Archiv


"Älter werden in der Popmusik - das ist wirklich die Königsdisziplin"

Die Hamburger Band Superpunk ist nach rund 16 Jahren zurzeit auf Abschiedstournee. "Es hat sich nicht mehr richtig angefühlt, dann dachten wir: Lassen wir es", begründet Sänger Carsten Friedrichss das Aus für seine Band.

Die Fragen stellte Anja Reinhardt |
    Carsten Friedrichs: Ich kann da gar nicht so genaue Gründe nennen, es hat sich einfach nicht mehr richtig angefühlt, weiterzumachen, vielleicht waren wir zu lange dabei und haben das zu lange gemacht. Hat zwar immer noch Spaß gemacht, aber irgendwie war kein Zug mehr in der Sache drin. Es hat sich nicht mehr richtig angefühlt, dann dachten wir: Lassen wir es.

    Anja Reinhardt: Könnte man vielleicht auch einen eurer Songs zitieren, in dem es heißt: "Baby, ich bin zu alt?" – zu alt für den Rock’n’Roll?

    Friedrichs: Nee, ich glaube nicht, dass das was mit dem Alter zu tun hat. Es ist einfach nur, wenn fünf Leute über 15 Jahre zusammen spielen, dann ist da wie in jeder Beziehung irgendwann mal der Wurm drin. Dann lässt man es halt. Ich hoffe nicht, dass es was mit dem Alter zu tun hat.

    Reinhardt: Ihr seid oft auf Tour gegangen, ihr seid gerne auf Tour gegangen, und eure Songs funktionieren live noch viel besser als auf einem Gerät abgespielt. Jetzt feiert ihr auf Tour euren Abschied mit sieben Konzerten. Ist das nicht auch ein ziemlich ambivalentes Gefühl?

    Friedrichs: Ja, das ist insofern ambivalent, als dass auf unserer letzten Tour anscheinend so viele Leute kommen wie noch nie. Das ist ein bisschen komisch. Freut uns natürlich auch, aber es ist auch schade, wenn das vorbei geht. Fünfzehn Jahre war das ein bedeutender Teil unseres Lebens, danach ist das nicht mehr – das ist schon ein seltsames Gefühl. Aber im Moment überwiegen die Freude und der Genuss an den gut besuchten Konzerten.

    Anja Reinhardt:: Was kommt denn für ein Feedback von den Zuschauern? Gibt es Reaktionen wie: Macht doch einfach weiter!

    Friedrichs: Diese Reaktionen gibt es auch. Ich stelle mal wieder fest wir haben ein ganz tolles, zivilisiertes Publikum, das sich für die schöne Musik bedankt und für die schöne Zeit, die es mit uns hatte. Das rührt einen dann doch.

    Anja Reinhardt:: Gibt es Tränen?

    Friedrichs: Nee, wir sind ja Hanseaten, ein bisschen kühl. Wenn, dann nur im stillen Kämmerlein.

    Anja Reinhardt:: Es gibt euch jetzt seit 16 Jahren – wie hat sich die musikalische Welt mit allem Drum und Dran verändert?

    Friedrichs: ja, wie so oft auf der Welt hat der technische Fortschritt nicht haltgemacht, und es gibt neue Medien. Ich verrate ja kein Betriebsgeheimnis, dass das Internet das doch ziemlich revolutioniert hat, die Art, wie man Musik konsumiert, wie Musik verfügbar ist. Hätte mir das einer vor fünfzehn Jahre erzählt, hätte ich ihm einen Vogel gezeigt, aber so ist es, und ich finde das auch prima. Früher musste ich in einen Schallplattenladen gehen, wenn ich über eine gute Platte was gelesen hab, dann war die ausverkauft, und der Händler sagte: ‚Komm nächste Woche wieder.’ Und jetzt kann ich sie mir sofort anhören. Ich find’s super.

    Anja Reinhardt:: Ihr hattet immer eine Sonderstellung in der deutschen Musiklandschaft, eure Musik ist stark geprägt vom Northern Soul. In England hat Northern Soul immer gut funktioniert, in Deutschland ist das schwieriger, oder?

