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Äthiopien betet für Regen in Kanada

18 Jahre ist es her, dass der irische Rockstar Bob Geldof die Aufmerksamkeit der Welt auf das Hungerland Äthiopien lenkte. 150 Millionen Dollar kamen zusammen, als Geldof und andere Weltstars 1985 mit LiveAid das größte Rockkonzert der Welt zugunsten Hungernder in Äthiopien veranstalteten. Ende Mai war Geldof wieder in Äthiopien, denn wieder herrscht Hunger am Horn. 20 Minuten verbrachte der Musiker mit dem äthiopischen Regierungschef Meles, dann wusste er, was er der wartenden Presse zu sagen hatte: Die gegenwärtige Hungerkatatastrophe könnte noch verheerender werden als die von 1984. Anschließend kritisierte Geldof in gewohnter Manier die internationale Gemeinschaft, Äthiopien zu vernachlässigen. Doch in seiner Tirade vergaß der Rocker ausgerechnet denjenigen zu erwähnen, der die Hauptschuld am Hunger trägt: Die äthiopische Regierung nämlich.

Ludger Schadomsky |
    Alle Jahre wieder. Wieder fahren in der 3-Millionen-Hauptstadt Addis Abeba die weißen Jeeps des UN-Ernährungsprogramms WFP, um die Fäden der weltweit größten Nahrungsmittelhilfe-Operation zu ziehen. 12,3 Millionen Äthiopier sind laut Regierung in diesem Jahr akut von Hunger bedroht. Anders als ihre Kollegen im südlichen Afrika, die von der diesjährigen Dürre überrascht wurden, war die Helfergemeinde in Äthiopien vorbereitet. Schließlich ist das Land am Horn ein chronischer Patient. Seit 1880 kommt es immer wieder zu regelmäßigen Hungersnöten. Allein 1984 kamen zwischen einer halben und einer Million Menschen ums Leben. Seitdem hat sich die Nahrungsmittelhilfe in Äthiopien dauerhaft eingerichtet - mit katastrophalen Folgen.

    Noch im 16.Jahrhundert nannten Reisende das zerklüftete Hochland am Horn von Afrika einen "Garten Eden". Reichlich Wasser, gute Böden: Hunger war unbekannt.

    Ein halbes Jahrtausend später ist das stolze Äthiopien mit seiner mehr als 3000 Jahre alten Kultur zum Dauer-Bittsteller geworden. Ausgerechnet das einzige Volk Afrikas, das sich der Kolonialisierung durch Europäer entziehen konnte, hängt heute am Tropf westlicher Geber. Die finanzieren nicht nur einen Großteil des Staatshaushaltes, sondern schreiten seit Jahrzehnten immer wieder ein, um Hunderttausende Menschen vor dem Hungertod zu retten.

    Wie dieser Merigeta oder Dorfpriester in der Hungerprovinz Gondar im nördlichen Hochland beten derzeit Millionen Äthiopier, dass in diesem Jahr der Regen pünktlich einsetzen möge. Geht es nach den Dorfpriestern im konservativ-orthodoxen Hochland, dann sind die immer wiederkehrenden Dürren eine Strafe Gottes für die sündigen Menschen.

    Doch es häuft sich die Zahl derer, die andere, sehr säkulare Probleme verantwortlich machen: Missmanagement und verschleppte Reformen einer autoritären Regierung, sowie knallharte Wirtschaftsinteressen der Geberländer und der Akteure der Entwicklungszusammenarbeit. Die unheilige Allianz von Gebern und Nehmern auf dem Rücken der Bedürftigen hat dazu geführt, dass die äthiopischen Bauern heute nicht mehr für Regen am Horn von Afrika, sondern in Kanada beten. Denn ist die Ernte in Nordamerika gut, dann gibt es reichlich Nahrungsmittelhilfe für Äthiopien. Allein seit 1991, dem Fall der Mengistu-Diktatur, sind Nahrungsmittelspenden im Wert von 12 Milliarden Dollar ins Land geflossen. Damit ist Äthiopien einer der weltweit größten Empfänger von Food Aid. Doch eines haben die Maissäcke und Ölkanister mit den bunten Wappen der EU und der USA nicht geschafft: Eine nachhaltige Entwicklung, die auf Eigeninitiative und, wichtiger noch, Eigenverantwortung setzt.

