie, durchaus ungerecht finden. Wie auch den Jubel über Jac van Steens vor allem pragmatisches Lohengrin-Dirigat ein wenig übertrieben. Vielleicht war es die Freude darüber, dass das Dortmunder Orchester unter seinem neuen Chef jetzt schon besser klingt. Und wenn hier orchestral etwas mehr Transzendenz zu wünschen wäre und da etwas weniger szenischer Schnickschnack: ein ewiges rauf und runter der Hebebühne, Quadratkilometer von Goldfolie, überflüssige Bildbeigaben und anderes mehr: An diesem Abend funktionierte das Mielitz-Theater nicht übel. Es war groß und verständlich - und ein bisschen was Kritisches zum Nachdenken gab's auch mit nach Hause, das ist doch nicht wenig: Lob des Stadttheaters.