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Ächzende Alpen

Vor rund 20 Jahren beschlossen die Alpen-Anrainerländer ein internationales Abkommen, um die Natur der Bergregion gemeinsam zu schützen, doch genau das ist nicht ganz so einfach: Jedes Land hat da seine Interessen - und will sie durchgesetzt sehen.

Von Michael Watzke |
    Wenn heute in Poschiavo die Umweltminister der Alpenländer tagen, dann wünscht sich Jörg Ruckriegel, der Ressortleiter Umwelt und Naturschutz beim Deutschen Alpenverein (DAV) ...

    " ... dass die Alpenkonvention verstärkt umgesetzt wird und wieder verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gelangt. Um die grundsätzlich positiven Ziele, die da drin sind, tatsächlich in Maßnahmen umzusetzen. Es gibt sehr viele Projekte im Rahmen der Alpenkonvention. Auch was die Siedlungspolitik angeht. Zum Beispiel das Netzwerk 'Allianz in den Alpen', wo sich Gemeinden zusammengeschlossen haben, die eine nachhaltige Entwicklung anstreben. Es gibt den Verein 'Alpenstadt des Jahres'. Das sind alles positive Beispiele. Und so was muss einfach in der Breite noch mehr umgesetzt werden."

    Aber wie, wenn bisher nicht mal alle Alpenländer die Protokolle der Alpenkonvention ratifiziert haben? In Italien etwa versucht die LKW-Lobby das Verkehrsprotokoll zu bremsen – es hängt im Senat in Rom fest. Und das Schweizer Parlament lehnt bisher sämtliche Protokolle der Konvention ab:

    "Die Schweiz hat vor allem Angst vor einer Einflussnahme von außen. Die sie dann in ihrer Autonomie bedroht."

    Dabei unterstützt sogar die Schweiz die grundsätzlichen Ziele der Alpenkonvention: etwa Schutz des einzigartigen Naturraums und ein staatenübergreifendes Verkehrskonzept für den am dichtesten bevölkerten Hochgebirgsraum der Welt.

    "Es gibt Aussagen in der Alpenkonvention zum Thema 'Siedlungs-Entwicklung'. Und da geht es ganz klar auch darum, eine Zersiedlung zu verhindern. Den Zweitwohnungsbau zu sanktionieren. Die traditionellen Siedlungsstrukturen zu erhalten. Das sind im Grunde alles Ziele, die auch von der Schweiz inhaltlich voll unterstützt werden."

    Bisher ist die Alpenkonvention ein zahnloser Tiger, kritisiert Bayerns bekanntester Alpenwissenschaftler Werner Bätzing, Professor am Institut für Geographie der Uni Erlangen.

    "In der Alpenkonvention muss man international denken. Das ist heute immer noch extrem schwer. Italienische Befindlichkeiten gegen österreichische Befindlichkeiten, bayerische gegen französische. Das ist immer noch eine ganz schwierige Angelegenheit."

    Professor Bätzing kritisiert, dass heute in Poschiavo nur die Umweltminister der Alpenländer verhandeln. Es gehe bei der Alpenkonvention um mehr als nur um Umweltschutz:

    "Es geht darum, Wirtschaft und Umwelt in eine Balance zu bringen. Also muss das Wirtschaftsministerium dabei sein."

    Kaum ein Wirtschaftsraum in Europa ist so stark belastet wie die Alpen. Millionen Touristen zieht es jedes Jahr auf die Berggipfel. Millionen Tonnen Fracht donnern jedes Jahr auf Straßen und Schienen durch die Bergtäler. Der Klimawandel sorgt für Erdrutsche und Überschwemmungen, weil sich der Permafrost-Boden verändert. Und die Gletscher schmelzen sichtbar. Bis zum Jahr 2100, sagen ernst zu nehmende Prognosen voraus, könnten zwei Drittel aller europäischen Gletscher verschwunden sein. Dabei spielen die Alpen als Wetterscheide und Wasser-Reservoir eine zentrale Rolle für das Klima in ganz Europa. Könnte man die Berge hören, sagt Jörg Ruckriegel vom Deutschen Alpenverein, sie würden ächzen:

    "Die Alpen sind tatsächlich an der Grenze der Belastbarkeit angelangt. Es gibt unterschiedlichste Interessen. Sehr viele Funktionen, die aufeinandertreffen und um die letzten Naturräume konkurrieren."

    Die Berge sind von allen Seiten bedroht: von Klima, Verkehr, Zersiedlung und Tourismus. Kann die Alpenkonvention dieser Bedrohung wirklich wirksam begegnen?