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Adressen wie Sand am Meer

Internet.- Vor 15 Jahren begann die Planungsgruppe der Internet Engineering Task-Force mit den Arbeiten an Version 6 des Internet-Protokolls. Damals ging man davon aus, dass der Adressraum von Version 4 des Protokolls noch viele Jahre reichen würde – damals.

Von Peter Welchering | 27.02.2010
    Die Mitglieder der Internet Engineering Task-Force wollten im Jahr 1995 vor allen Dingen ein politisches Problem lösen: Durch mehrfache Umstrukturierungen der Internetverwaltung änderte sich im Laufe der Jahre auch des Öfteren die Vergabepraxis für Internetadressen. Das hatte bei IP-Version 4 zur Folge, dass keine durchgängigen und aufeinander folgenden Internetadressen, Telefonnummern vergleichbar, vergeben wurden. Stattdessen wurde je nach Vergabepraxis mal der eine Nummernblock bevorzugt, mal ein anderer.

    Der ursprüngliche Plan, Internetadressen nach einer ähnlichen Systematik zu vergeben wie internationale Telefonnummern, war damit gescheitert. Im Gegenteil: Der Adressraum wurde regelrecht fragmentiert, in bruchstückhafte Bereiche zerlegt. Ohne jede Systematik wurden teilweise unterschiedliche Nummernblöcke für Adressen innerhalb derselben Top-Level-Domain vergeben. Mal wurden aufeinander bezogene Nummernblöcke aus einer bestimmten Top-Level-Domain zum Teil einfach herausgezogen.

    Das hatte in technischer Hinsicht erhebliche Konsequenzen: Weil mehrere nicht zusammenhängende Adressbereiche zur gleichen organisatorischen Instanz gehörten und weil zusammengehörende Adressbereiche auf unterschiedliche Instanzen aufgeteilt worden waren, mussten sämtliche Domainnamen und die ihnen zugeordneten Internet-Adressen in Routing-Tabellen aufgeführt werden, damit die Datenpäckchen mit einer ausreichenden Geschwindigkeit und entsprechender Sicherheit transportiert werden konnten. Lange Routing-Tabellen aber erfordern große Speicher bei den Routern und belasten natürlich auch deren Prozessoren. Denn das Berechnen der Routen setzt das systematische Abarbeiten der Routing-Tabellen voraus. Das kostet Rechenzeit.

    Deshalb überlegten sich die Internet-Ingenieure für die neue Protokollversion einen ganz einfachen und systematisch aufgebauten Protokollrahmen, der mit Umnummerierungen die Zerstückelung des Adressraums verhindert. Außerdem werden dadurch die sogenannten Kopfdaten der Datenpäckchen, die Angaben über den Absender, den Empfänger, die Reihenfolge der zu einer Datei zählenden Datenpäckchen und Routeninformationen enthalten, wesentlich verringert.

    Bei den Abschlussberatungen zu IP-Version 6 im Herbst 1998 gewann dann auf einer Tagung der Internet Society in Genf plötzlich ein ganz anderer Punkt eine enorme Bedeutung: Ira Magaziner, Chefberater des damaligen US-amerikanischen Präsidenten Bill Clinton in Sachen Internet, hatte eine Studie vorgestellt, dass der weltweite Vernetzungsgrad explosionsartig wachsen würde. Der Adressraum der Internet-Protokollversion 4 mit seinen gut vier Milliarden Adressen wäre hilflos überlastet, wenn beispielsweise jedes Auto, jedes Schiff, jeder Eisenbahnwaggon und jedes Flugzeug eine Internet-Adresse benötigen würde, um eine intelligente Verkehrssteuerung zu ermöglichen.

    Doch die Mitglieder der Internet Engineering Task-Force lächelten müde, als sie Ira Magaziners Zukunftswarnungen hörten und teilten mit, dass die von ihnen entwickelte Version 6 des Internet-Protokolls etwas mehr als 340 Sextillionen Internet-Adressen zur Verfügung stellen würde. Das bedeute gegenüber Version 4 eine Vergrößerung um den Faktor 2 hoch 96, eine gigantische Zahl also.

    Als Magaziner das hörte, machte er mächtig Druck. Und so wurde noch im Dezember der RFC, der "Request for Comment 2460" veröffentlicht. Ein RFC hat in der Internet Gemeinde den Rang eines Standards. Mit dem RFC 2460 wurde die IP-Version 6 offiziell zur Nachfolgeversion von IPv4 gekürt.

    Doch der schier unendliche Adressraum ist nur ein Vorteil der neuen Version 6. Für Organisationen, aber auch Privatanwender dürfte der größte praktische Nutzen von IPv6 darin liegen, dass sie nicht mehr nur eine einzige IP-Adresse von ihrem Internet-Provider zugewiesen bekommen, sondern einen weltweit einmaligen Adressraum, in dem sie nahezu so viele Computer, Geräte oder Funkchips betreiben können, wie sie wollen. Sie alle sind ganz eindeutig über ihre jeweilige IP-Adressse zu identifizieren und zu erreichen. Hilfslösungen, wie eine Übersetzung von Netzwerkadressen, die bei Version 4 dafür sorgen, dass mehrer Geräte über eine IP-Adresse erreichbar und identifizierbar sind, werden mit Version 6 überflüssig.

    Internet-Protokoll-Adressen sind bei Version 6 stolze 128 Bit lang. Bei Version 4 sind sie nur 32 Bit lang. Die ersten 32 Bit werden den Internet-Providern zugeteilt, die die restlichen Adressbit in Subnetze aufteilen können. Üblicherweise werden das 64 Bit sein. Auf diese Weise kann der Internet-Anwender seine Geräte selbstständig in Subnetze aufteilen oder einzelne Adressen vergeben. Das Internet wird also wesentlich flexibler mit Version 6 des Internet-Protokolls.