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Ägyptologin verteidigt Mubarak und mahnt zur Geduld

Die Kulturwissenschaftlerin Mai Hakal erinnert an die Verdienste Hosni Mubaraks insbesondere beim Aufbau der Tourismusindustrie. An die Demonstranten appelliert sie, dem Wandel im Land Zeit zu geben - Mubarak werde doch bald abtreten.

03.02.2011
    Gerwald Herter: Es war eine blutige Nacht in Kairo, mehrere Tote, viele hundert Verletzte. Schon zuvor hatte das Auswärtige Amt in dieser Woche seine Reisewarnungen verschärft. Viele deutsche Touristen sind ausgeflogen worden, andere aber sind noch dort, ob in Badeorten, auf dem Nil oder in Oberägypten. Über die Situation des Tourismus und vor allem den Alltag im Schatten der politischen Proteste habe ich vor dieser Sendung mit der Ägypterin Mai Haikal gesprochen. Sie ist Kulturwissenschaftlerin, arbeitet seit 20 Jahren für den deutschen Reiseveranstalter Studiosus und hat in Kairo die deutsche Schule besucht. Mai Haikal ist derzeit im oberägyptischen Luxor unterwegs. – Frau Haikal, Sie haben in den letzten Tagen eine deutsche Touristengruppe durch Ägypten begleitet. Mussten Sie bisher in irgendeinem Moment Angst um Ihre Gruppe haben?

    Mai Haikal: Nein, ganz und gar nicht. In Oberägypten herrschte überwiegend Ruhe. Es gab ein paar Beeinträchtigungen bei den Besichtigungen wegen irgendwelcher Wege, die gesperrt waren, aber sonst ist alles ziemlich friedlich und reibungslos gelaufen.

    Herter: Sie halten sich derzeit auf dem Land auf, in Luxor, also nicht in Alexandria oder Kairo?

    Haikal: Nein.

    Herter: Glauben Sie, dass die Unterstützung auf dem Land für Mubarak größer ist als in den Städten?

    Haikal: Eigentlich, natürlich wegen der Massen und natürlich wegen den Einwohnern, in den Großstädten in Unterägypten ist es mehr zu spüren als in Oberägypten. Klar, denn da versammeln sich ja auch die Massen.

    Herter: Wie halten Sie es persönlich? Sind Sie für den Rücktritt Mubaraks?

    Haikal: Keiner kann sagen, dass er eigentlich in den letzten Jahren keine Fehler gemacht hat. Er hat große Fehler gemacht. Aber man darf auch nicht die Leistungen vergessen, die er am Anfang seines Amtes gemacht hat. Es gibt große Entwicklungen in Ägypten, vor allem im Tourismusbereich ist sehr viel getan worden. Wir hätten diese Entwicklung nicht erlebt, wenn er das nicht gemacht hätte. Er hat Fehler gemacht, er hat es zugegeben, er hat jetzt Änderungen angesagt und wie gesagt er geht sowieso im September.

    Herter: Was versprechen Sie sich von einem Wechsel?

    Haikal: Erst einmal das, was angesagt wurde: Die Verfassung wird geändert. Die wichtigen Ministerien und die Minister, die uns die ganze Zeit lang gestört haben, die viele Fehler begangen haben, die sind jetzt alle weg. Es sind neue Leute da und die werden arbeiten und deswegen sollte man denen jetzt eine Chance geben, zu arbeiten und zu gucken. Es gibt keine Änderung, die über Nacht passiert, es dauert. Und wir sind ja ein Land, das sehr groß ist und das Zeit braucht, und die Änderung braucht Zeit. Deswegen: Lasst die Leute arbeiten! Das ist das, was ich jetzt den Demonstranten auf den Straßen sage, die immer noch dagegen protestieren und immer noch verlangen, dass er weggeht. Er wird doch weggehen! Einfach nur warten die paar Monate!

    Herter: Glauben Sie, dass die Menschen in Ägypten in der Lage sind, eine Demokratie nach westlichem oder europäischem Muster aufzubauen?

    Haikal: Momentan gar nicht, weil momentan alle emotional sind und deswegen ist ein Rücktritt von Mubarak eigentlich nicht richtig, denn das würde zu einem absoluten Chaos bei einer jetzigen Wahl führen, weil alle jetzt unter dem Einfluss von vielen Oppositionsmächten sind, die eigentlich nur auf die Macht rüberspringen wollen. Die wollen auch nur regieren, sie wollen nicht das Beste des Landes oder des Volkes oder wirklich eine Änderung reinbringen, die wollen nur regieren, und unter diesem Einfluss stehen jetzt diejenigen, die immer noch auf der Straße stehen und den Rücktritt von Mubarak verlangen.

