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Ägyptomanie, Bilderbibel und Napoleon-Kult

Was haben eine Steinschlossbüchse des Fürstbischofs von Lübeck aus dem 18. Jahrhundert, eine Bremer Hochzeitstruhe und ein Roulette aus der Werkstatt von Napoleons Hoftischler gemeinsam? Alle drei sind Glanzstücke der Großherzoglichen Altertümersammlung in Oldenburg.

Von Rainer Berthold Schossig |
    Was haben eine Steinschlossbüchse des Fürstbischofs von Lübeck aus dem 18. Jahrhundert, eine Bremer Hochzeitstruhe und ein Roulette aus der Werkstatt von Napoleons Hoftischler gemeinsam? – Alle drei sind Glanzstücke der "Großherzoglichen Sammlung vaterländischer Altertümer" zu Oldenburg. Fürst Peter Friedrich Ludwig rief schon 1804 eine öffentliche Gemäldesammlung ins Leben, doch erst 1838 gründete sein Sohn die Altertümer-Sammlung, eine Schatz- und Wunderkammer nach Duodezfürsten-Vorbild. Auch in Oldenburg sollte ein Hauch von Weimar wehen. Der Oldenburger Ausstellungsmacher Siegfried Müller:

    "Das Problem war, dass Oldenburg immer nur von Stadthaltern regiert wurde, und die hatten keine eigenen Sammlungen. Als Oldenburg ab 1785 wieder von einem Herzog regiert wurde, hat der angefangen, eine Sammlung aufzubauen. Ziel war die höfische Repräsentation."

    Erste Mäzene waren allerdings drei patriotische Bürger: ein oldenburgischer General aus Fedderwarden, ein Pastor aus Wildeshausen sowie ein Arzt und Goethefreund aus Minden. Dies mag ein Grund dafür sein, dass es sich bei den Exponaten um überwiegend kleine Stücke handelt; beispielhaft dafür die feine Miniatur eines Augsburger Patriziers aus der Werkstatt des französischen Emaille-Künstlers Léonard Limousin, dessen Werke sich auch im Louvre und im British Museum finden. Die Großherzöge erweiterten die Bestände um ambitionierte Stücke. So ließ sich Herzog Friedrich August 1875 von der damals im Abendland grassierenden Ägyptomanie anstecken. Aus Luxor brachte er altägyptische Souvenirs mit; etwa eine kleine Grabpyramide des Bürgermeisters von Theben. Mit dieser beginnt die Zeitreise anno 3.500 vor Christus. Einige der adligen Reiseandenken des 19. Jahrhunderts stammen aus der Antiken, der Großteil aus Mittelalter und Neuzeit. Und trotz kirchlichen Bilderverbots beherrschten ab der Reformation biblische Motive die gegenständliche Welt.

    "Mich hat erstaunt, wie sehr die evangelische Religion den Alltag bis zum 19. Jahrhundert geprägt hat, Szenen aus der Bibel, die Luther für wichtig hielt, um das Bildgedächtnis in seinem Sinne umzubauen. Das hat er mithilfe von Lucas Cranach getan, und der hatte dann viele Helfershelfer, die dieses Programm verwirklich haben."

    Erstaunlich, was für fein geschnitzte, lebensgroße Heiligenfiguren die Kirchen des Oldenburger Landes schmückten, erstaunlicher aber, wie jahrhundertelang die christliche Morallehre den Hausrat prägte: Da führt eine wuchtige Bremer Hochzeitstruhe dem jungen Paar die Notwendigkeit eines keuschen Lebenswandels mit üppig geschnitzten Paradies- und Höllen-Motiven bildhaft vor Augen, und auf einer Kleiderschranktür um 1600 werden Adam und Eva beim Sündenfall vorgeführt.

    "Lucas Cranach hat 1529 sein berühmtes Bild gemalt "Gesetz und Evangelium". Es ist zweigeteilt: Auf der Linken sieht man die Szenerie der Hölle, das nicht gottgefällige Leben und auf der rechten, wie Menschen in den Himmel kommen. Ein wichtiges Lehrbild für Luther."

    Also sollten gusseiserne Ofenplatten die Frierenden zusätzlich durch Reliefs vom "Gelobten Land" erwärmen. Dagegen wirkt eine elfenbeinerne Deckeldose aus der Hand Zar Peters des Großen geradezu heidnisch:

    "Man musste sich an den europäischen Fürstenhöfen die Langeweile vertreiben, und dazu diente unter anderem das Drechseln. Wir wissen, dass der französische König eine Werkstatt hatte und auch der Zar. Und diese Deckeldose, die Zar Peter Alexander der Große gedrechselt hat, ist sicher ein herausragendes Stück."

    Zarte Reform-Chemisetten, Meerschaumpfeifen und Tabaksdosen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts lassen neue Welthaltigkeit und wachsendes Bürgerbewusstsein erkennen. Frankreich wurde Bedrohung und Vorbild zugleich: Oder warum ließ man für das Spielcasino auf der Touristen-Insel Wangerooge ein Roulette installieren, das der Hoftischler Napoleons mit Intarsien versehen hatte? – Ach, immer stellen enzyklopädische Ausstellungen viel mehr Fragen, als sie beantworten! Und ab dem 77. Exponat droht dem Besucher die bekannte museale Ermüdung. Tiegel und Pfanne, Brauttruhe und Jagdbüchse schweigen, Halseisen, Richtschwert und Ofentüre sowieso; kein Humpen oder Scheffelmaß wird durch Ausstellen zum Reden gebracht. Wer also die "verborgenen Schätze" in Oldenburg heben will – ob eingeborener Stadtbürger oder fremder Besucher – man sollte sich in Ermangelung eines Katalogs eine Führung leisten. Zum Beispiel durch Kustos Siegfried Müller, der die Sammlung wie seine Westentasche kennt; auch er sieht freilich die Grenzen seiner Wirksamkeit:

    "Kant hat in seiner Kritik der reinen Vernunft sinngemäß gesagt, dass jeder nur sieht, was er weiß. Ideal ist es natürlich, auch Zusammenhänge kennenzulernen. Es gilt für jedes Museum weltweit, wenn man nichts lesen, nichts sehen will, dann geht man genauso dumm wieder heraus, wie man hineingegangen ist."