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Ältere Menschen in der Berichterstattung
Isoliert auch in den Medien

Alt, schwach, gefährdet: So werden Seniorinnen und Senioren gerade in vielen Medien dargestellt. Fachleute warnen vor einer Spaltung der Gesellschaft in Alt und Jung.

Von Annika Schneider | 16.04.2020
Eine Seniorin liest Zeitung
Viele Seniorinnen und Senioren haben sich wegen des Corona-Virus isoliert - und sind deswegen für Journalisten nicht mehr so einfach für Interviews zu erreichen (imago/PhotoAlto/Frederic Cirou)
Wer als Journalistin dieser Tage einen Menschen jenseits der 70 interviewen möchte, hat es nicht leicht. Schließlich will man niemandem zu nahekommen und womöglich anstecken. Ein Interview per Videokonferenz ist für die meisten Hochbetagten keine Option, die technischen Hürden erscheinen vielen zu hoch.
Fokussierung auf die Gebrechlichen und Kranken
Ilona Merkert ist da eine Ausnahme: Die 70-Jährige sitzt pünktlich zum Skype-Gespräch vor ihrem Bildschirm. Sie gehört zur Risikogruppe – fühlt sich von dem Begriff aber nicht angesprochen. Die Corona-Berichterstattung über ältere Menschen sieht sie kritisch:
"Wenn über Ältere gesprochen wird, dann eben meistens, was nicht klappt – also zum Beispiel die schlimmen Vorfälle in Seniorenheimen oder die Senioren, die Hilfe brauchen. Oder eben unter der Rubrik "Oma und Opa", aber immer die gebrechlichen oder kranken Senioren. Also die Senioren, die so sind wie ich, die kommen eigentlich wenig vor."
"Alte, bleibt zu Hause!"
Damit meint sie: die Gesunden und Fitten. Ihren Französisch-Kurs an der Volkshochschule macht Ilona Merkert inzwischen im Homeschooling, wie sie es nennt – und auch sonst verzichtet sie zur Zeit auf ihr umfangreiches Freizeitprogramm außer Haus. Draußen spazieren gehen – das mache sie mit ihrem Mann aber durchaus noch.
"Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich rausgehe. Weil ja immer gesagt wird: Alte, bleibt zu Hause. Und das stört mich ein bisschen. Ich kann ja selber Verantwortung für mich tragen und kann aufpassen, dass ich andere nicht gefährde, also Solidarität übe. Das mache ich schon!"
Fachleute warnten vor Rückschritt in der Berichterstattung
Dass viele Medien ältere Menschen gerade mit einem gewissen Paternalismus behandeln, sie also bevormunden, findet auch Eva-Marie Kessler. Sie ist nicht nur Professorin für Gerontopsychologie an der Medical School Berlin, sondern sitzt auch im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie. Die wissenschaftliche Vereinigung hat Anfang April Leitlinien zur Corona-Berichterstattung über ältere Menschen herausgegeben.
"Wir haben uns ja seitens der Gerontologie in den letzten Jahrzehnten ganz wesentlich dafür stark gemacht, auch die Pluralität des Alters in der öffentlichen Diskussion zu verankern und ich denke, das ist uns auch gut gelungen. Und jetzt sehen wir die große Gefahr von einem Rückschritt. Im Moment wird so ein ganz homogenes Bild von älteren Menschen eben gezeichnet und Alter wird eben wieder verkürzt auf fragil, wenig widerstandsfähig und auch wenig flexibel, was die derzeitige Situation angeht."
95-Jährige freut sich über Interviews mit Gleichaltrigen
Dabei hätten viele ältere Menschen ausgeprägte psychologische Strategien, um mit der aktuellen Situation umzugehen, sagt die Professorin. Ein gutes Beispiel ist Gisela Görtz. Obwohl die 95-Jährige seit Wochen zu Hause bleiben muss, versucht sie der Situation etwas Positives abzugewinnen – sie habe jetzt mehr Zeit zum Nachdenken, sagt sie am Telefon, während eine Bekannte das Interview aus gebührendem Abstand mitschneidet.
Findet sie sich in der aktuellen Berichterstattung wieder? Am Vortag habe sie sich besonders über eine Interview-Sendung gefreut, sagt die Wuppertalerin.
"Ich habe es dann eben nicht wieder ausgeschaltet, weil ich gesehen habe, dass das alte Menschen waren. Nicht gerade so alt, wie ich bin, aber über 80 waren sie auch alle. Und das war ganz interessant, was die gesagt haben, weil man seine eigenen Gedanken da wiederkriegt. Größtenteils sehen die das positiv. Indem man mehr drüber nachdenkt, dass das alles nicht selbstverständlich ist, dass man arbeiten gehen kann, dass man Arbeit hat – alles so etwas."
Warnung vor Spaltung in Alte versus Junge
Solche Formate sind ganz im Sinne von Eva Marie-Kessler. Sie fordert: Gerade weil ältere Menschen von der aktuellen Krise in besonderem Maße betroffen seien, müssten ihre Perspektiven in den Medien mehr Raum bekommen.
"Wir beobachten, dass die Berichterstattung manchmal in dieser Logik Wir – die Jungen, Gesunden, Fitten – versus Die – die Alten, Kranken – dargestellt wird. Und wir haben da die Befürchtung, dass das dann zu Ängsten führt, zu Argwohn, zu Vorurteilen. Und das dann auch Feindseligkeit und Missgunst auf allen Seiten befördern kann."