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Ästhetik und Politik

Die deutsche Sportfotografie im Kalten Krieg hat nicht nur Wettbewerbe ins Licht gesetzt – sie bildete auch die Rivalität zwischen zwei Gesellchaftssystemen ab. Politiker haben die Symbolik des Sports ideologisch genutzt. Eine Ausstellung im Bundestag schaut bis zum 7. Januar auf das Spannungsfeld zwischen Ästhetik und Politik. Sie stellt Sportfotografien vor – und macht damit Geschichte für Jugendliche erlebbar.

Von Ronny Blaschke | 05.12.2010
    Sport im geteilten Deutschland. Das ist Überzeichnung, Symbolik, Propaganda. Athleten werden zu Helden stilisiert, zu durchtrainierten Diplomaten, in Ost und West. Diese Rolle muss transportiert werden. Von Journalisten Kommentatoren, Fotografen.

    "Dass auch und gerade die Sportfotografie sich nicht völlig von politischer Inanspruchnahme freimachen kann, davon gibt diese Ausstellung eindrucksvoll Zeugnis."

    Norbert Lammert im Paul-Löbe-Haus, einem Nebengebäude des Reichstages. Der Bundestagspräsident eröffnet die Ausstellung "Ästhetik und Politik". Kurz darauf wandern mehr als hundert Gäste die Schautafeln entlang, Politiker, Fotografen, ehemalige Sportler. Sie alle unternehmen eine Zeitreise durch mehr als vier Jahrzehnte. Sie sehen Körperkultur, Einmärsche von Athleten, Siegerehrungen. Scheinbar harmlose Motive, die doch Konflikte eines Zeitalters offenbaren, wie die Kuratorin Jutta Braun zu berichten weiß:

    "Wir haben natürlich auch vor, besonders Schulklassen zu erreichen, so dass es sich eigentlich gezeigt hat, dass Sportgeschichte ein gutes Medium ist, um historische Inhalte zu vermitteln und damit Personengruppen zu erreichen, die man sonst vielleicht nicht erreichen würde."

    Jutta Braun ist eine der Vorsitzenden des Zentrums deutsche Sportgeschichte. Seit 2004 widmet sich der eingetragene Verein der historisch-politischen Aufklärung. Für die Ausstellung "Doppelpässe – wie die Deutschen die Mauer umspielten", wurde das Zentrum mit dem Bürgerpreis der Bundeszentrale für politische Bildung ausgezeichnet. Inhalte dieser Ausstellung werden als Lernmaterialien in Schulen genutzt. Für die aktuelle Ausstellung haben zwei Mitarbeiter ein Jahr lang in Agenturen, Archiven und Privatbeständen nach Sportfotos gesucht. Nun beschreiben sie die ideologische Aufladung des Sports, wie sie sich Politiker zu Nutze gemacht haben, zum Beispiel DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl im Januar 1951 vor jungen Wintersportler.

    Auch die Sportfotografen werden für die nationale Selbstdarstellung eingespannt. Zum Beispiel Eberhard Thonfeld, geboren in Jena. Thonfeld weiß nicht, was ihn erwartet, als er im Sommer 1984 an den Werbellinsee fährt, ins Pionierlager Wilhelm Pieck, wo sich Nachwuchssportler zur Musikgymnastik treffen. In Los Angeles finden die Olympischen Spiele statt, ohne die sozialistischen Staaten, ohne die DDR. Die Stimmung am Werbellinsee soll trotzdem gut werden. Und so lässt Egon Krenz die Hüllen fallen. Das Mitglied des Zentralkomitees rudert mit den Armen, lässt seine Hüfte kreisen. In Unterhemd, hautenger Turnhose, Lederschuhen. Krenz lächelt gequält und der Fotograf Eberhard Thonfeld drückt ab, ein Schnappschuss im Vorübergehen:

    "Damals, okay, da wusste man, das hat keine Chance, irgendwo gezeigt zu werden, oder jemand interessierte sich dafür und habe es viel später mal angeschaut. Und dann kamen eben die Ausstellungsmacher: Gibt’s da was und so, und da merkt man, dass man eigentlich so einen kleinen Mosaikstein geliefert hat, um Dinge zu verstehen."

    Thonfeld ist von 1978 bis 1990 für das Deutsche Sportecho tätig, nach dem Mauerfall gründet er die Agentur Camera4. Ihn hatte das scheinbar Unverfängliche des Sports gereizt, wie politisch seine Rolle war, das merkt er erst später. Die Ausstellung würdigt nun ihn und Kollegen aus Ost und West, zum Beispiel Werner Schulze, Sven Simon oder Rupert Leser. Ihre Fotografien werden in einem Begleitbuch interpretiert und entschlüsselt, er ist erschienen im Arete Verlag.

    Sport im Kalten Krieg ist ein Element zur Disziplinierung von Volksmassen. Das wird auf den Kinder-und Spartakiaden der DDR deutlich. Die Ausstellung thematisiert das kompromisslose Sichtungssystem für Talente, die technischen Innovationen der Trainingslehrer oder das systematische Doping. Aber auch die Begeisterung der Bevölkerung, zum Beispiel während der Friedensfahrten. Mit der Ausstellung im Paul-Löbe-Haus in Berlin will das Zentrum deutsche Sportgeschichte auf die schwindende Bedeutung der Sportgeschichtsschreibung aufmerksam machen, während zugleich wissenschaftliche Disziplinen in den Mittelpunkt rücken, die sich auf die Medaillenproduktion konzentrieren. So soll 2011 der Lehrstuhl "Zeitgeschichte des Sports" an der Universität Potsdam wegen Sparmaßnahmen abgewickelt werden. Dann wäre die Sportgeschichte in ostdeutschen Universitäten nicht mehr vertreten. Damit ginge ein wichtiger Zugang verloren für die Aufarbeitung deutscher Dikaturen.