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Adoption oder Verkauf

Das Wohl des betroffenen Kindes steht beim Thema Auslandsadoption nicht immer im Zentrum der Entscheidung. Und: Dahinter agiert eine Industrie mit handfesten Wirtschaftsinteressen. Die ist auch bei in der EU äußerst aktiv.

Von Katrin Matthaei | 21.04.2010
    Auslandsadoptionen bleiben für viele Paare die einzige Möglichkeit.
    Auslandsadoptionen bleiben für viele Paare die einzige Möglichkeit. (Jan-Martin Altgeld)
    Ein Internetvideo der italienischen Adoptionsagentur Amici dei Bambini. Mehrere afrikanische Kinder stehen vor einigen Hütten und schauen verunsichert in die Kamera. Im Hintergrund mahnt Firmenchef Marco Griffini: Diese kongolesischen Kinder brauchen dringend unsere Hilfe, ihre eigenen Eltern haben sie verstoßen. Spätestens hier schrillen bei Roelie Post alle Alarmglocken. Die Niederländerin arbeitete bis vor kurzem für die EU-Kommission im Bereich Kinderschutz.

    "Die gehen in die armen Gegenden und Dörfer, und gucken, wo es arme Familien gibt, oder allein stehende Mütter, oder Familien in Krise, und sagen dann: wir haben eine bessere Lösung: Ihr Kind kann in ein Heim und eine gute Ausbildung kriegen. Und am Ende geht das Kind dann ins Ausland."

    Roelie Post kennt viele solcher Fälle und kämpft für ein weltweites Verbot der Auslandsadoption – auch hier in Europa. Denn Ende der 90er-Jahre hatte sie in Rumänien systematischen Handel mit Heimkindern aufgedeckt. Damals war sie verantwortlich für die Bewilligung von EU-Geldern an den rumänischen Kinderschutz und kam hinter ein ausgeklügeltes System.

    "Ausländische Adoptionsagenturen geben Geld für den Kinderschutz in Rumänien und haben dafür Punkte gekriegt. Und das Adoptionsbüro, was die meisten Punkte hatte, kriegte auch die meisten Kinder."

    Je mehr Geld eine ausländische Adoptionsagentur an ein Heim spendete, desto mehr Kinder erhielt sie für Auslandsadoptionen. Daher auch das Interesse der Agenturen an möglichst hohen Hilfsgeldern der EU für die Heimstrukturen. Auf diese Weise wurden mehr als 30.000 rumänische Kinder ins Ausland vermittelt - oft ohne Wissen der Eltern. Roelie Post wandte sich an ihren obersten Chef: Günter Verheugen, damals Erweiterungskommissar. Der forderte von Rumänien einen sofortigen Adoptionsstopp. Vor kurzem bestätigte Verheugen erstmals öffentlich, dass der Fall des drohenden Adoptionsverbots in Rumänien damals auch die politische Ebene erreichte:

    "Der politische Druck kam immer wieder aus denselben Ländern: Aus Frankreich, aus Italien, aus Spanien, aus Israel und aus den USA. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit dem rumänischen Ministerpräsidenten, dem ich gesagt habe: Meine Geduld ist zu Ende, ihr lasst jetzt keine Adoptionen mehr zu oder ich kann euch nicht helfen, was den Beitritt zur Europäischen Union anbelangt. So scharf ist das gewesen."

    In der Folge entschied sich Rumänien 2004 generell gegen Auslandsadoptionen und unterstützt die bedürftigen Familien seither direkt, sodass sie nicht mehr auf Heime angewiesen sind. Für die Adoptionsindustrie war das ein Schock, wie sich zeigen sollte. Rumänien steht seitdem unter enormem Druck der Lobbyisten.

    "Es ist das erste große Land, was wirklich zu gemacht hat: keine Adoptionen ins Ausland mehr. Die Lobby hat Angst, dass andere Länder dem Beispiel folgen würden, und das ist auch passiert: Das heißt, es gibt im Moment viel weniger Kinder als vorher. Deshalb ist der Druck riesig groß."

    So auch im EU-Parlament.

    Marco Griffini, der Chef der italienischen Adoptionsagentur, nutzte unlängst den Petitionsausschuss des Parlaments, um Rumänien an den Pranger zu stellen. Griffini stellt den Antrag, Rumänien der Menschenrechtsverletzung zu bezichtigen:

    "Ich verstehe nicht, warum Rumänien, dieses Land, das wir immer geliebt haben, die internationale Adoption verboten hat und den armen Kindern das Recht auf eine Familie verwehrt. Schließlich warten Zehntausend rumänische Kinder auf eine Adoptivfamilie."

    Die rumänischen Behörden relativieren Griffinis Statistik und sprechen von rund achthundert Kindern, die auf eine Adoption warten.

    Im EU-Parlament erhält der Leiter der italienischen Adoptionsagentur Unterstützung von der italienischen Abgeordneten Patricia Toia: Rumänien könne doch ein bilaterales Adoptionsabkommen mit Italien schließen, schlägt sie vor. Auch die zuständige EU-Beamtin, die Italienerin Patrizia de Luca, findet: Der Antrag könne Rumänien vielleicht zum "Umdenken" bewegen. Dabei ist sie eigentlich zu Neutralität verpflichtet. Empörung beim rumänischen EU-Abgeordneten Victor Bostinaru, dessen Land ja auf Drängen der EU jenen Adoptionsstopp verhängt hatte:

    "In meinem Land waren hochrangige Politiker in Kindeshandel verwickelt, auch die Justiz und die Adoptionsbehörden. Und jetzt hier im EU-Parlament zu verlangen, dass mein Land die internationale Adoption wieder erlauben soll – ist nicht nur gefährlich, sondern auch moralisch und politisch inakzeptabel!"

    Am Ende fällt der Antrag durch, das Parlament votiert gegen die Aufforderung, Rumänien möge sein Adoptionsverbot lockern. In den Hinterzimmern geht die Lobbyarbeit der Adoptionsagenturen indes weiter.