Montag, 06. Mai 2024

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Adieu Les Halles?

Schossig: Paris hat Phantom-Magenschmerzen, denn das berühmte Hallenviertel, der Bauch von Paris seit der Römerzeit das Zentrum von Handel- und Kleingewerbe der Metropole, wurde in den 70er Jahren bekanntlich an den Stadtrand verbannt, die mythischen zwölf Markthallen aus blindem Glas und rostigem Stahl wurden geschleift. Doch nach dem Abriss blieb vom Bauch von Paris eine klaffende Wunde, ein Loch, ein chaotisches Labyrinth aus Beton, aus Metro und Schnellbahn, Gewerbe, Kleinkriminalität, durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Und das Ganze im spröden Charme der 70er Jahre in fünf unterirdischen Etagen übereinandergeschichtet. Im vergangenen Jahr hat der Pariser Bürgermeister Bertrand Delanoe nun verkündet, den gesamten Caro des Halles völlig neu zu gestalten. Ein Architektenwettbewerb wurde ausgeschrieben und heute Nachmittag ist nach monatelangem Tauziehen, die Entscheidung gefallen. Frage an Björn Stüben in Paris, bevor wir verraten, wer das Rennen gemacht hat, noch ein Blick zurück, nicht ganz ohne Zorn. Paris hat sich da mit dem Totalabriss der Hallen Ende der 60er Jahre ohne Not ein Stück seines Stadtkörpers wegoperiert, war das städtebauliche Ergebnis wirklich nun so miserabel, dass man schon wieder zu einer Totaloperation schreiten musste?

15.12.2004
    Schossig: Eine Totaloperation kann man vielleicht nicht sagen, es war so, dass dieses Projekt, was seit 1985 endgültig fertig ist, also man hat seit den 70er Jahren angefangen, bis 85 hat man es gebaut, einfach so schlecht gealtert ist. Es ist heute in einem miserablen Zustand. Man beschwert sich vor allem darüber, die Anwohner, über Unsicherheit in diesem Quartier, in diesem Stadtteil dort. Es gibt Ecken, die sehr düster sind. Es ist verkommen, es ist dreckig, also man hatte im Grunde genommen mit der Wahl von Bertrand Delanoe des Bürgermeisters, des sozialistischen Bürgermeisters in 2002, eben jetzt die Wahl, machen wir was neu oder machen wir es nicht. Bertrand Delanoe hat sich dafür entschieden, das ganze Projekt neu anzugehen und neu auszuschreiben.

    Schossig: So ein Großunternehmen Pariser Hallen, das klingt ja sehr reizvoll, Herr Stüben, man kann architektonische Lorbeeren damit gewinnen, es hatten sich ja so renommierte Architekten beworben wie Rem Koolhaas und Jean Nouvel. Welche Projekte wurden denn vorgeschlagen, was stand da jetzt zur Wahl?

    Stüben: Es waren insgesamt vier Projekte, die da zur Wahl standen, vor allem natürlich die Namen, die sie schon nannten. Die Projekte sind sehr, sehr unterschiedlich. Die einen spielen vor allem Rem Koolhaas und Jean Nouvel mit der Sensation, also mit der großen architektonischen Geste. Rem Koolhaas hat also große 30 Meter hohe, sie können es nennen, gläserne Parfumflakons in die Landschaft dort gesetzt, in das Herz von Paris, die dann hinuntersteigen in dieses unterirdische Labyrinth des großen Einkaufszentrums. Nouvel hat sich eine ganz dollen Coup geleistet, der hat in 20 Meter Höhe, also schwindelnder Höhe eigentlich schon, ein Schwimmbad und einen Park auf einem Dach anlegen lassen. Das war natürlich eine große architektonische Geste. Während Winni Maas, der Holländer, da so ein bisschen über das Ziel hinausgeschossen ist, das, was er vorhatte, war eine große gläserne Platte, die durchsichtig ist, wo man von oben bis unten in das fünfte Stockwerk unterirdisch durchschauen kann, das war technisch nicht realisierbar. Und David Mangin der Franzose ist eigentlich am nächsten an der heutigen Bebauung geblieben, nämlich dem großen Eingangsbereich zum unterirdischen Bahnhof und dem Einkaufszentrum und ansonsten eine schöne ausgedehnte Parkanlage.

    Schossig: Mangin wurde zum Sieger dieses Wettbewerbs heute gekürt, was hat denn den Ausschlag gegeben für die Wahl von Mangin?

    Stüben: Es war im Grunde genommen eigentlich schon von vornherein klar, in den letzten Wochen hat sich das so angebahnt, dass Mangin ausgewählt wird. Weil es ist natürlich nicht immer nur eine Chefsache gewesen, dass Bertrand Delanoe der Bürgermeister zu entscheiden hat, sondern da saßen natürlich auch ganz andere Leute mit am runden Tisch und zwar die Betreiber des Einkaufszentrums, die Staatsbahn, die Pariser Verkehrsbetriebe, die alle natürlich ihre Interessen zu vertreten hatten. Und unter diesen vier Projekten haben sie eigentlich schon immer Mangin bevorzugt, weil sie meinten, das Projekt wäre mit am wenigsten Dreck verbunden, am wenigsten große Umbaumaßnahmen, man müsse nicht die Geschäftsunterwelt dort sozusagen einstellen, man müsse die Geschäfte nicht schließen, man könnte peu a peu das Projekt realisieren. Auch die Staatsbahn und die Pariser Verkehrsbetriebe hätten ihren Betrieb weiter machen können. Insofern war es eigentlich keine große Überraschung, dass Mangin gewählt wurde, zumal auch die Anwohner des Quartiers, also die Bürgerinitiativen sich für ihn ausgesprochen haben, weil mit seinem Projekt am wenigsten, sagen wir mal, Unannehmlichkeiten verbunden sind, weil er doch sehr an dem dran bleibt in seiner architektonischen Struktur, wie wir es heute sehen.

    Schossig: Wird denn Les Halles nun in der neuen Form genauso gebaut werden, wie Mangin es vorgeschlagen in seinem Modell, wie geht es jetzt weiter?

    Stüben: Ja im Grunde genommen ist das eine interessante Frage. Weil Bertrand Delanoe hat daraus auch keinen Hehl gemacht, er hat gesagt, so wie wir es auf dem Modell sehen, wird es nie umgesetzt werden. Also es wird keine eins zu eins Realisierung geben. Wir haben David Mangin gewählt, das sagt er heute auf der Pressekonferenz, weil wir damit eine urbanistische Vision gewählt haben. Wir haben nicht ein Modell gewählt, so wie es mal sein wird. David Mangin wird jetzt diesem Projekt der Umgestaltung der Pariser Hallen vorstehen. Es wird zu einer weiteren Ausschreibung kommen, wo einzelne Details, die er jeweils überwacht und koordiniert, noch mal an Architekten vergeben werden, die dann Teile dieses Projektes realisieren werden. Das wird wahrscheinlich noch viele Fragen aufwerfen, man wird noch lange drüber diskutieren, aber so wie es heute im Modell zu sehen ist, wird es wohl nicht gebaut werden.

    Schossig: Paris auf der Suche nach seinem verlorenen Bauch. Björn Stüben zu der heutigen Entscheidung, das Gelände der Markthallen neu zu gestalten.