    Friedrichs: Ich glaube, es liegt daran, dass es in Deutschland keine Poptradition gibt. Hier gibt es nicht solche Bands wie Smiths, Madness, Kinks. Insofern ist das für uns ein bisschen schwierig gewesen. Aber vielleicht hat uns das auch in die Karten gespielt, weil wir dadurch schon ziemlich originell waren, und in England hätte vermutlich gar kein Hahn nach uns gekräht, weil es da Massen an solchen Bands gibt. In Deutschland möge die Leute keine leichte Musik, die wollen was Erbauliches haben oder belehrt werden, aber so was, was wir machen, kommt aus der englischen Tradition.

    Anja Reinhardt:: In England hat die Popmusik ganz oft mit einem ganz bestimmten Selbstbewusstsein der Arbeiterklasse zu tun. Das gibt es in Deutschland in der Form nicht. Ist das auch ein Grund dafür, warum die Musik von Superpunk in Deutschland nicht so gut funktioniert hat?

    Friedrichs: Nee, das glaube ich nicht. Ich bin kein Soziologe. Das ist schon richtig, dass in England die ganzen Styles und die Kulturen in der Arbeiterklasse verwurzelt waren und daher gekommen sind. Und in Deutschland gab es nie so etwas wie eine Arbeiterklasse oder ein Klassenbewusstsein. Spätestens seit dem Dritten Reich gibt es das nicht mehr. Es könnte schon sein, dass das auch ein Grund ist.

    Anja Reinhardt:: Die Texte, die Sie schreiben, sind ja schon immer sehr geprägt, also es gibt so eine emotionale Spannweite zwischen Wut und auch einer gewissen Lakonie. Ich finde die Texte bewegen sie immer dazwischen. Vielleicht ist so eine gewisse Lakonie in Deutschland problematisch?

    Friedrichs: Ich glaube, Ironie wird nicht gerne aufgenommen. Entweder schwarz oder weiß, entweder Bierzelt oder todernst. Grautöne werden nicht gerne gesehen, mit Ironie können die Leute nicht allzu viel anfangen.

    Anja Reinhardt:: Ist es vielleicht auch die Diskrepanz zwischen der Musik, die eher zum Feiern animiert und dann den ironisch distanzierten Texten? Kann der Deutsche damit nichts anfangen?

    Friedrichs: Aus vielen unterschiedlichen Gründen mag das Publikum erbauliche Musik oder Polonaise Blankenese. Wenn ich jetzt sage, dass wir dazwischen stehen, passt das auch nicht so richtig. Ironie hat einen schweren Stand. Ich hoffe auch, dass das so ist, weil sonst müsste es daran liegen, dass unsere Musik so schlecht ist und wir deswegen so wenig verkauft haben.


    Anja Reinhardt:: Es gibt so viele Krisen im Moment, die Deutschland betreffen, die Europa betreffen, die überhaupt die moderne Zivilisation betreffen und eigentlich braucht es doch eine Band wie Superpunk, die das nicht so 1:1 umsetzt, sondern mit einer gewissen ironischen Distanz.

    Friedrichs: Es würde den Leuten tatsächlich ganz gut tun, wenn sie das Leben sportlich nähmen. Ich bin seit mehr als fünfzehn Jahren Künstler, für mich ist das Leben eine permanente Krise gewesen. Aber vielleicht bin ich auch einfach so ein schlichtes Gemüt, dass ich das nicht so schwer nehme.

    Anja Reinhardt:: Man müsste eigentlich vermuten, dass die Krise für Sie nach dem Ende von Superpunk noch größer wird. Das ist ja schon ein Lebensinhalt, so eine Band.

    Friedrichs: Ja, ich mag gar nicht dran denken, aber wenn in einer Woche die Tour vorbei ist, könnte ich mir schon vorstellen, dass ich in ein schwarzes Loch falle und mich vermutlich auch nach ehrlicher Arbeit umsehe muss, was mir im Moment noch gar nicht schmeckt ...