    Wie hier in der Provinzstadt Ibenat pilgern Jahr für Jahr Hunderttausende zu den Ausgabestellen, die das Ernährungsprogramm der UN eingerichtet hat. Auch an diesem Tag drängen sich Hunderte Menschen, die Alten lehnen auf Stöcken oder rostigen Gewehren. Sie sind gekommen, um sich ihre Lebensmittelration abzuholen: 12,5 kg pro Person pro Monat. Auf einem der 50-Kilo-Säcke Weizen steht in Großbuchstaben: "Gespendet von der Bundesrepublik Deutschland." Eine alte Frau erzählt:

    Ich bin sechs Stunden unterwegs gewesen um mir meine Portion Getreide abzuholen. Die Dürre ist schlimm dieses Jahr. Ich habe keine Ochsen und auch kein eigenes Land, das ich bestellen könnte. Also muss ich hierher kommen. Wir essen weniger, damit die Ration für einen Monat reicht.

    Szenen wie in Ibenat spielen sich dieser Tage überall im Land ab. Doch braucht Äthiopien den Segen aus nordamerikanischen und europäischen Kornkammern wirklich?

    Nein, sagt der Deutsche Klaus Feldner. Der 55jährige Franke ist Projektleiter der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit in Süd-Gondar, einer der Hungerregionen in der nördlichen Amhara-Provinz. Wie in einem Brennglas vereint Amhara alle Probleme des äthiopischen Hochlandes: Überweidung und Bodenerosion, Bevölkerungsexplosion, mangelnde Infrastruktur und eine starke Stellung der konservativen orthodoxen Kirche. Erschwerend hinzu kommt die Abhängigkeit der Menschen durch Jahrzehnte Nahrungsmittelhilfe.

    Selbsthilfe statt Nothilfe lautet deshalb das Motto des deutschen Agrarökonomen Feldner, der seit 30 Jahren Ernährungsprojekte in Afrika leitet. Äthiopien brauchte nicht zu hungern, sagt Feldner -als Beweis dient der eigene Projektgarten.

    Ja, also hier haben wir Erdbeeren..., Rotkohl, Rosenkohl. Äthiopien hat eigentlich alles was es braucht: Wasser, guten Boden und billige Arbeit. Es braucht eigentlich nur kleine technische Verbesserungen, die das Land hindern, einen riesigen Sprung nach vorne zu machen.

    Eine dieser Verbesserungen, von der der Deutsche spricht, ist die Einführung von Triticale, einer Kreuzung von Weizen und Roggen, die in Südafrika entwickelt wurde und heute in vielen Teilen der Welt mit Erfolg angebaut wird. Triticale vereint die positiven Eigenschaften beider Getreidesorten und ist besonders dürreresistent.

    Es sind Projekte wie dieses, die langfristig die Produktivität der Bauern, und damit die Ernährungssicherheit Äthiopiens gewährleisten können. Doch längst nicht alle Parteien haben ein Interesse daran, dass das Land langfristig zum Selbstversorger wird. Zu handfest sind die finanziellen Interessen, weiß der Deutsche Feldner.

    Es gibt sehr viele Organisationen, es gibt auch Regierungen, ich spreche da besonders die USA an, die ihre Überschüsse auf diese Weise abtragen, und dadurch auch noch ein gutes Werk tun. Und diese ganzen Hilfsorganisationen, für die ist es natürlich auch ein Geschäft, und man darf auch nicht vergessen: jede Schiffsladung, die reinkommt, die braucht ja auch Transport, da müssen jede Menge Lastwagen fahren und da profitiert natürlich das lokale Transportwesen, da müssen Lagerhallen gebaut werden, da ist schon ganz schön Geld involviert, das kann man sagen, und manche sind eben mehr am Geld interessiert als an der Hilfe - das kann ich auch mit Fug und Recht sagen.

    Nahrungsmittelhilfe als Geschäft, von dem die Geber und deren Partnerorgansiationen, sowie private Unternehmer profitieren: Bis zu 150 Dollar kostet der Transport einer Tonne Getreide vom Hafen Djibuti in die Lagerhäuser des UN-Ernährungswerkes. Bei durchschnittlich 800.000 Tonnen im Jahr kommt für die oft parteinahen Transportunternehmen ein erkleckliches Sümmchen heraus. Das Schicksal ihrer Landsleute ist den Geschäftsleuten dabei reichlich egal: Mal weigern sie sich, ihre LKW für den Transport auf Asphaltstrassen zur Verfügung zu stellen, weil es dort keinen Schlecht-Wege-Zuschlag gibt. Oft kommt das Getreide gar nicht oder mit mehrmonatiger Verspätung bei den Bedürftigen an.

    Dass Nahrungsmittelhilfe big business ist, weiß niemand besser als Heinz Freyer. Seit 30 Jahren arbeitet der gelernte Landwirt für verschiedene deutsche und internationale Organisationen, darunter die UN und die kanadische Regierung, im Bereich Lebensmittelsicherung. Nach Äthiopien kam er zum ersten Mal 1972, danach folgten Aufenthalte in Simbabwe, Lesotho und Kenia.

