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Adel verflüchtigt

Wenn die Guttenberger vom Guttenberg sprechen, dann meinen sie Enoch zu Guttenberg. Sein Sohn heißt hier einfach nur Karl-Theo. Im Dorf stellt man sich hinter den Baron. Manche sind ihm auch dankbar, etwa dafür, dass er an einem Dienstag zurückgetreten ist.

Von Michael Watzke |
    Die kleine Schlosskapelle von Guttenberg. Im Schatten der trutzigen Burg, umrahmt von stämmigen Buchen und oberfränkischen Wettertannen. In dieser Kapelle hat der evangelische Gemeindepfarrer Günter Weigel zu Guttenberg getraut. Er ist enttäuscht. Von den Medien.

    "Wir hätten ihn als Minister noch gebraucht in diesem Amt. Deutschland hätte ihn noch gebraucht. Ich denke, es ist sehr viel aufgebauscht worden. Es hat ja schon mehrere Fälle dieser Art gegeben. Und dass das jetzt schon fast zur Staatskrise avanciert, das ist unvergleichlich und war noch nie da. Dass man das jetzt so hochspielt."

    Im Schaukasten der evangelisch-lutherischen Gemeinde von Guttenberg hat Pfarrer Weigel Vers 21 aus dem Römerbrief zitiert: "Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten." Für Karl-Josef Knetsch ist klar, wer der Gute ist und wer das Böse:

    "Ich hab den Verdacht, die Frau Merkel hat ihn rausgeekelt. Der ist ihr zu gefährlich geworden. Das hat sie ja schon mit einigen gemacht. Ich bin CSU-ler. Aber die Frau ist verbraucht."

    Knetschs Tochter arbeitet im Schloss, als Hausangestellte. Für den Baron. Wenn die Guttenberger vom Baron sprechen, meinen sie Enoch zu Guttenberg, den Vater. Der Sohn heißt hier einfach Karl-Theo:

    "Karl-Theo ist ein sehr, sehr ehrlicher Mensch. Er ist aufrichtig. Er ist nicht hochnäsig. Er ist ein Mensch aus dem Dorf. Und das wird er auch weiterhin bleiben. Aber ... so einen ehrlichen Politiker wie den Karl-Theo wird man heutzutage nicht so schnell mehr wieder finden."

    Dann setzt Knetsch wieder die Flasche mit dem Kulmbacher Bier an - das unterhalb des Schlosses im "Gasthaus zur Post" gerade kistenweise angeliefert wird. Gastwirt Uwe Böhnke öffnet den Bierkeller. Der gebürtige Berliner ist seit 15 Jahren in Guttenberg. Der Einzige im Dorf, der sich kritisch über den Freiherrn äußert:

    "Naja, weil man ihn persönlich kennt. Und auch seine persönlichen Ansprüche. Deshalb war ich durch diese ganze Geschichte irgendwo persönlich enttäuscht, weil ich ihm das eigentlich ... so nicht zugetraut hätte. Das ist eigentlich so eine persönliche Enttäuschung. Hat mit der politischen Einstellung erstmal nichts zu tun."

    Böhnke ist der örtliche SPD-Chef. Dass er auf der Speisekarte seines Restaurants die "Guttenberg-Schlachtplatte" anbietet, ist nicht mehr als ein unglücklicher Zufall. Er ist Karl-Theo dankbar, dass der an einem Dienstag zurückgetreten ist. Böhnkes freiem Tag. So blieb ihm der Medienansturm erspart:

    "Da haste nicht viel Geschäft. Außer dass Du beschäftigt bist, Fragen zu beantworten. Radio und Fernsehen dürfte jetzt dann durch sein. Jetzt kommen die etwas länger schreibenden Freunde, Spiegel, Stern, Focus, die noch ein paar Fragen stellen. Und wenn die dann durch sind, kommt die Bunte. Die Friseurliteratur."

    Böhnke graut es schon davor. Deshalb wäre er nicht unglücklich, wenn der junge Freiherr in Berlin bliebe. Statt nach Guttenberg zu ziehen. Aufs Schloss. Zum Vater. Böhnke hat gehört, zu Guttenberg wolle nach Amerika. Aber irgendwann, glaubt er, kehre KT zurück. In die Politik.

    "Ich denk schon. Wenn jetzt Gras über die Sache gewachsen ist. Kann ich mir vorstellen. Weil, es wird ihm ja jetzt hier schon von einigen CSU-Verbänden nahegelegt, seinen Bezirksvorsitz nicht abzugeben. Ich mein, die halten ihm ja alle Türen offen. Seine Entscheidung. Muss er selber wissen."

