Achmed Amin sitzt im Wohnzimmer seiner Großmutter. Die Wohnung liegt nur wenige hundert Meter vom Tahrir-Platz entfernt. Von hier aus geht Achmed fast jeden Freitag demonstrieren. Seine Kamera hat er seit Beginn der Revolution immer dabei. Der Student, 22 Jahre alt, hält den Laptop auf dem Schoss, zeigt Bilder von Menschen, die vor Schüssen fliehen, von Ohnmächtigen und Verletzten.
"Wir und andere Jugendliche haben nichts gewonnen. Wir bezahlen noch immer den Preis. Hunderte sind während und nach der Revolution gestorben. Nichts ist dadurch besser geworden. Die einzigen, die profitieren sind die Parteien. Die Moslembruderschaft und das Exregime, das weiter an der Macht ist."
Noch immer haben die mächtigen Generäle die Fäden in der Hand, nicht etwa Ägyptens erster frei gewählter Präsident, der Islamist Mohammed Mursi. Der ist auf Konfrontationskurs mit dem Militärrat, hat das vom Militärrat aufgelöste Parlament wieder eingesetzt. Inzwischen hat das Revisionsgericht festgestellt, dass der Präsident dafür keine Befugnis hat. Außerdem warten wir weiter auf ein Grundgesetz, klagt Achmed. Ein Urteil darüber, ob die von den Moslembrüdern dominierte Verfassungskommission rechtmäßig ist, wird immer wieder verschoben. Politisches Chaos, aber Achmed ist entschlossen: Er wird solange auf die Straße gehen, bis sich endlich etwas ändert.
"Es ist schwierig für mich, einen Job zu finden ohne eine Empfehlung von jemandem, der eine Position hat. So läuft das in Ägypten. Alles ist korrupt. Wer Geld und Macht hat, kann seine Träume leben, wer keine Empfehlung und kein Geld hat, erreicht nichts."
Seine Tante Gihan rührt in einem Teeglas. Die gläubige Muslimin, 47 Jahre alt, trägt ein bunt gestreiftes Kopftuch, einen langen Rock. Sie ist überzeugt davon, dass die Moslembrüder die Ideale der Revolution verraten haben. Seit der Wahl verfolgt sie den Machtkampf zwischen Mursi und dem Militärrat. Bisher haben wir nichts erreicht, meint sie, keine Pressefreiheit, keine Gewaltenteilung, keine unabhängige Justiz.
"Wir leben ganz gut, es fehlt uns an nichts. Aber ich kann nicht in einem Land leben und sehen wie die Leute vom Müll essen. Wir, die Ägypter, 40 Prozent, vielleicht mehr, leben wie Tiere und das finde ich unmenschlich."
Zwar hat Mursi sich auf dem Tahrir-Platz als Präsident aller Ägypter empfohlen. Er hat den 30 Millionen Armen Hilfe versprochen. Er will die Gesundheitsversorgung verbessern, in Bildung und Infrastruktur investieren. Doch Gihan ist skeptisch, glaubt den Moslembrüdern kein Wort. Ihr Handy blinkt. Sie twittert täglich viele Stunden. Seit der Revolution hat sie damit nicht mehr aufgehört. Andrew meldet sich, ein christlicher Kopte, den sie auf dem Tahrir-Platz kennen gelernt hat. Er wartet dort, in einer der vielen Gassen nebenan.
Junge Männer und Frauen sitzen an winzigen Tischen, rauchen Wasserpfeife, trinken Tee und Säfte ohne Alkohol. Abends gibt es in den sogenannten Revolutionsgassen selten einen freien Stuhl. Kinder betteln, verkaufen pinkfarbene Zuckerwatte, Bohnen und Nüsse. Andrew, 25 Jahre alt, ist Kopte. Auch er ist ein Revolutionär der ersten Stunde. Zwar hat Mursi angekündigt, dass ein Kopte, stellvertretender Präsident werden könne. Doch Andrew befürchtet, wie viele ägyptische Christen, eine radikale Islamisierung.
"Die Ikhwan werden die Scharia als Rechtsform einsetzen und den Bau von Kirchen beschränken. Als Kopte fühle ich mich in Ägypten wie ein Mensch zweiter Klasse."