    Geht es nach dem Deutschen Agrarexperten, dann ist der Hunger in Äthiopien nicht ein Problem fehlender Produktion, sondern eines der Umverteilung. Denn selbst in Dürrejahren hat das Land teilweise mehr als 1 Million Tonnen Überschussgetreide produziert. Doch statt es im eigenen Land in die Hungerregionen umzuverteilen, wurde das Getreide verkauft, um den Haushalt zu sanieren.

    Wir kriegen im Schnitt über 800.000 Tonnen Nahrungsmittelhilfe hier herein. Über die Jahre hin hat es mehr Überschussjahre gegeben, zum Beispiel 1973, große Hungerskatastrophe in Äthiopien: der äthiopische Staat hat in diesem Erntejahr- 1972/73 - 1,2 Millionen Tonnen Überschuss produziert, die nur nicht umverteilt wurden. Wir haben ähnliche Situationen in den letzten Jahren gehabt, vor 2 Jahren 1,3 Millionen, davor 1,2 Mio, davor um die 900.000 Tonnen: was machen wir denn damit? Wir verkaufen es an WFP, die es zur Verwendung bringen in ihrem Lifeline Sudan -Programm oder anderen regionalen Nahrungshilfeprogrammen am Horn von Afrika. Die äthiopische Regierung hat zum Teil damit ihre Aufrüstung finanziert, zum Teil hat sie sie natürlich auch direkt von den Amerikanern bekommen - aber natürlich wird exportiert.

    Freyers Kritik wird bei der Regierung und den Gebern in Addis nicht gern gehört. Überhaupt versteht es die Regierung meisterhaft, unliebsame Kritiker mundtot zu machen: 1998 kam der Agrarökonom Thomas Jayne von der Michigan State University in einer Studie zu dem wenig schmeichelhaften Ergebnis, dass die Nahrungsmittellieferung ein Fünftel aller bedürftigen Haushalte nicht erreicht. Die Studie bewies zudem, was Entwicklungshelfer schon lange wussten: Dass Nahrungsmittelhilfe als politische Waffe eingesetzt wird: So flossen im Referenzjahr in die Region Tigre, die Heimat der Regierungspartei, 12 Prozent mehr Food Aid als in andere Regionen - und dies, obwohl die Ernährungslage dort vergleichsweise gut war. Als sich Jayne weigerte, die Studie mit handverlesenen Akademikern zu wiederholen, wurde er des Landes verwiesen.

    Obwohl in allen Statistiken als eines der ärmsten Länder der Welt geführt, erlaubte sich Äthiopien 1998 einen kostspieligen Grenzkrieg mit dem abtrünnigen Bruder Eritrea. Seriöse Zahlen belegen, dass der zweijährige Krieg die Regierung in Addis drei Milliarden US Dollar kostete. Während Zehntausende junge Männer von den Äckern geholt und an die Front geschickt wurden, lieferten amerikanische und französische Waffenschmieden modernstes Kriegsgerät. Derweil liefen die Hilfslieferungen der Geber weiter. Sie erlaubten es der Regierung, die eigenen Soldaten zu füttern, damit den Staatshaushalt zu entlasten - und weiteres Kriegsgerät zu kaufen.

    Die USA, mächtiger Verbündeter der Meles-Regierung, drückten einmal mehr beide Augen zu. Ausschlaggebend dafür ist Äthiopiens strategische Lage am Horn von Afrika. Umgeben vom angeblichen "Schurkenstaat" Sudan und dem anarchischen Somalia, in dem Washington al Qaeda-Zellen vermutet, und auf Tuchfühlung mit der arabischen Halbinsel, stellt die christliche Regierung in Äthiopien einen vermeintlichen Hort der Stabilität dar.

    Eines ist den Militärstrategen im Pentagon klar: Gerät Äthiopien ins Strudeln, dann geht das Pulverfass Horn in die Luft. Eine Intervention in der von Clankämpfen geschüttelten, in Waffen schwimmenden Region möchte man sich nach dem Somalia-Debakel der 90er gar nicht erst ausmalen. Ob es wohl von ungefähr komme, fragt der Ökonom und Regimekritiker Berhanu Nega vom Economic Research Institute rhetorisch, dass Äthiopien in der Gunst der USA noch weiter gestiegen sei, seitdem sich Premierminister Meles getreu der Bush’schen Doktrin "Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns" auf die Liste der Anti-Terror-Partner eingetragen habe?

    Die US-Regierung ist derart fixiert auf ihren Kampf gegen den Terror, dass es jede Regierung, die der Koalition beitritt, stützt. Da spielt es dann auch keine Rolle, ob diese Regierung unter Umständen nicht einmal die grundlegenden Demokratie-Ansprüche erfüllt. Dies ist leider einer der Fehler der US-amerikanischen Außenpolitik: dass nicht grundlegende Prinzipien, sondern kurzfristige strategische, US-eigene Interessen die Politik bestimmen. Es gibt überhaupt keine Frage, dass die Außenpolitik der USA gegenüber Äthiopien von strategischen Interesse getrieben ist - dem Kampf gegen den Terrorismus nämlich - und eben nicht von Prinzipien demokratischen Regierens.

