Es mag diese deprimierende Erfahrung gewesen sein, die Sergio Ramírez, neben Gioconda Belli wohl die bekannteste literarische Stimme Nicaraguas, dazu veranlasst hat, noch einmal die absolute Triumphzeit der nicaraguanischen Geschichte Revue passieren zu lassen: jene Revolution nämlich, die im Juli 1979 zum Sturz des Diktators Anastasio Somoza und den anschließenden zehn Regierungsjahren der Sandinisten führte. Triumph und Niedergang dieses politischen Märchens hat Ramírez nicht nur aus größter Nähe miterlebt - er hat auch über Jahre an ihm mitgeschrieben. Nach Jahren im ausländischen Exil, unter anderem auch in Deutschland, schließt er sich Mitte der 70er Jahre dem Widerstand gegen Somoza an. Nach dem Sieg der Revolution ist er in führenden Regierungsämtern tätig, von 1984 bis 1990 - dem Jahr, in dem die Sandinisten die Wahlen verloren - gar als Vizepräsident seines Landes. Heute widmet er sich wieder seinem eigentlichen Beruf, der Schriftstellerei. Wie beurteilt er aus heutiger Perspektive die sandinistische Revolution?
Die sandinistische Revolution ist für mich vor allem eine Lebenserfahrung; in ihr setzte ich mich mit der Wirklichkeit meines Landes auseinander und suchte sie zu ändern. Es ist eine unersetzliche Erfahrung, ich kann sie heute weder rückgängig machen, noch mich sinnvollerweise fragen, ob ich vielleicht nicht hätte an ihr teilnehmen sollen. Darauf gibt es einfach keine Antworten. Ich habe teilgenommen, ich habe mich engagiert; ich bin ebenso verantwortlich für viele schlechte Dinge, die man getan hat wie für einige gute. Der ganze Menschheitsprozess ist offenbar unvollkommen, und die Revolution war es nicht minder. Am Ende kam dann die Niederlage - nicht nur, weil die Revolution in irgendeinem allgemeinen Sinne unvollkommen war, sondern weil ihre Grundlagen falsch waren. Die Revolution passte sich der Realität Nicaraguas nicht an, ging nicht konform mit dem, was das Land wollte. Was der Revolution in Nicaragua vor allem fehlte, war der Wille, die Demokratie zu verteidigen, sie nach vorne zu bringen. Ich denke, das war der grundlegende Irrtum, und wenn wir 1990 die Wahlen verloren haben, ist das nur angemessen; die Revolution erkannte den Wählerwillen an, und trat von der politischen Bühne ab. Aber die konstante Pflege der Demokratie hat Nicaragua ein neues Gesicht geschenkt.
Die Wahlniederlage dürfte nicht zuletzt daran gelegen haben, dass die sandinistische Revolution von Anfang an nicht nur eine Sache des Verstandes, sondern auch und vor allem eine des Herzens war. Schon auf den ersten Seiten seines Buchs schildert Ramírez den Befreiungskampf vor allem als ästhetisches Erlebnis. Und erstaunlich: dessen Ingredientien sind von denen der europäischen Jugendproteste Ende der 60er Jahre kaum verschieden:
Es gab eine Ästhetik dieser Dekade der 60er Jahre, sie reichte bis in die 70er Jahre. Seit den 50er Jahren begann sich die Welt entschieden zu ändern, ausgehend vom Prozess der Dekolonisation in Afrika und Asien. Die Dritte Welt begann sich zu ändern, und mit ihr änderte sich auch unsere Vorstellung von der Dritten Welt. Und auch in der Ersten Welt kamen neue, unterschiedliche Gefühle auf, jugendliche Gefühle von Rebellion und Veränderung. Das war eine kulturelle Haltung, und ich nahm sehr intensiv Teil an ihr - wie meine ganze Generation Teil an ihr nahm. Che Guevara war genauso ein Symbol dieser Rebellion wie die Beatles, genauso wie das Woodstock-Konzert, und die anderen gängigen Symbole.
Die Rebellion war 1968 aus Paris gekommen, es folgte der brutal niedergeschlagene Protest in Mexiko im Herbst 1968 auf dem Platz der drei Kulturen - all dies sorgte in Lateinamerika für eine von der kubanischen Revolution durchaus verschiedene revolutionäre Gärung. Und dieses Ferment, die ethische Erneuerung für eine andere, bessere Zukunft, rief dann auch die sandinistische Revolution hervor. Sie ist also eine direkte Tochter dieser amorphen Forderung nach einer anderen Welt, die sich in den 60er Jahren artikulierte.
