AfD im Umfragehoch
Warum man mit Wahlumfragen vorsichtig sein muss

Umfragen sahen die AfD zuletzt bei mehr als 30 Prozent – in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, wo im Herbst neue Landtage gewählt werden. Bei vielen ruft das große Sorge hervor. Doch was sagen Umfragen eigentlich aus und welchen Einfluss haben sie?

    Eine Wählerin kommt aus einer Wahlkabine.
    Welchen Einfluss haben Wahlumfragen darauf, wo Wählerinnen und Wähler ihr Kreuz machen? (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    „Wen würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Landtagswahl wäre?“ So oder so ähnlich befragten verschiedene Meinungsforschungsinstitute in den vergangenen Wochen Menschen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Mit der sogenannten Sonntagsfrage wird vor anstehenden Wahlen die Parteipräferenz ermittelt. In den drei Bundesländern wird im September ein neues Landesparlament gewählt.
    Laut den Umfragen gaben jeweils mehr als 30 Prozent an, die AfD zu wählen. Das hat weite Teile der deutschen Politik und Gesellschaft in Aufruhr versetzt. Doch wie kommen solche Umfragen eigentlich zustande? Was genau sagen sie aus? Welchen Einfluss haben sie? Und was müssen Medien beachten, wenn sie darüber berichten?

    Inhalt

    Wie werden Umfragen zur Wahl gemacht und wie seriös sind sie?

    Neben Methoden, mit denen länger- und langfristige Trends im Wahlverhalten ermittelt werden, gibt es immer mehr Umfragen, die eher auf die kurzfristige Ermittlung von Wählerabsichten zielen.
    Dazu gehören vor allem Befragungen, die Parteien und Medien im Vorfeld von Wahlen bei den Meinungsforschungsinstituten in Auftrag geben, um ein aktuelles Stimmungsbild zu erhalten, so der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. Beispiele sind der „ARD-Deutschlandtrend“ oder das „ZDF-Politbarometer“.

    Per Zufall ausgewählt

    In der Regel beruhen die Umfrageergebnisse auf 1000 bis 2000 repräsentativ und meist per Zufall ausgewählten Befragten. Jede wahlberechtigte Person in Deutschland könne in die Stichprobe für eine solche Umfrage gelangen, erklärt der Politologe Thorsten Faas.
    Häufig werden Umfragen per Telefon durchgeführt. Dabei werden zumeist sowohl Festnetz- als auch Mobilfunknummern angewählt, schreiben die Soziologen Sabine Pokorny und Jochen Roose, die für die Konrad-Adenauer-Stiftung im Bereich Wahl- und Sozialforschung arbeiten. Allerdings nähmen in der Regel weniger als 20 Prozent der ausgewählten Personen auch wirklich an der jeweiligen Umfrage teil. Unterrepräsentiert seien in vielen Telefonumfragen vor allem ältere und formal niedrig gebildete Personen sowie Stadtbewohner.
    Alternativen bietet die Onlineforschung. Eine häufige Variante sind laut der Wahlforschungsabteilung der Konrad-Adenauer-Stiftung sogenannte Access-Panels. Hier registrieren sich die Teilnehmer von Umfragen aus eigenem Antrieb und werden dann durch ein Zufallsprinzip oder eine Quotenstichprobe zu einer konkreten Umfrage eingeladen. Zumeist werde dann versucht, die durch die Selbstrekrutierung der Teilnehmenden entstandenen Verzerrungen durch eine besondere Gewichtung von soziodemografischen Merkmalen (z. B. Geschlecht, Alter, Bildung) auszugleichen. Studien zeigten jedoch, dass das nur bedingt gelinge.

    Wie aussagekräftig sind Umfrageergebnisse?

    Bei Umfragen im Vorfeld von Wahlen ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass sie nur aktuelle Verhaltensabsichten messen, nicht das tatsächliche Verhalten. „Wahlumfragen zeigen uns Stimmungsbilder“, sagt der Politologe Thorsten Faas. Kurz vor dem Wahltag seien sie aber in der Regel ziemlich aussagekräftig und lägen meistens nah am Wahlergebnis.
    Auch gibt es bei Umfragen immer eine sogenannte Fehlertoleranz - auch Fehlergrenze oder Schwankungsbreite genannt. Diese liege, je nach Umfang und Methode der Erhebung, etwa zwischen zwei und vier Prozent, so der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. Zudem ist nicht auszuschließen, dass die Befragten bewusst oder unbewusst Falschaussagen machen. So kann es beispielsweise sein, dass Menschen in einer Umfrage nicht zugeben, eine rechtsextreme Partei wählen zu wollen.

    Welchen Einfluss haben Wahlumfragen auf das Wahlverhalten?