    Entwicklungshilfe als politische Waffe - das ist nicht Neues. Zunächst im Vietnam-Krieg, und dieser Tage in Nordkorea benutzten die USA Nahrungsmittelhilfe als Druckmittel, geopolitische Interessen durchzusetzen und Regierungen je nach Position zu belohnen oder abzustrafen. Das dementiert zwar der Sprecher der US-Botschaft in Addis. Doch seine Kollegin von der US-Entwicklungsbehörde USAID , Karen Freeman, bestätigt, was schon auf der Website der Agentur nachzulesen ist: Dass nämlich US-amerikanische Entwicklungshilfe eine Fortführung der Außenpolitik mit anderen Mitteln ist.

    Die amerikanische Entwicklungspolitik ist Teil der US-Außenpolitik. Wir sind der festen Überzeugung, dass Länder, die eine nachhaltige Entwicklung durchmachen, gefestigter und damit weniger anfällig für Terrorismus sind. Wenn sie sich den weltweiten Kampf gegen den Terror anschauen, dann haben wir es mit Völkern zu tun, die unzufrieden sind, die keinen Zugang zu Entwicklung haben. Daraus folgt doch, dass Entwicklungsprogramme nicht nur zum ökonomischen Wohl dieser Region, sondern vor allem auch zu deren Stabilität beitragen- und damit letztlich zu mehr Stabilität auf der ganzen Welt.

    Doch die Gleichung, nach der beide Seiten - Geber und Empfänger - profitieren, geht nicht auf. Denn nach wie vor sind die USA der einzige Geber, der sich weigert, Nahrungsmittelhilfe vor Ort aufzukaufen und zu verteilen. Dabei sind alleine in diesem Jahr in Ostafrika 1,6 Millionen Tonnen Überschussgetreide auf dem Markt - genau die Menge also, die nach UN-Angaben benötigt wird, um fast 13 Millionen Äthiopier vor dem Hungertod zu retten.

    Hunger als Geschäft, Hunger als politische Waffe. Es hat den Anschein, dass niemand ein ernsthaftes Interesse daran hat, die Hungerkrise in Äthiopien zu bewältigen: Zu lukrativ ist das Geschäft für Geber und Mittelsmänner. Besonders die Regierung tut sich schwer, die nötigen Rahmenbedingungen für eine Entwicklung zu schaffen. Denn das hieße Transparenz und marktwirtschaftliche Öffnung, und damit tut sich die politische Klasse auch 12 Jahre nach dem Sturz des marxistischen Regimes noch immer schwer.

    Weil der Privatsektor kaum Jobs zur Verfügung stellt, drängen jedes Jahr Zehntausende zurück in das Hochland, um die kargen Äcker zu bestellen, die infolge des rasanten Bevölkerungswachstums längst ausgezehrt sind: Ein verhängnisvoller Kreislauf.

    Äthiopien steht vor dem Scheideweg: Langsam dämmert es der Regierung, dass sie um Strukturänderungen, die den Namen verdienen, nicht herumkommt. Hungersnöte waren maßgeblich am Sturz der beiden letzten Regimes beteiligt. Das politische Risiko, das die Regierung durch das Verschleppen der Reformen eingeht, ist also hoch. Doch solange die Geber aus finanziellen Eigeninteressen das Spiel mitspielen, wird sich der Teufelskreis aus Hunger und Unterentwicklung munter weiterdrehen. Es gibt erste Ansätze: Besonders die Europäer drängen auf Reformen, Schweden hat bereist gedroht, im Fall neuer Grenzkonflikte mit Eritrea die Hilfe einzufrieren. Dagegen steht die Befürchtung, dass die USA, solange Äthiopien ein verlässlicher Partner beim Kampf gegen den Terrorismus bleibt, weiter beide Augen zudrücken wird.

    Entwicklungsstrategen wissen, dass durchgreifenden Änderungen im konservativen Äthiopien Generationen brauchen werden. Zu tief sitzt das Misstrauen gegenüber dem kapitalistischen Westen, zu lange war man - geographisch wie ideologisch - vom Rest der Welt abgeschottet. Längst sagen nicht mehr nur westliche Entwicklungsexperten hinter vorgehaltener Hand, dass die ausgebliebene Kolonialisierung Äthiopiens den Technologietransfer zum Schaden des Landes behindert hat.

    Bis Reformen - so sie denn angegangen werden - greifen, beten Äthiopiens Bauern vorerst weiter für Regen: im eigenen Land, aber vor allem in Nordamerika.