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Ästhetische Selbstbespiegelung

Wenn man mal nicht die üblichen Gemälde von Jasper Johns und Jackson Pollock sehen will, muss man ins New Yorker Whitney Museum gehen. Da kann es dem Besucher schon mal passieren, dass die Dinge buchstäblich aus den Fugen geraten und ein Hirsch an einem vorbeischlendert, der Toilettenbesuch zum Happening wird und das Treppenhaus ein Aktionstheaterort.

Von Sacha Verna | 04.03.2012
    Natürlich gibt es das Übliche: Gemaltes und Gezeichnetes, figurativ und abstrakt. Gebaut- und Gebasteltes, kompliziert, symbolisch oder digital. Eines unterscheidet diese 76. Biennale im Whitney Museum allerdings deutlich von ihren Vorgängern, und das ist der Platz, der diesmal den darstellenden Künsten eingeräumt wird.

    Es gäbe großartige Künstler im Bereich von Tanz, Musik und Theater, sagt Elisabeth Sussman, und sie seien der Ansicht gewesen, dass diese Raum in einer Ausstellung verdienten, die der besten Kunst in Amerika der letzten zwei Jahre gewidmet sei. Elisabeth Sussman hat die Biennale zusammen mit Jay Sanders kuratiert.

    Nun herrscht auf einer ganzen Etage Daueraction. Zu jeder Tageszeit und am Abend können Besucher sich auf einer Zuschauertribüne niederlassen und einer Truppe professioneller und unprofessioneller Tänzer unter der Choreografie von Michael Clark beim Bewegungstheater zuschauen. Oder sie erleben die Premiere einer Oper, eines Gemeinschaftswerks der Konzeptkunstgruppe Art & Language und der experimentellen Rockband The Red Krayola.

    Auch auf den Stockwerken, die den traditionellen Kunstformen vorbehalten sind, trabt immer mal wieder ein überdimensionierter Hirschkopf an einem vorbei. Oder es fängt eine junge Frau in einer Ecke an, heftig den Boden zu schrubben.

    Schon jetzt eine der Hauptattraktionen bildet Dawn Kasper. Die Performancekünstlerin ist für die Dauer der Biennale mit ihrem gesamten Studio in einen der Ausstellungsräume gezogen, wo sie arbeitet und schläft, wenn sie sich nicht gerade mit jemandem am Handy unterhält.

    Das Schwerpunkt Performance ist das eine. Das Zweite Merkmal dieser Biennale ist Zahl der Künstler, die das Werk anderer in ihr eigenes einbeziehen. So zeigt Werner Herzog, einer der drei gebürtigen Deutschen in der Ausstellung, eine Videoinstallation, in der zwanzig fantastische Landschaften des niederländischen Malers und Radierers Hercules Seghers die Hauptrolle spielen. Robert Gober verzichtet sogar ganz auf selbst Produziertes. Sein Beitrag besteht in der Präsentation von zehn der eigenwilligen kleinen Ölbilder des 1977 verstorbenen Außenseiters Forrest Bess. Elisabeth Sussman:

    "Die Künstler sind der alten Kategorien Minimalismus, Postminimalismus, Konzeptkunst überdrüssig. Sie wollen Grenzen durchbrechen und suchen in den Seitenwegen der Kunstgeschichte nach interessanten Figuren, in denen sie ihre Vorfahren erkennen."

    In den kommenden drei Monaten wird das Whitney Museum als Rundumvergnügungsanstalt funktionieren. Auf die Frage, ob sich Museen nicht ohnehin in diese Richtung bewegten, bleibt Elisabeth Sussman vage. Die Whitney Biennale sei eine Momentaufnahme der Gegenwartskunst. Sicher ist: Mit ihrem Eventcharakter offenbart sich diese Gegenwartskunst in ihrer ganzen Flüchtigkeit.

    Whitney Museum: Whitney Biennial 2012 - bis 27. Mai.