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Ägypten
Wirtschaftliche Stabilität vor Menschenrechten

Die Verfassung, die in Ägypten zur Abstimmung steht, trage die deutliche Handschrift des Militärs, sagt Ronald Meinardus von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo. Für die Ägypter sei vor allem wirtschaftliche Stabilität wichtig. Dafür seien viele bereit, auf Demokratie zu verzichten, sagte er im DLF-Interview.

Ronald Meinardus im Gespräch mit Peter Kapern |
    Ein älterer Mann wirft seinen Wahlschein am ersten Tag des Volksreferendums ein.
    Ein Ägypter bei der Stimmabgabe am ersten Tag des Volksreferendums. (dpa / Khaled Elfiqi)
    Peter Kapern: In Scharen sind sie gestern zu den Stimmlokalen geströmt, die Ägypter. Zwei Tage lang bis heute einschließlich können sie über die neue Verfassung abstimmen. Die Mehrheit scheint sicher, schließlich haben die Putschgeneräle massiven Druck ausgeübt auf jeden, der Argumente gegen diese Verfassung vorzubringen versucht hat. Unabhängig davon hat es gestern etliche Anschläge auf Stimmlokale und gewaltsame Auseinandersetzungen gegeben. Elf Menschen sollen dabei gestorben sein.
    Mitgehört hat Ronald Meinardus, der Leiter des Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo. Guten Morgen.
    Ronald Meinardus: Schönen guten Morgen!
    Kapern: Herr Meinardus, wie eindeutig trägt die neue Verfassung den Stempel der Putschgeneräle?
    Meinardus: Es gibt wie bei allen politischen Auseinandersetzungen Gewinner und Verlierer, und die Gewinner in dieser Verfassung sind eindeutig diejenigen, die im vergangenen Sommer den Putsch gegen die Muslim-Brüder-Regierung initiiert haben und mitgetragen haben. Das ist vor allen Dingen das Militär, dann aber auch die Polizei, die Justiz und die christlich-koptische Kirche. Insofern kann man davon ausgehen, dass in hohem Maße hier auch die militärische Handschrift erkennbar ist. Das Militär hat sich weitreichende Privilegien in der neuen Verfassung zugesichert, und das ist sicherlich eines der Merkmale dieser neuen Verfassung.
    Kapern: Was für ein politisches System wird Ägypten denn mit dieser neuen Verfassung sein? So etwas wie eine Halbdemokratie von Gnaden der Generäle?
    Meinardus: Ja das wird die Zukunft zeigen, und es gibt ja unterschiedliche Narrativen. Das ist auch typisch für ein Land, das tief gespalten ist: auf der einen Seite natürlich die Anhänger der neuen Regierung, darunter auch interessanterweise demokratische, liberale, sozialdemokratische, säkulare Parteien. Diese Menschen sagen, das ist der erste Schritt in eine neue demokratische Zukunft. Auf der anderen Seite natürlich die Unterlegenen, vor allen Dingen die Islamisten, die sagen, das ist des Teufels Werk, wir gehen hier in eine faschistoide oder sogar eine offen faschistische Ordnung. Es kommt sehr darauf an, wen Sie fragen, und die Zukunft dazu ist offen.
    Kapern: Sie haben es gerade angedeutet: Zu den Verlierern dieser Abstimmung, zu den Verlierern der letzten Monate gehören die Islamisten. Ist das so etwas wie das Ende des politischen Islam, das wir dort derzeit erleben, zumindest des politischen Islam in Ägypten?
    Meinardus: Sehr auffällig am ersten Tag ist doch, dass es nicht zu den erwarteten und befürchteten gewalttätigen Störungen und Sabotageaktionen gegen dieses Referendum gekommen war. Die Muslim-Brüderschaft, die sehr stark an den Rand gedrückt wird, die mit dem Rücken zur Wand stehen, hatten gesagt, es wird eine neue revolutionäre Eskalation, so wörtlich, geben, und diese ist ausgeblieben. Sie hatten angedroht, das Referendum gewissermaßen unmöglich zu machen durch verschiedene Aktionen des zivilen Ungehorsams und dergleichen. Das ist ausgeblieben. Wie Ihre Korrespondentin gesagt hat: Es ist hier wirklich zu sehr hoher Wahlbeteiligung gekommen, wobei ich hier auch relativieren muss. Ich habe mich selber gestern an verschiedenen Wahllokalen aufgehalten. Es ist in der Tat in wohlhabenden Regionen zu einem wahren Ansturm gekommen. Auf der anderen Seite ist in Gegenden, wo die Muslim-Brüder traditionell stark sind, so gut wie überhaupt nicht gewählt worden. Insofern werden wir heute abwarten müssen, wenn wir denn überhaupt davon ausgehen können, dass die Ergebnisse über die Wahlbeteiligung seriös sind und nicht manipuliert werden.
