In meiner Amtszeit sind sehr viele Gedächtnisstätten geschaffen worden, wobei ich wirklich die Kritiker fragen muss, was sie eigentlich wollen. Die Gedenkstätte für die Sinti und Roma haben wir an einem verkehrsreichen Platz angebracht, dem Platz der Opfer des Nationalsozialismus. Das war ein Wunsch der Sinti und Roma. Dazu hieß es dann auf Kritikerseite, dort könne man keine Versammlungen abhalten, weil es ein verkehrsreicher Platz ist. Wir haben an die Deportation und Ermordung von Juden erinnert, nicht an irgendeinem Platz, wo man wieder sagen könnte, das sei ein verkehrsreicher Platz, wo niemand in sich gehen könne. Deswegen haben wir es am zentralsten und repräsentativsten Platz der Stadt untergebracht, im Rathaus. Da heißt es jetzt plötzlich, das sei ein geschlossener Raum.
Nicht nur SPD-Parteifreund Werner Lederer-Piloty, dessen Vater Kreisleiter und SA-Standartenführer im nahen Freising war, fragt sich und Ude im Telefonat, warum diese so begrüßenswerte Tafel nicht außen am Rathaus befestigt wurde.
Die Stadt tut sich schwer, denn, auch das sagte Christian Ude und da bin ich mit ihm ja einer Meinung, 50 Jahre lang ist gar nichts passiert. Man hat das Thema weitgehend ausgeblendet. Dass jetzt in München im Herzen der Stadt ein jüdisches Zentrum entsteht ist richtig, viel zu spät, meines Erachtens. Dieses NS-Dokumentationszentrum, da bin ich sicher, dass da noch zehn, zwanzig Jahre ins Land gehen, bis das errichtet wird.
Einmal mehr kann der schwarze Peter weiter wandern, denn an der Misere NS-Dokumentationszentrum ist der Freistaat Bayern größtenteils schuld. Die frei gezogenen Gebäude der Technischen Universität, die - in direkter Nachbarschaft zum NS-Aufmarschgelände Königsplatz gelegen - lange im Gespräch waren für das NS-Dokumentationszentrum wurden veräußert. Einzige Verhandlungsbasis nach über zehn Jahren Diskussion ist noch das ehemalige Braune Haus, über dessen Verwendungszweck Bildungsministerin Monika Hohlmeier bzw. Nachfolger jetzt im Herbst zu entscheiden hat.
Doch Oberbürgermeister Ude liegt derzeit vor allem der Neubau des Jüdischen Kulturzentrums am meisten am Herzen - ohne Diskussion, nicht nur wegen der rechtsradikalen Morddrohungen. Endlich, so hofft er, vielleicht, kann er den jahrzehntelangen Schmähbriefen, zumindest von jüdischer Seite, entgehen, dass jüdischen Münchnern zum Gedenken wie kürzlich wieder geschehen, aber schnellstmöglich beseitigt, nur Pflastersteine oder Bodenplatten verlegt werden, z.B. dem ersten jüdischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner, 1919 ermordet, oder den Polizisten, die dem Hitler-Putsch 1923 entgegentraten:
Ich wollte dafür eine Gedenktafel an der Feldherrenhalle anbringen. Das hat der Freistaat Bayern verboten. Dann blieb uns nur noch der Platz vor der Feldherrenhalle übrig. Dort ist die Gedenktafel eingelassen worden. Was war die Folge? Eine Flut von Protesten: Das ist typisch. Wieder einmal werden die Gegner und Opfer des Faschismus nur im Straßendreck geehrt, während Adlige, Künstler, Schöngeister und Monarchen ehrwürdig im Stadtbild herausgehoben werden. Nach diesen Erfahrungen, nach diesen Diskussionen konnten wir nicht so tun als ob das kein Problem wäre.
Reiner Bernstein vom Initiativkreis Stolpersteine:
Wir haben immer gesagt, dass das was die Stadt macht vorbildlich ist, dass aber, wie der Oberbürgermeister selbst in einem Brief an mich betont hat, die Zahl, derjenigen Bürgerinnen und Bürger, die Gedenkstätten auf kommunalem Grund besuchen, relativ gering ist. Er hat sich darüber beschwert, dass die Besucherzahl der Veranstaltungen regelmäßig abnimmt. Und gerade das ist für uns ein Anlass gewesen, die wir pädagogisch tätig sind, nach anderen Möglichkeiten des Gedenkens Ausschau halten.
Christian Ude: Agiert hat die Initiative Stolpersteine. Die hat gewusst, dass der Stadtrat erst einstimmig und dann fast einstimmig ablehnt, im öffentlichen Raum in dieser Weise zu gedenken und sie hat bewusst rechtswidrig einige Platten verlegt und gleich angekündigt, dass in der nächsten Woche weitere Platten verlegt werden sollen. Durch diese nötigende Vorgehensweise wurde die Stadt gezwungen, entweder die Wünsche der Israelitischen Kultusgemeinde vom Tisch zu wischen und eine Form des Gedenkens die rechtswidrig durchgesetzt wurde, doch noch hilflos zu tolerieren, oder aber ein so rechtswidriges Vorgehen nicht zu tolerieren.
Innerhalb kürzester Zeit waren dann die Steine des Anstoßes entfernt und landeten auf dem jüdischen Friedhof. Wo denn sonst, fragt der Oberbürgermeister. Wenig später klebten in Münchens Nobelmeile Maximilianstrasse Plastikfolien mit Namen jüdischer Opfer auf Gehwegplatten. Das Geheimnis der Erinnerung ist die Nähe. Gerade heute, fast 60 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges, meint der Münchner Reiner Bernstein kopfschüttelnd. Auf die Aufarbeitung von Vergangenheit gibt es kein Monopol. Von keiner Seite.