    Edith Güthlein glaubt nicht, dass Ihr Chef irgendwann ein politisches Comeback startet. Guttenbergs Sekretärin im CSU-Wahlkreisbüro in Lichtenfels muss seit Tagen enttäuschte Anrufer trösten, die "ihren Guttenberg" zurückwollen:

    "Hoffen würd’ ich’s schon, aber ich kann’s mir im Moment eher nicht vorstellen. Ich halte ihn für einen sehr konsequenten Menschen. Er hat ja alle Ämter abgelegt. Dass es für ihn da noch mal politisch was gibt - ich glaub’s eher nicht."

    Auch sein Bundestagsmandat hat Guttenberg abgelegt, obwohl die CSU es nicht nachbesetzen kann - wegen ihrer drei Überhangmandate. Vor einer Woche hat Edith Güthlein auf das Messingschild am Eingang des Büros ein kleines Stück Krepppapier geklebt. Genau auf das "Dr." vor Karl-Theodor. Nun wird sie das Schild ganz abschrauben. Und die Ordner archivieren.

    "Weiß ich selbst noch nicht, wo die Ordner hinkommen. Ich hab jetzt schon die Korrespondenz eingestellt. Als letztes war eine Dame am Telefon, die mir sagte: Geschummelt haben wir alle. Es wird hochgebauscht, aufgebauscht. Unmittelbar nach dem Rücktritt hatte ich zwei, drei Anrufer, da hat einer sogar geweint. Der war so geschockt und betroffen. Ein großer Verlust."

    Edith Güthlein streicht mit der Hand über einen Stapel ausgedruckter Mails. Alles Beileids-Bekundungen, fast eine Art Kondolenzliste. Guttenberg habe Menschen aller Altersschichten erreicht, auch viele Sympathisanten anderer Parteien.

    "Für mich bleibt immer noch die Erinnerung und der gute Gedanke an Herrn zu Guttenberg als großen Politiker und auch als guten Arbeitgeber. Tja. Alles andere muss ich selbst erstmal verarbeiten. Hatte ich bisher noch nicht die Zeit dazu."

    An anderer Stelle drängt die Zeit. Das Amt des Verteidigungsministers hat die Union schnell neu besetzt. Und auch der CSU-Bezirksvorsitz in Oberfranken ist jetzt frei gegeben. Die Europa-Abgeordnete Monika Hohlmeier, die mit Guttenberg das Lichtenfelser Wahlkreisbüro teilte, hat Interesse gezeigt. Der Lichtenfelser CSU-Landtagsabgeordnete Christian Meißner hat andere Präferenzen

    "Ich mach aus meinem Herzen absolut keine Mördergrube. Ich freu mich unbandig, dass der Hans-Peter Friedrich unser neuer Bundesinnenminister ist, und aufgrund dieser starken Position würde es ihm auch gut anstehen, die oberfränkische CSU zu führen. Er hätte da mein vollstes Vertrauen. Wir haben im Juli die Neuwahlen auf Bezirksebene, das heißt, da muss - das ist das Geschäft - da muss jetzt langsam eine Diskussion losgehen."

    Das politische Geschäft muss weitergehen. Auch ohne zu Guttenberg. Aber das Echo hallt nach. Christian Meißner schaut regelmäßig in seinem iphone nach, wie viele User sich mittlerweile auf der Seite "Wir wollen Guttenberg zurück" als Unterstützer eingetragen haben: Es sind deutlich mehr als eine halbe Million.

    "Ich bin selbst bei Facebook aktiv. Da krieg ich das mit. Ich bekomme Mails in einer unglaublichen Zahl. Ich würd mir das sonst auch mal wünschen. Einfach Leute, die sich an mich wenden, ich solle ihm bitte ausrichten, er solle zurückkommen. Leute, die sagen, es sei für sie schmerzlich. Also, die Zahl dieser Rückmeldungen ist ungewöhnlich."

    Am Wochenende wollen KT-Fans aus ganz Deutschland für den Ex-Verteidigungsminister auf die Straße gehen. Guttenberg selbst wird nicht dabei sein. Er hat gerade andere Sorgen: die Staatsanwaltschaft Hof hat wegen der Plagiatsvorwürfe ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet. Zu Guttenberg kennt sich aus mit diesen juristischen Vorwürfen. Doktortitel hin oder her: Er hat Jura studiert. Jedenfalls bis zum ersten Staatsexamen.