Viele meiner Freunde sind Moslems, mit denen habe ich keine Probleme, setzt Andrew hinzu. Er wirkt unruhig, kann seine Knie nicht stillhalten, zieht an seiner Zigarette, erzählt, dass er mit seinen Freunden, Christen und Moslems eine Initiative gründen möchte. Sie wollen zeigen, dass ein friedliches Zusammenleben beider Religionen möglich ist. Nur wie, das weiß Andrew noch nicht. Mitstreiter hat er per Twitter schon gefunden. Auch der Kopte Abanoub – er ist 19, will mitmachen. Für ihn sind die Moslembrüder nichts anderes als der "Wolf im Schafspelz".
"Sie haben ihre Taktik geändert. Aber selbst wenn ein koptischer Christ wirklich Vizepräsident wird, dann bedeutet das gar nichts."
Ortswechsel: Ein Militärkrankenhaus in der Innenstadt von Kairo. Es ist heiß und stickig. Die Wände sind schmutzig, Zimmertüren stehen offen. Neonlicht strahlt von der Decke, Patienten liegen auf ihren Betten, dösen vor sich hin. Fast alle hier leben von Spenden. Einige sind schon seit Monaten im Krankenhaus, manche mit Frau und Kind. Saloa Massoud kümmert sich seit eineinhalb Jahren um ihren Mann. Er ist Mitte zwanzig, sitzt wie viele Kriegsveteranen im Rollstuhl. Die 21-jährige Muslimin wirkt selbstbewusst, erzählt, wie sie auf dem Tahrir-Platz mit den Moslembrüdern Mursis Wahlsieg gefeiert hat.
"Mursi muss für die Verletzten und ihre Familien eine Lösung finden. Eine billige Wohnung, einen Job oder eine Rente. Wir haben keine Vorstellung wie unser Leben weiter geht. Wir hoffen auf den neuen Präsidenten. Ich bin sehr stolz auf meinen Mann."
Hamad Ali, 21 Jahre alt, flitzt mit seinem elektrischen Rollstuhl über den Flur. Bei den Kämpfen auf dem Tahrir-Platz hat eine Kugel seine Wirbelsäule verletzt.
"Ich wollte weder Mursi noch einen Mubarak-Mann wie Shafik. Trotzdem hoffe ich, dass alles besser wird. Ich hoffe, dass es auch mir selbst in einem Jahr besser geht. Egal, was passiert, die Zukunft wird auf jeden Fall besser als die Vergangenheit."
Er rollt in sein Zimmer, hievt sich aufs Bett. Über dem Kopfende hängt eine ägyptische Fahne, schwarz-weiß-rot. Darauf steht: Ägypten, ich liebe dich.
"Wir und andere Jugendliche haben nichts gewonnen. Wir bezahlen noch immer den Preis. Hunderte sind während und nach der Revolution gestorben. Nichts ist dadurch besser geworden. Die einzigen, die profitieren sind die Parteien. Die Moslembruderschaft und das Exregime, das weiter an der Macht ist."
Noch immer haben die mächtigen Generäle die Fäden in der Hand, nicht etwa Ägyptens erster frei gewählter Präsident, der Islamist Mohammed Mursi. Der ist auf Konfrontationskurs mit dem Militärrat, hat das vom Militärrat aufgelöste Parlament wieder eingesetzt. Inzwischen hat das Revisionsgericht festgestellt, dass der Präsident dafür keine Befugnis hat. Außerdem warten wir weiter auf ein Grundgesetz, klagt Achmed. Ein Urteil darüber, ob die von den Moslembrüdern dominierte Verfassungskommission rechtmäßig ist, wird immer wieder verschoben. Politisches Chaos, aber Achmed ist entschlossen: Er wird solange auf die Straße gehen, bis sich endlich etwas ändert.
"Es ist schwierig für mich, einen Job zu finden ohne eine Empfehlung von jemandem, der eine Position hat. So läuft das in Ägypten. Alles ist korrupt. Wer Geld und Macht hat, kann seine Träume leben, wer keine Empfehlung und kein Geld hat, erreicht nichts."
Seine Tante Gihan rührt in einem Teeglas. Die gläubige Muslimin, 47 Jahre alt, trägt ein bunt gestreiftes Kopftuch, einen langen Rock. Sie ist überzeugt davon, dass die Moslembrüder die Ideale der Revolution verraten haben. Seit der Wahl verfolgt sie den Machtkampf zwischen Mursi und dem Militärrat. Bisher haben wir nichts erreicht, meint sie, keine Pressefreiheit, keine Gewaltenteilung, keine unabhängige Justiz.
