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Adrenalin-Junkies in der Küche

"Es war ein langes, hartes, mein Selbstvertrauen erschütterndes, von Grund auf erniedrigendes Erlebnis", weiht der Autor seine Leser gleich auf den ersten Seiten ein. Gemeint ist Bill Bufords Neuanfang mit fast 50 als Lehrling bei Sterneköchen in Amerika und Italien.

Von Brigitte Neumann | 15.04.2008
    Die in jahrzehntelanger Arbeit aufgebaute Karriere in England beim Magazin "Granta", dann in Amerika beim "New Yorker" gab er auf und startete bei Null. Genauer gesagt: in engen, heißen, gekachelten Räumen, wo er 14 Stunden lang stehen und säckeweise Karotten würfeln, Lammzungen häuten, am offenen Feuer Fische, Steaks, Entenbrüste grillen musste - im Akkord, und alles unter Beobachtung eifersüchtiger Kollegen.

    Die Küche fördert Gefühle wie bei Waffenkameraden - die Stunden, der Druck, die Notwendigkeit, zusammenzuarbeiten - , und diese gezielte öffentliche Schelte, dieser Spektakel "Schaut ihn euch an, er hat Scheiße gebaut" war allen unangenehm: irgendwie traf es mitten ins Herz dessen, was es bedeutete, ein Mitglied zu sein.

    Er wurde geschubst, verlacht, gemieden, angepöbelt. Eine weltweit renommierte Autorität in Sachen Literatur - in den schwitzigen Küchen New Yorker Edelrestaurants galt er nichts. Die Schilderungen seiner Demütigungen und der anschließenden Selbstzerfleischungen füllen ein Drittel des Buches. Herzerweichend zu lesen, amüsant und sympathisch. Aber Buford ist ein Kämpfer. Es war von vornherein abzusehen, dass er nicht lange der Verlierer in der Küche bleiben würde. Mit Biss, Charme und schier unerschöpflichem Ehrgeiz erarbeitete er sich seinen Platz als Postenkoch bei Mario Batali, eine erste Adresse in New York.

    "Ich fand heraus, dass es mir Spaß macht. Und was ich auch herausfand, war, dass diese Arbeit einen Teil meines Gehirns beanspruchte, der die letzten 30 Jahre bei mir brach gelegen hatte. Denn: Man kann zwar lesen, wie man ein Tier zerlegt. Aber hinterher wird man immer noch keine Ahnung davon haben. Solche Bücher sind nutzlos. Man kann lesen, wie man Pasta macht, aber wird es hinterher nicht können. Man lernt diese Dinge, die man mit den Händen macht, indem man Leuten zusieht, wie sie sie mit den Händen machen. Und dann imitiert man ihre Bewegungen. Das ist eine sehr physische, handwerklich befriedigende Tätigkeit. Ich mag den ganzen Wortkram immer noch. Und meine Freunde sind immer noch hauptsächlich Schriftsteller. Und ich könnte auch nicht leben ohne zu schreiben, aber es war für mich eine Befreiung zu lernen, wie man etwas mit den Händen macht. Speziell Essen mit meinen Händen zu machen. Und am Ende ist da der Gedanke: Was ich hier mache, das geht in jemanden hinein. Er wird es zu sich nehmen, kauen, schlucken."

    Kochen ist für Bill Buford die radikalste Form zu sein, Einfluss zu nehmen, viel wirksamer als Schreiben. Essen wird zu Fleisch, Sätze werden nur zu flüchtigen Bildern. Essen geht tief. Essen ist eine absolute und ursprüngliche Form, sich die Welt anzueignen. Wir essen: Kirschen, Käse, ein Huhn, und daraus wächst unser Körper. Ein Koch sollte jede Art von Fleischlichkeit kennen, findet Buford:

    "Bei Essen geht es um Genuss. Und darum, einen Appetit zu stimulieren, um ihn anschließend zu befriedigen. Und obwohl eine Lust nicht notwendigerweise zur nächsten führt, gibt es da eine Verbindung auf der geruchlichen, der sinnlichen und der Ebene des Tastens. Ich habe mal den Ernährungswissenschaftler Harold McGee gefragt, was denn seines Erachtens das Erotische an Austern sei. Er antwortete, dass es da keinerlei wissenschaftlich nachweisbare Verbindung gäbe. Aber da seien natürlich diese ganzen Sinnes-Sensationen beim Essen einer Auster. Schon wenn man diese glitschigen, nassen, nach Meer duftenden Dinger anfasst und dann ausschlürft. Das ist roh. Das ist eine Sauerei. So ist das mit der Lust und den Austern."

    Bill Buford ist einer, für den Leben und Schreiben etwas Dramatisches haben. Die große Geste, Leidenschaft, Qual und Lust liegen eng beieinander. Er ist einer der seltenen Reporter, die sich eines Themas mit Haut und Haaren annehmen.

    Also bot er sich an, als Küchensklave: zuerst ein Jahr lang in der Hochleistungsküche Mario Batalis in New York, dann sozusagen zum Grundstudium bei Metzger Dario in der Toscana und bei Pastaköchin Betta in Poretta.