Doch Ästhetik ist nur die eine Seite der Politik - verantwortliche Gestaltung der Macht die andere. Ramírez zufolge bereiteten sich die Sandinisten ihren politischen Untergang zu guten Teilen selbst. "Passt auf, Ihr seid dabei, euch vom Volk zu entfernen", warnte der damalige schwedische Ministerpräsident Olof Palme die sandinistischen Regierungsmitglieder nach einem Nicaragua-Besuch Anfang der 80er Jahre. Und in seinem Buch schildert Ramírez, was das hieß: Ohne den Marxismus-Leninismus könne der Sandinismus nicht revolutionär sein, verkündete 1982 der damalige Führer des Sandinistischen Volksheeres, Humberto Ortega; und er fügte hinzu, im Falle einer Invasion Nicaraguas durch die Vereinigten Staaten würden die Lichtmasten nicht ausreichen, die ganze Bourgeoisie aufzuknüpfen. Auch wenn er die Drohung später zurücknahm: Sätze wie diese erzeugten ein Klima, in dem, Zitat, "jedwede gemäßigte Stimme mehr als verdächtig wirkte". So gesehen, hat sich auch die Niederlage von 1990 in eine weitere Siegesstunde der nicaraguanischen Geschichte gewandelt: Denn sie brachte nichts Geringeres als den endgültigen Einzug der Demokratie, besorgte nicht nur die institutionelle, sondern auch eine mentale Erneuerung:
Ich glaube, dass die Bevölkerung in Nicaragua sich politisierte. Zwar identifizierten sich die Menschen nicht mehr mit der Sandinistischen Front als politischer Partei. Aber das Wichtigste war, dass sie eine Meinung hatten, Anteil nahmen. Man brauchte keine Angst mehr zu haben, mit einem Mikrophon rumzulaufen, öffentlich zu sprechen, sich kundzutun, Forderungen aufzustellen, sich zu organisieren. Und das verlieh dem politischen Leben des Landes einen neuen Charakter. Man dachte nun nach in der Gesellschaft.
Und Ramírez? Er widmet sich wieder dem Schreiben. Für seinen Roman "Margarita, está linda la mar", ein großartiges Porträt des nicaraguanischen Dichters Rubén Darío ebenso wie des Diktator Anastasio Somoza, erhielt er 1998 den renommierten Alfaguara-Preis. Doch auch als Schriftsteller will er sich von der Politik nicht verabschieden:
Ich habe die Literatur nur aufgegeben, um den Wechsel in Nicaragua zu fördern. Ich habe an diesem Wechsel sehr intensiv teilgenommen; mein Beitrag an der nicaraguanischen Revolution bestand darin, die Schriftstellerei aufzugeben. Auch heute, zurückgezogen vom aktiven politischen Geschäft, halte ich noch ein Fenster mit Blick auf die politische Situation in Nicaragua offen. Ich mische mich zwar nicht mehr direkt ein, äußere aber sehr wohl noch als Bürger meine Ansichten. Ich verstehe das als Bürgerpflicht; und aufgrund meines Rufes als Schriftsteller in Nicaragua fühle ich mich verpflichtet, meine Ansichten kundzutun und Kritik zu äußern. In diesem Sinn habe ich noch politischen Anteil.
Die sandinistische Revolution ist längst Geschichte. Literarisch harrt sie ihrer Aufarbeitung. Und Ramírez hat sich ans Werk gemacht. Sein nächster Roman handelt von nichts anderem als jenen bewegenden Jahren, die Nicaragua, allen politischen Verirrungen zum Trotz, am Ende die Freiheit schenkten.
Die sandinistische Revolution ist für mich vor allem eine Lebenserfahrung; in ihr setzte ich mich mit der Wirklichkeit meines Landes auseinander und suchte sie zu ändern. Es ist eine unersetzliche Erfahrung, ich kann sie heute weder rückgängig machen, noch mich sinnvollerweise fragen, ob ich vielleicht nicht hätte an ihr teilnehmen sollen. Darauf gibt es einfach keine Antworten. Ich habe teilgenommen, ich habe mich engagiert; ich bin ebenso verantwortlich für viele schlechte Dinge, die man getan hat wie für einige gute. Der ganze Menschheitsprozess ist offenbar unvollkommen, und die Revolution war es nicht minder. Am Ende kam dann die Niederlage - nicht nur, weil die Revolution in irgendeinem allgemeinen Sinne unvollkommen war, sondern weil ihre Grundlagen falsch waren. Die Revolution passte sich der Realität Nicaraguas nicht an, ging nicht konform mit dem, was das Land wollte. Was der Revolution in Nicaragua vor allem fehlte, war der Wille, die Demokratie zu verteidigen, sie nach vorne zu bringen. Ich denke, das war der grundlegende Irrtum, und wenn wir 1990 die Wahlen verloren haben, ist das nur angemessen; die Revolution erkannte den Wählerwillen an, und trat von der politischen Bühne ab. Aber die konstante Pflege der Demokratie hat Nicaragua ein neues Gesicht geschenkt.