"Wir leben ganz gut, es fehlt uns an nichts. Aber ich kann nicht in einem Land leben und sehen wie die Leute vom Müll essen. Wir, die Ägypter, 40 Prozent, vielleicht mehr, leben wie Tiere und das finde ich unmenschlich."
Zwar hat Mursi sich auf dem Tahrir-Platz als Präsident aller Ägypter empfohlen. Er hat den 30 Millionen Armen Hilfe versprochen. Er will die Gesundheitsversorgung verbessern, in Bildung und Infrastruktur investieren. Doch Gihan ist skeptisch, glaubt den Moslembrüdern kein Wort. Ihr Handy blinkt. Sie twittert täglich viele Stunden. Seit der Revolution hat sie damit nicht mehr aufgehört. Andrew meldet sich, ein christlicher Kopte, den sie auf dem Tahrir-Platz kennen gelernt hat. Er wartet dort, in einer der vielen Gassen nebenan.
Junge Männer und Frauen sitzen an winzigen Tischen, rauchen Wasserpfeife, trinken Tee und Säfte ohne Alkohol. Abends gibt es in den sogenannten Revolutionsgassen selten einen freien Stuhl. Kinder betteln, verkaufen pinkfarbene Zuckerwatte, Bohnen und Nüsse. Andrew, 25 Jahre alt, ist Kopte. Auch er ist ein Revolutionär der ersten Stunde. Zwar hat Mursi angekündigt, dass ein Kopte, stellvertretender Präsident werden könne. Doch Andrew befürchtet, wie viele ägyptische Christen, eine radikale Islamisierung.
"Die Ikhwan werden die Scharia als Rechtsform einsetzen und den Bau von Kirchen beschränken. Als Kopte fühle ich mich in Ägypten wie ein Mensch zweiter Klasse."
Viele meiner Freunde sind Moslems, mit denen habe ich keine Probleme, setzt Andrew hinzu. Er wirkt unruhig, kann seine Knie nicht stillhalten, zieht an seiner Zigarette, erzählt, dass er mit seinen Freunden, Christen und Moslems eine Initiative gründen möchte. Sie wollen zeigen, dass ein friedliches Zusammenleben beider Religionen möglich ist. Nur wie, das weiß Andrew noch nicht. Mitstreiter hat er per Twitter schon gefunden. Auch der Kopte Abanoub – er ist 19, will mitmachen. Für ihn sind die Moslembrüder nichts anderes als der "Wolf im Schafspelz".
"Sie haben ihre Taktik geändert. Aber selbst wenn ein koptischer Christ wirklich Vizepräsident wird, dann bedeutet das gar nichts."
Ortswechsel: Ein Militärkrankenhaus in der Innenstadt von Kairo. Es ist heiß und stickig. Die Wände sind schmutzig, Zimmertüren stehen offen. Neonlicht strahlt von der Decke, Patienten liegen auf ihren Betten, dösen vor sich hin. Fast alle hier leben von Spenden. Einige sind schon seit Monaten im Krankenhaus, manche mit Frau und Kind. Saloa Massoud kümmert sich seit eineinhalb Jahren um ihren Mann. Er ist Mitte zwanzig, sitzt wie viele Kriegsveteranen im Rollstuhl. Die 21-jährige Muslimin wirkt selbstbewusst, erzählt, wie sie auf dem Tahrir-Platz mit den Moslembrüdern Mursis Wahlsieg gefeiert hat.
"Mursi muss für die Verletzten und ihre Familien eine Lösung finden. Eine billige Wohnung, einen Job oder eine Rente. Wir haben keine Vorstellung wie unser Leben weiter geht. Wir hoffen auf den neuen Präsidenten. Ich bin sehr stolz auf meinen Mann."
Hamad Ali, 21 Jahre alt, flitzt mit seinem elektrischen Rollstuhl über den Flur. Bei den Kämpfen auf dem Tahrir-Platz hat eine Kugel seine Wirbelsäule verletzt.
"Ich wollte weder Mursi noch einen Mubarak-Mann wie Shafik. Trotzdem hoffe ich, dass alles besser wird. Ich hoffe, dass es auch mir selbst in einem Jahr besser geht. Egal, was passiert, die Zukunft wird auf jeden Fall besser als die Vergangenheit."
Er rollt in sein Zimmer, hievt sich aufs Bett. Über dem Kopfende hängt eine ägyptische Fahne, schwarz-weiß-rot. Darauf steht: Ägypten, ich liebe dich.