    Bill Buford war Ende der achtziger Jahre schon einmal aus dem Literaturbetrieb ausgestiegen und hatte ein Jahr unter englischen Hooligans gelebt. Damals war dabei das Buch "Geil auf Gewalt" entstanden. Darin schildert er, wie er Gewalt in der Masse erlebte: als Kick. Und wie er vom Fußballbegeisterten zum Fantier mutierte.

    Welche Verbindung besteht zwischen seinen beiden Büchern über Hooligans und übers Kochen?

    "Sie meinen, außer dass sie von Männern handeln, die sich auf engstem Raum extrem schlecht benehmen. Und die sich so organisieren, dass Andere nicht dazukommen dürfen, außer sie werden Mitglied, was bedeutet, einem Initiationsritus unterzogen zu werden, der sehr weh tut. Nein sonst gibt es keine Gemeinsamkeiten. Beide Adrenalin-Junkies. Aber sonst, keine Gemeinsamkeiten."
    In Deutschland zu Besuch, wurde Buford unablässig bekocht. Drei mal Kutteln am Tag. Da hieß es, Contenance bewahren:

    "Es ist auch etwas ganz wunderbares an Kutteln. Sie haben so dieses spezielle Darm-Aroma. Und wenn es Kutteln zu essen gibt, weiß man: Das ist ein Restaurant, da wissen die Köche etwas mit dem ganzen Tier anzufangen. Denn alles an so einem Tier schmeckt gut, man muss nur wissen, wie man es zubereitet. Ich habe ein paar Monate in einem Luxusrestaurant des britischen Sternekochs Gordon Ramsey verbracht. Es ist eine gute Küche und er ist ein Mann, berühmt für seine Höflichkeit, für seine Eleganz, und seine charmante Art der Ansprache. Aber diese vorgeschnittenen, vakuumversiegelten, Premium- Fleischstücke, die jeden Tag dort angeliefert und verarbeitet wurden ... der Kaviar, die Trüffel, die ganzen Luxus-Dinge. Da fehlte einfach das Tier. Die servierten eine Abstraktion. Das Fleisch schmeckte gut, keine Frage. Aber es ist als würden Sie einen Protein-Auszug essen: Tofu."

    An seine Initiation in die Riten der italo-amerikanischen Sterneküche wird sich eine Expedition in die französische Küche anschließen, beginnend mit einem Küchenpraktikum bei einem Franzosen in Amerika, dem Washingtoner Sternekoch Michel Richard.

    Richard muss wegen anschließender Buchveröffentlichungen keine Angst haben. Bufords Küchenthriller "Hitze" hält die Balance zwischen Sensation und Diskretion.

    "Fakt ist, dass ich eine ganze Menge Material nicht für mein Buch benutzt habe. Trotzdem bin ich ganz schön weit gegangen. Bis an die Grenzen. An einigen Stellen vielleicht sogar ein wenig darüber hinaus. Aber ich habe nicht alles geschrieben. Was meine Schriftstellerfreunde angeht, ich habe jahrelang mit extrem temperamentvollen oder auf andere Weise extremen Literaten verbracht. Die sich ganz in der Tradition von Saul Bellow und Norman Mailer daneben benahmen. Aber als ich anfing, meine Zeit mit Sterneköchen zu verbringen, wurde mir klar, dass meine Schreiber Waisenknaben gegenüber den Chefköchen sind. Die sind wirklich extrem. Leute wie Mario Batali, nicht nur er, das sind agile, kluge, schnell denkende Leute, die sich jeden Tag aufs neue unter eine Art athletischen Druck setzen. Das führt zu diesem komprimierten Denken, das sehr unterhaltend sein kann. Sogar urkomisch. Einige Chefs hassen den Druck. Andere tolerieren das für eine gewisse Zeit. Und einige lieben es. Sie blühen da erst richtig auf. Man kann beobachten, wie sie sich warm laufen, bevor die Gäste kommen. Wie sie langsam Gas geben und dann schießt das Adrenalin ein. Und bleibt für Stunden. Sie sind Adrenalin-Junkies. Nicht alle Sterneköche sind so, aber fast alle sind durch eine solche Phase gegangen. Und einige mögen es, denen geht es am besten, wenn es richtig aufregend wird."
    "Hitze" ist ein Buch, das vor Eitelkeit und Angeberei manchmal förmlich schillert. Besonders die Episoden mit Klatsch und Tratsch aus führenden New Yorker Restaurants. Aber "Hitze" ist auch nahrhaft - in jeder Hinsicht: bildet, unterhält und regt den Appetit an. Hier speziell Bufords Geschichten über handgemachte Pasta, karamelisierte Polenta, und zarten Peposo Notturno, einer langsam gegarten Rinderhaxe:

    Außer dem Rindfleisch hat das Gericht vier Zutaten - Pfeffer, Knoblauch, Salz und eine Flasche Chianti. Alles in einen Topf geben, in den 100 Grad heißen Backofen stellen bevor man zu Bett geht, und wieder herausnehmen, wenn man aufsteht.

    Bill Buford
    Hitze
    Abenteuer eines Amateurs als Küchensklave, Sous-Chef, Pastamacher und Metzgerlehrling
    aus dem Amerikanischen von Dinka Mrkowatschki
    Carl Hanser Verlag