Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Aeneas in Karthago"

Zwischen Korngold und Krenek sucht man im Opernlexikon den Barockkomponisten Joseph Martin Kraus meist vergeblich. Der aber hat 1782 eine Oper geschrieben, die noch nie auf deutschen Bühnen zu sehen war: Aeneas in Karthago. Das mehrstündige melodienreiche Mythenspiel wurde nun in Stuttgart auf die Bühne gebracht. Und das, nachdem Starregisseur Peter Konwitschny kurz nach Probenbeginn die Regie wegen Krankheit an die Leitung des Hauses abgegeben hatte.

Von Georg-Friedrich Kühn | 03.07.2006
    War das als ironischer Kommentar gemeint vorweg? Windgott Aeolus als Karnevalsprinz kommt herein geweht mit dem ganzen Götterzirkus. Er soll endlich die Backen plustern, die Windmaschine auf Sturm stellen, damit die bösen Trojaner, vornweg Aeneas, nicht ungestraft entkommen, fordert die stierhörnige Juno.

    Einen glücklicheren Abgang nach seiner 15-jährigen Amtszeit hätte man dem Stuttgarter Intendanten Klaus Zehelein schon gewünscht. Die "Uraufführung" einer Oper von königlich schwedischer Protektion aus dem späten 18.Jahrhundert in der Regiepranke von Peter Konwitschny war angesagt.

    "Aeneas in Karthago" von Joseph Martin Kraus, einem Komponisten des Sturm und Drang, der beim theaterbegeisterten Schwedenkönig Gustav III sein Glück machte. Mit einem neuen, mit allen Raffinessen der Zeit ausgestatteten Opernhaus wollte Gustav sich in die Geschichte einschreiben. Ein großes Sujet musste her. Der König entwarf selbst das Libretto.

    Doch es ist vor allem weitschweifig, umständlich, selbstgefällig. Die vollständige Oper – sie hätte um die fünf Stunden gedauert – wurde nie aufgeführt, nur eine Bearbeitung sieben Jahre nach dem Tod des Königs und auch des Komponisten. "Aeneas in Karthago" ist eher eine politische Proklamation. Dido, der Karthagerkönigin, werden da des Schweden-Königs eigene Absichten über Friedenswillen aber auch Kampfbereitschaft in den Mund gelegt.

    Die Musik des aus dem Odenwald stammenden Komponisten Kraus wartet auf mit viel Gluckschem Tremolo-Pathos und wechselt unvermittelt in rokokohafte Lieblichkeit. Dabei sind die stimmlichen Ansprüche zumal an die Partie der Dido gewaltig.

    Die Aufführung in Stuttgart ist nun auch szenisch ein Torso. Regisseur Konwitschny musste krankheitshalber nach gut zwei Wochen die Probenarbeit abgeben. Was seine Assistenten und Intendant Zehelein als Supervisor aus dem Material machten, ist achtbar aber lückenhaft.

    Pfiffige Einfälle gibt es durchaus. Etwa die vielfältige Arbeit mit Puppen oder das Schifflein-Versenken im Prolog, wenn aus einem Trog Segel herauslugen und hinterher die ganze Mannschaft dem "Meer" entsteigt. Auch die Hochzeit der Lebensabschnitts-Partner Aeneas und Dido, wenn ihnen die jeweiligen Volksgruppen Geschenk-Krimskrams in solchen Mengen abliefern, dass die Helfer mit dem Entsorgen gar nicht nachkommen.

    Oder auch das Schlussbild, wenn die Bühne zum Jubeln sich füllt mit Asterix- und Obelix-Kriegern, die zum Sturm auf Rom rüsten. Allerdings erinnert gerade das Schlussbild der Bühn von Hans-Joachim Schlieker doch auch an eine sehr viel ambitioniertere Inszenierung des gleichen Stoffs – Berlioz’ "Trojaner" –, die Zehelein vor vielen Jahren in Frankfurt als Dramaturg mit verantwortete.

    Den Hautgout dieser königlichen Politshow, von Gustav später noch getoppt in einem Theaterstück zum Krieg gegen Russland, kann diese Aufführung nicht tilgen. Dafür hätte es einer sehr viel filigraneren Ausarbeitung des Regie-Konzepts bedurft.

    Neuigkeitswert hatte die Methode politischer Selbstdarstellung übrigens damals auch nicht. Gustav kopierte seinen Onkel, den Preußenkönig Friedrich II, der sein militärisches Credo um 1750 ebenfalls in ein Opernlibretto goss und es von Hofkapellmeister Graun vertonen ließ: "Montezuma".

    In Stuttgart sind auch die sängerischen Leistungen nicht gerade berauschend. Martina Serafin benötigt einige Zeit, um ihre Stimme für die ins Dramatische strebende Partie der Dido zu polieren. Dominik Wortig ist ein nicht gerade kampferpichter Aeneas. Am Pult kämpft Lothar Zagrosek immer wieder mit der Koordination von Bühne und Orchester.

    Am Ende gab’s auch kräftige Buhs. Man wohnte einem musikhistorisch interessanten Abend bei; der "schwedische Mozart" aber, als der Kraus angepriesen wurde, blieb nebulös. Eine sehr viel eindrucksvollere Bearbeitung des gleichen Stoffs zur gleichen Zeit hätte der u.a. in Mannheim ausgebildete Komponist schon dort studieren können.