Die Wahlniederlage dürfte nicht zuletzt daran gelegen haben, dass die sandinistische Revolution von Anfang an nicht nur eine Sache des Verstandes, sondern auch und vor allem eine des Herzens war. Schon auf den ersten Seiten seines Buchs schildert Ramírez den Befreiungskampf vor allem als ästhetisches Erlebnis. Und erstaunlich: dessen Ingredientien sind von denen der europäischen Jugendproteste Ende der 60er Jahre kaum verschieden:
Es gab eine Ästhetik dieser Dekade der 60er Jahre, sie reichte bis in die 70er Jahre. Seit den 50er Jahren begann sich die Welt entschieden zu ändern, ausgehend vom Prozess der Dekolonisation in Afrika und Asien. Die Dritte Welt begann sich zu ändern, und mit ihr änderte sich auch unsere Vorstellung von der Dritten Welt. Und auch in der Ersten Welt kamen neue, unterschiedliche Gefühle auf, jugendliche Gefühle von Rebellion und Veränderung. Das war eine kulturelle Haltung, und ich nahm sehr intensiv Teil an ihr - wie meine ganze Generation Teil an ihr nahm. Che Guevara war genauso ein Symbol dieser Rebellion wie die Beatles, genauso wie das Woodstock-Konzert, und die anderen gängigen Symbole.
Die Rebellion war 1968 aus Paris gekommen, es folgte der brutal niedergeschlagene Protest in Mexiko im Herbst 1968 auf dem Platz der drei Kulturen - all dies sorgte in Lateinamerika für eine von der kubanischen Revolution durchaus verschiedene revolutionäre Gärung. Und dieses Ferment, die ethische Erneuerung für eine andere, bessere Zukunft, rief dann auch die sandinistische Revolution hervor. Sie ist also eine direkte Tochter dieser amorphen Forderung nach einer anderen Welt, die sich in den 60er Jahren artikulierte.
Doch Ästhetik ist nur die eine Seite der Politik - verantwortliche Gestaltung der Macht die andere. Ramírez zufolge bereiteten sich die Sandinisten ihren politischen Untergang zu guten Teilen selbst. "Passt auf, Ihr seid dabei, euch vom Volk zu entfernen", warnte der damalige schwedische Ministerpräsident Olof Palme die sandinistischen Regierungsmitglieder nach einem Nicaragua-Besuch Anfang der 80er Jahre. Und in seinem Buch schildert Ramírez, was das hieß: Ohne den Marxismus-Leninismus könne der Sandinismus nicht revolutionär sein, verkündete 1982 der damalige Führer des Sandinistischen Volksheeres, Humberto Ortega; und er fügte hinzu, im Falle einer Invasion Nicaraguas durch die Vereinigten Staaten würden die Lichtmasten nicht ausreichen, die ganze Bourgeoisie aufzuknüpfen. Auch wenn er die Drohung später zurücknahm: Sätze wie diese erzeugten ein Klima, in dem, Zitat, "jedwede gemäßigte Stimme mehr als verdächtig wirkte". So gesehen, hat sich auch die Niederlage von 1990 in eine weitere Siegesstunde der nicaraguanischen Geschichte gewandelt: Denn sie brachte nichts Geringeres als den endgültigen Einzug der Demokratie, besorgte nicht nur die institutionelle, sondern auch eine mentale Erneuerung:
Ich glaube, dass die Bevölkerung in Nicaragua sich politisierte. Zwar identifizierten sich die Menschen nicht mehr mit der Sandinistischen Front als politischer Partei. Aber das Wichtigste war, dass sie eine Meinung hatten, Anteil nahmen. Man brauchte keine Angst mehr zu haben, mit einem Mikrophon rumzulaufen, öffentlich zu sprechen, sich kundzutun, Forderungen aufzustellen, sich zu organisieren. Und das verlieh dem politischen Leben des Landes einen neuen Charakter. Man dachte nun nach in der Gesellschaft.
Und Ramírez? Er widmet sich wieder dem Schreiben. Für seinen Roman "Margarita, está linda la mar", ein großartiges Porträt des nicaraguanischen Dichters Rubén Darío ebenso wie des Diktator Anastasio Somoza, erhielt er 1998 den renommierten Alfaguara-Preis. Doch auch als Schriftsteller will er sich von der Politik nicht verabschieden:
Ich habe die Literatur nur aufgegeben, um den Wechsel in Nicaragua zu fördern. Ich habe an diesem Wechsel sehr intensiv teilgenommen; mein Beitrag an der nicaraguanischen Revolution bestand darin, die Schriftstellerei aufzugeben. Auch heute, zurückgezogen vom aktiven politischen Geschäft, halte ich noch ein Fenster mit Blick auf die politische Situation in Nicaragua offen. Ich mische mich zwar nicht mehr direkt ein, äußere aber sehr wohl noch als Bürger meine Ansichten. Ich verstehe das als Bürgerpflicht; und aufgrund meines Rufes als Schriftsteller in Nicaragua fühle ich mich verpflichtet, meine Ansichten kundzutun und Kritik zu äußern. In diesem Sinn habe ich noch politischen Anteil.
Die sandinistische Revolution ist längst Geschichte. Literarisch harrt sie ihrer Aufarbeitung. Und Ramírez hat sich ans Werk gemacht. Sein nächster Roman handelt von nichts anderem als jenen bewegenden Jahren, die Nicaragua, allen politischen Verirrungen zum Trotz, am Ende die Freiheit schenkten.