    Anja Reinhardt:: Gibt es denn Pläne für die Zukunft?

    Friedrichs: ich werde auf jeden Fall weiter Musik machen, ich habe auch mit ein paar Freunden eine neue Band, mehr oder weniger hobbymäßig, am Start. Wer einmal angefangen hat mit Musik, der kann damit so schnell nicht mehr aufhören. Es macht halt auch Spaß. Verkaufszahlen hin, Krise her – wenn einer hinter einem sitzt und aufs Schlagzeug haut, dann ist das einfach wahnsinnig gut.

    Anja Reinhardt:: Ist das denn geplant, dass aus dem Hobby etwas mehr wird?

    Friedrichs: Ich hab letztes Jahr meinen vierzigsten Geburtstag gefeiert, also wenn ich jetzt mit vierzig denken würde, dass meine nächste Band Erfolg hat, und dass ich das zum Beruf machen könnte, dann wäre ich nicht ganz von dieser Welt.

    Anja Reinhardt:: Aber es muss ja Modelle geben für das Älterwerden in der Popmusik...

    Friedrichs: Älter werden in der Popmusik – das ist wirklich die Königsdisziplin. Ich hab gestern ein Bild von Elton John gesehen, der hat es nicht so geschafft. Bei den Rolling Stones bin ich mir auch nicht so sicher. Es ist schwierig. Popmusik gibt es ja auch erst seit fünfzig Jahren, jetzt kommen die ersten Leute ins Rentenalter, von denen hätte man sich schon mal was abgucken können. Wenn man sich das genau anguckt, bekommt man vermutlich auch Angst.

    Anja Reinhardt:: Wenn Sie jetzt auf die letzten sechzehn Jahre zurückschauen, was war das prägendste Erlebnis?

    Friedrichs: In sechzehn Jahren ist so viel passiert, da kann man nicht sagen, dass es ein prägendes Erlebnis für die Band gab. Es gab sehr viel: das erste Mal, als wir in einem Laden gespielt haben und kein zahlender Gast da war und wir das irgendwie über die Bühne gekriegt haben, das erste Mal, als wir auf einem großen Festival gespielt haben. Jedes Mal, wenn eine neue Platte raus gekommen ist – das sind so Sachen, die man nicht vergisst. Ich kann immer noch das Datum vom ersten Konzert nennen, wo kein Zahlender da war, das war der 3. Januar 1999 in Kassel. Man darf sich einfach nicht durch so was unterkriegen lassen, indem man das Beste draus macht und für die drei Leute, die am Tresen sitzen und für den Wirt so spielt, dass die da auch Freude dran haben und sich nicht ärgern, uns eingeladen zu haben. Das bleibt mir im Hinterkopf.

    Anja Reinhardt:: Eine Sache, die ich an Superpunk immer mochte, war, dass Superpunk nie eine Band war, die in irgendeiner Form Ressentiments in irgendeiner Form aufgenommen oder weiter gegeben haben. Das hängt mit dieser Lakonie zusammen und mit dieser Ironie. Ist das vielleicht auch ein Modell fürs Leben?

    Friedrichs: Könnte man so sagen. Oder: Wir sind sonnige und schlichte Gemüter. Ich hab auch jedes Mal gedacht, wenn ich einen schweren Bassverstärker in einen Club geschleppt hab und mir der Rücken davon wehtat: Irgendwie freue ich mich auch, dass das ein Privileg ist, dass ich spielen darf, dass Leute kommen und sich für unsere Musik interessieren. Ob das nun 30, 100 oder tausend sind – so weite denke ich nicht. Ich freue mich, dass ich das so machen konnte. Dem einen sind 5.000 Leute nicht genug, dem anderen sind 50.000 Leute nicht genug. Mir sind 50 genug, ich bin damit gut gefahren.

    Anja Reinhardt:: Ist das denn die letzte Abschiedstour?

    Friedrichs: Man soll niemals nie sagen, wie man von James Bond gelernt hat. Aber jetzt und heute würde ich sagen: Das ist die allerletzte Abschiedstour.