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Adelsrepublik Genua

Ennio Poleggi ist einer der Retter der Genueser Altstadt. Der schmale, weißhaarige Professor für Architekturgeschichte kennt jede Säule, jedes gemeißelte Marmorportal im Gassengewirr am Hafen. Jahrzehntelang prüfte er Studenten nur, wenn sie ihre Abschlussarbeit über einen der Palazzi schrieben, an denen die Altstadt so reich ist. Ennio Poleggi hat die für Genua typischen, alten Gastgeber-Listen wiederentdeckt; sie verzeichneten die Wohnsitze der Wohlhabenden, die herangezogen wurden, wenn Staatsgäste zu beherbergen waren.

Von Mechthild Baus |
    Man hat verschiedene Verzeichnisse erstellt. Ein hochrangiges, ein mittleres und so weiter. Das hochrangige war für die Kardinäle, die Fürsten und die Botschafter. So entstand ein Zeremonienbuch. Darin wurde auch beschrieben, mit welchem Gefolge ein bedeutender Gast am Meer abzuholen war. Wie viele Kanonenschläge abzufeuern waren, welches Haus ihn aufzunehmen hatte. Und aus diesen Listen wurde dann jeweils ein Gastgeber ausgelost.
    Genua kannte keinen Alleinherrscher. Die Stadt war eine Adelsrepublik, es regierten und intrigierten - mitunter verfeindete - Familien. Bis heute spiegelt das Stadtbild die politische Verfassung. In Genua existiert keine große Piazza, wie in den italienischen Städten üblich. Es gibt nur kleine Plätze, Zentren jeweils eines Familienverbandes. Insgesamt nennen die Gastgeber-Listen, die Stadthistoriker Poleggi erforscht hat, einhundertzwanzig Paläste. Fast alle sind noch erhalten, doch viele waren in beklagenswertem Zustand.

    Dem Bürgermeister ist klargeworden, dass es sich dabei um einen verborgenen urbanistischen Grundriß der Stadt handelte. Man musste nur die Fassaden der Häuser instand setzen, um auch die Haltung ihrer Bewohner zu verändern.
    Die Fassadenmalereien von fünfzig historischen Wohnhäusern sind bis zum Kulturhauptstadt-Jahr restauriert worden. Dreißig weitere stehen auf der Wunschliste des Architekturprofessors Poleggi, dessen Arbeit über das historische Genua zur Zeit in einer Ausstellung präsentiert wird. Passenderweise in einem der prunkvollen Paläste der Via Garibaldi, der Prachtmeile aus dem 16. Jahrhundert. Damals, so sagt es ein Sprichtwort, wurde das Silber in Amerika ausgegraben und hier in Genua wieder begraben. Genueser Bankiers finanzierten die Unternehmungen der spanischen Krone in Übersee - unter hohem Risiko, aber mit riesigen Gewinnen.
    Genua - La Superba, die Stolze, die Prächtige wurde die Stadt damals genannt. Die Kunstsammlungen der Zeit widerspiegeln die Geschäftsbeziehungen der Händler und Bankiers. Der Flame Peter Paul Rubens weilte mehrfach in der Stadt und porträtierte Angehörige der mächtigsten Adelsfamilien. Die großen Italiener wurden angekauft: Tizian, Tintoretto, Caravaggio fanden sich in Sammlungen von außergewöhnlicher Vielfalt.

    Die Stadt war eine Republik, deshalb gab es keinen Herrscher, der das Monopol auf den Kunstsinn gehabt hätte. Es gab stattdessen eine herrschende Klasse, in der alle die gleichen Rechte hatten, was die künstlerische Auswahl betraf. Jeder konnte seine eigene Wahl treffen, das konnte dann der Mode entsprechen oder auch nicht.
    Der Kunsthistoriker Piero Boccardo hat die Sammlungspolitik der Genueser Oberschicht rekonstruiert und eine für die großen Händler- und Bankiersfamilien spezifische Verschränkung von Kunstsinn und Kaufmannsdenken ausgemacht.

    Charakteristisch für die Genueser Sammlungen ist, dass Investitionen im Laufe der Zeit immer stärker gestreut werden. Ein Teil des Kapitals ist für Gemälde bestimmt, die als wirtschaftliche Werte betrachtet werden. Ich unterscheide aber zwischen Investieren und Spekulieren. Gemälde werden also nicht gekauft, weil man damit rechnet, sie schnell zu einem höheren Preis verkaufen zu können. Nein, die Gelder für Gemälde sind gut angelegt, vor allem, wenn die ausgewählten Künstler von Rang sind.
    Viele der barocken Gemäldesammlungen finden sich heute verstreut in den großen Museen der Welt. Die Genueser Kunstbestände sind in den Prunkpalästen der Via Garibaldi zu sehen, der neuen Museumsmeile, die vor zwei Monaten eröffnet wurde. Zumindest zum Teil, denn mancher Rubens ist heute noch im Privatbesitz. Der Architekturprofessor Poleggi bedauert: Genuas schönster Palast bleibe leider selbst während des Kulturhauptstadt-Jahres verschlossen.

    Leider sieht man von diesen Palästen nur wenig, weil sie noch bewohnt sind. Wenn wenigstens das Licht in den Sälen mit Freskenausmalungen eingeschaltet würde. Dann könnten man abends, wenn man durch die Straßen spaziert, die Fresken sehen. Davon haben wir aber noch niemanden überzeugen können.

    Genua, la Superba, die Stolze, zeigt sich eben nicht jedem. Selbst als Kulturhauptstadt bleibt sie eine Stadt mit Geheimnissen.