    Herter: Unterstellen Sie das auch den Muslimbrüdern, von denen in Deutschland jetzt häufig die Rede ist?

    Haikal: Ja, natürlich, klar. Die sind die Ersten!

    Herter: Sind das islamistische Fundamentalisten, radikale Kräfte, oder sind sie eher harmlos und gemäßigt?

    Haikal: Nein, harmlos sind sie auf keinen Fall. Die zeigen sich immer gerne als harmlos, aber harmlos sind sie auf keinen Fall, auch wenn sie keine Waffe tragen.

    Herter: Sie hören den Deutschlandfunk und wir sprechen mit der ägyptischen Kulturwissenschaftlerin Mai Haikal. Sie arbeitet als Reiseleiterin für einen großen deutschen Veranstalter und ist derzeit in Luxor. – Frau Haikal, Ihre Familie, viele Ihrer Freunde sind in Kairo. Haben die in den letzten Tagen Ängste ausstehen müssen?

    Haikal: Natürlich, klar. Am Freitag, wo ja das Ganze Chaos ausgebrochen ist, keine Polizei, keine Sicherheit – mein Bruder ist auf der Straße seither, jede Nacht bewacht er mit der Bürgerwehr die Straßen, um meine Familie natürlich davor zu schützen, dass irgendeine Gefahr passiert. Klar, es waren schlaflose Nächte, die ganzen Nächte seit Freitag.

    Herter: Es wird immer wieder von Plünderungen berichtet. Ist das aus Ihrer Sicht übertrieben, oder gibt es sie tatsächlich in größerem Umfang?

    Haikal: Es gab sie natürlich, klar, an bestimmten Orten, aber nicht, dass wir jetzt sagen, dass wir überhaupt gar keine Lebensmittel haben oder nichts mehr zu trinken haben oder nicht mehr auf den Straßen fahren können. So übertrieben ist es nicht.

    Herter: Sie wünschen sich Ruhe. Auch das ägyptische Militär hat dazu aufgerufen, ruhig zu bleiben. Vertrauen Sie dem Militär?

    Haikal: Ich vertraue dem Militär, weil es bis jetzt ja auch sehr, sehr geduldsam und sehr ruhig sich verhalten hat, und es hat schon von Anfang an das Vertrauen der ganzen Bevölkerung gehabt. Das konnte man schon an der Reaktion der Leute selber auf den Straßen merken. Also volles Vertrauen auf jeden Fall.

    Herter: Vertrauen Sie dem Militär mehr als dem Geheimdienst und der Polizei?

    Haikal: Wenn beide zusammenarbeiten für das Wohl des Landes und wie gesagt dann zusammen einen Weg finden, eine Lösung finden, einen Ausgleich finden, damit Ruhe wieder herrscht, dann bin ich mit der Zusammenarbeit der beiden sehr zufrieden.

    Herter: Noch eine letzte Frage. Die europäischen Staaten reagieren eher zurückhaltend und vorsichtig auf die Ereignisse in Ägypten. Fühlen Sie sich von den Europäern alleine gelassen in dieser Situation?

    Haikal: Was die europäische Einstellung betrifft, würde ich lieber gerne nicht so sehr stark kommentieren, weil die europäische Einstellung ja erst einmal, was den Nahen Osten betrifft, die Sicherheit von einem gewissen Land eben sehr stark in Rücksicht nimmt, und es wäre eigentlich für die Interessen dieses Landes nicht wirklich besonders günstig, wenn jetzt der Mubarak weg ist und absolutes Chaos hier herrscht und die Muslimbrüder an die Macht kommen.

    Herter: Sie sprechen von Israel?

    Haikal: Ja, klar! Natürlich!

    Herter: Glauben Sie, dass die Amerikaner eine positivere Rolle spielen in Ägypten?

    Haikal: Nein! Die Amerikaner halten sich sicher. Die wissen ja gar nicht, wie sich die Ereignisse jetzt entwickeln werden. Bleibt der Mubarak, gut. Steigen die Muslimbrüder oder die Opposition an die Macht, dann haben sie auch nichts großes gegen die unternommen oder gegen die ausgesprochen, dann können sie doch weiterhin versuchen, freundlich auch mit den anderen zusammenzuarbeiten. Die Amerikaner kümmern sich ja nur um ihre eigenen Interessen.

    Herter: Das war die ägyptische Kulturwissenschaftlerin Mai Haikal. Sie arbeitet für Studiosus-Reisen und hält sich derzeit im oberägyptischen Luxor auf. Das Gespräch mit Mai Haikal haben wir aus technischen Gründen vor der Sendung aufgezeichnet.

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