    Was definitiv gilt: Wählerinnen und Wähler nehmen Umfrageergebnisse wahr. In den Wochen vor einer Wahl treffe das auf etwa 70 Prozent der Menschen zu, sagt der Politologe Thorsten Faas.
    Wie sich das auf das Wahlverhalten auswirkt, dazu gibt es verschiedene Theorien. So beschreibt etwa der Bandwagon-Effekt – auch Mitläufereffekt genannt – folgendes Phänomen: Wenn eine Partei in den Umfragen erfolgreich abschneidet, steigt die Zahl ihrer Unterstützerinnen und Unterstützer weiter. Der Erfolg und die Aussicht auf einen Sieg wirken demnach anziehend.
    Das genaue Gegenteil behauptet die Underdog-Hypothese, auch Außenseitereffekt genannt. Sie nimmt an, dass sich Wählerinnen und Wähler vom zu erwartenden Gewinner abwenden und die Partei unterstützen, die zu verlieren scheint. Das Motiv könnte dann Mitleid oder Trotz sein.
    Ob es solche Effekte tatsächlich gibt, werde in der wissenschaftlichen Literatur nicht eindeutig beantwortet, sagt der Münsteraner Politologe Bernd Schlipphak.

    Ein knappes Rennen hat Auswirkungen auf das Wahlverhalten

    Eine weitere Annahme ist, dass Menschen auch strategisch wählen. Auf der Basis von Überlegungen zu möglichen Koalitionen nach der Wahl würden Umfragen als "Impuls- oder Signalgeber" genutzt, sagt Thorsten Faas. Gut zu sehen seien Effekte von Umfrageergebnissen auf das Wahlverhalten beispielsweise, wenn es knapp werde, erläutert der Politologe. Diesen Eindruck hatten die Wählerinnen und Wähler beispielsweise vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 2021. Laut Umfragen ging es um die Frage, ob die AfD die CDU als stärkste Kraft verdrängt. Letztlich schnitt die CDU aber überraschend stark ab, die AfD landete mit deutlichem Abstand auf dem zweiten Platz.
    Hier hätten Umfragen offenbar das Verhalten von Wählerinnen und Wählern beeinflusst, so Faas. Um die AfD als stärkste Partei zu verhindern, wählten mehr Menschen in Sachsen-Anhalt die CDU, als zuvor durch die veröffentlichten Meinungsbilder erwartet worden war.

    Welche Rollen spielen Medien bei Wahlumfragen?

    In der medialen Berichterstattung sei es wichtig, deutlich zu machen, dass Umfrageergebnisse noch nicht das Wahlergebnis seien, betont der Politologe Bernd Schlipphak. Im Pressekodex – eine freiwillige Selbstverpflichtung von Journalistinnen und Journalisten – finden sich einige Bedingungen für die Berichterstattung über Umfragen:

    Bei der Veröffentlichung von Umfrageergebnissen teilt die Presse die Zahl der Befragten, den Zeitpunkt der Befragung, den Auftraggeber sowie die Fragestellung mit. Zugleich muss mitgeteilt werden, ob die Ergebnisse repräsentativ sind. Sofern es keinen Auftraggeber gibt, soll vermerkt werden, dass die Umfragedaten auf die eigene Initiative des Meinungsbefragungsinstituts zurückgehen.

    Pressekodex
    Bernd Schlipphak reicht das nicht. Er schlägt eine umfassendere freiwillige Selbstverpflichtung für Medienhäuser und Umfrageinstitute vor, ähnlich wie es sie bereits in Österreich gibt.

    Selbstverpflichtung der Medien

    Diese Selbstverpflichtung könnte beispielsweise festlegen, dass das Umfrageformat angegeben werden muss - also ob etwa online, telefonisch oder gemischt befragt wurde. Wichtig sei auch die Angabe, wie viele Menschen unentschlossen sind oder eine Antwort wie „weiß nicht“ gewählt hätten, meint Schlipphak. Damit wären die übrigen Ergebnisse der Umfrage besser einzuordnen.
    Der Politikwissenschaftler plädiert ebenfalls dafür, dass die Fehlertoleranz angegeben werden muss - also die Unsicherheit, die in Werten steckt. Sein Kollege Thorsten Faas zeigt an einem Beispiel aus dem Juni 2023, was das für die Berichterstattung bedeuten könnte: Damals lag die AfD laut der Sonntagsfrage von Infratest dimap zur Bundestagswahl bei 18 Prozent.

    Die Suche nach der Schlagzeile

    Wenn rund tausend Menschen befragt würden, um eine Aussage für die gesamte Wählerschaft in Deutschland zu treffen, könne man wegen der kleinen Stichprobe und der damit einhergehenden Fehlertoleranz eigentlich nur sagen, dass die AfD "irgendwo zwischen 15 und 19 Prozent“ liege, sagt Faas. Doch für die Medien sei das keine „vermittelbare Schlagzeile“, deshalb werde zugespitzt.
    Schließlich wird auch die Frage, bis wann vor der Wahl Umfrageergebnisse veröffentlicht werden sollten, immer wieder diskutiert. Der Pressekodex enthält dazu keine Angaben. Verboten ist lediglich die Veröffentlichung der Ergebnisse von Wählerbefragungen, während die Wahl läuft.

    Annette Bräunlein