    "Die Liberalisierung der ägyptischen Wirtschaft ist die Voraussetzung für eine Entwicklung"
    Kapern: Noch mal zurück zu den Muslim-Brüdern, Herr Meinardus. Das was Sie gerade geschildert haben, bedeutet das, dass diese Bewegung so weit marginalisiert ist, dass sie im politischen Leben Ägyptens auf viele Jahre keine Rolle mehr spielen werden?
    Meinardus: Das ist die erklärte, die deklarierte Absicht der jetzigen Regierung, die sagt, sie wollen nicht, dass sie im politischen Leben eine Rolle spielen, und genau das ist auch das Grundproblem. Das ist auch das Grundproblem des Westens, auch unserer Bundesregierung, die immer sagt, wir streben nach einem inklusiven politischen Prozess. Wenn es nach der Regierung geht, haben die Muslim-Brüder dort nichts zu suchen. Sie sind vor einigen Wochen zur terroristischen Organisation deklariert worden. Menschen, die sich hier mit Insignien der Muslim-Brüder bewegen, werden verhaftet. Insofern sind sie hier im Lande politisch tot, sie müssen in den Untergrund, und das ist genau der Grund, dass man in Bezug auf die politische Stabilität in Ägypten ein bisschen vorsichtig sein muss bei einer Beurteilung.
    Kapern: Sie haben eingangs, Herr Meinardus, von den Privilegien der Militärs gesprochen, die durch diese Verfassung gesichert werden. Das sind nicht zuletzt enorme wirtschaftliche Privilegien. Das Militär kontrolliert ein wahres Wirtschaftsimperium in Ägypten. Wenn dies nun zementiert wird, bleibt dem Land dann der Weg zu wirtschaftlicher Entwicklung verschlossen?
    Meinardus: Ja, das ist die große Frage. Viele Menschen strömen jetzt zu den Wahllokalen und unterstützen damit indirekt eine absehbare Kandidatur des Verteidigungsministers und Militärschefs Abdel Fattah al-Sisi. Sie erwarten sich von diesem General eine innenpolitische Stabilisierung. Der Mangel an Stabilität ist der Hauptgrund für den wirtschaftlichen Verfall, und das müssen wir auch vor Augen haben. Seit der Revolution vor drei Jahren geht es dem Land von Tag zu Tag schlechter. Viele Menschen, vor allen Dingen auch im Mittelstand, sind abgerutscht in die Armut, und diese Menschen erwarten sich Stabilität und sind bereit, in Ansicht dieser Erwartung auch auf Menschenrechte und Demokratie und sonstige, sagen wir mal, postmaterielle Werte zu verzichten. Das ist die Gemengelage hier in Ägypten, die für westliche Beobachter, vor allen Dingen für liberal eingestellte westliche Beobachter, nicht immer leicht zu verstehen ist.
    Kapern: Gehen Sie denn davon aus, dass wirtschaftliche Entwicklung kommen, funktionieren kann, wenn das Militär der größte wirtschaftliche Akteur ist?
    Meinardus: Die Liberalisierung der ägyptischen Wirtschaft ist die Voraussetzung für eine Entwicklung, und eine sehr starke Kontrolle der Wirtschaft bis zu 30 Prozent durch einen nicht marktwirtschaftlichen Akteur ist dort kein positiver Faktor. Das ist nicht nur meine Meinung, das ist die Meinung vieler Experten, die sich mit diesem Thema sehr gut auskennen.
    Kapern: Ronald Meinardus war das, der Leiter des Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo. Herr Meinardus, ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen einen schönen Tag!
    Meinardus: Danke schön! Auf Wiederhören!
    Kapern: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.