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Affären, Ablenkungsmanöver und Enthüllungen

In Iwan Wyrypajews "Wespen stechen auch im November" geht es um die verzweifelte Suche nach der einen existenziellen Wahrheit. Doch der Versuch, Leben ins Bedeutungsgerede zu bringen, endet in einem schwachen Stück mit einer redlichen Inszenierung.

Von Hartmut Krug | 22.02.2013
    Drei Personen um die vierzig, ein Ehepaar und ihr Freund, streiten sich. Auch wenn sich scheinbar alles um die Frage dreht, bei wem der Bruder des Ehemanns am letzten Montag war, worauf viele recherchierende Telefonate widersprüchliche Auskünfte ergeben, geht es auch im neuen Chemnitzer Auftragswerk von Iwan Wyrypajew um die verzweifelte Suche nach der einen existenziellen Wahrheit.

    Jeder fühlt sich hier allein, obwohl die drei sich ihrer Liebe und Freundschaft versichern. Bekenntnisse, Sinnfragen und Suchbewegungen bringen nur zu Tage, dass jeder die Welt anders sieht. Alle aber sind aus dem Gleichgewicht geraten, worauf wohl auch der immer wieder zitierte Stücktitel "Wespen stechen auch im November" hinweisen soll.

    Und so offenbart sich Donald dem befreundeten Ehepaar:

    "Ich bin einfach total erschöpft von all dem, was um mich herum ist. Von allem, buchstäblich von allem, was ich sehe. Ich habe die Bäume, und die Straße vor meinem Haus über. Mein Fenster und die Gardinen habe ich über. Den Blick aus meinem Fenster. Mich
    machen die Vogel müde, die da rum fliegen am Himmel und früh und abends singen.
    Den Seifengeruch in unserer Toilette habe ich satt, dieses Lächeln unserer Nachbarn, die Farben an den Wanden in meinem Haus. Ich bin es müde jeden Tag dieselben Worte zu sagen, die man zu sagen hat. Erschöpft bin ich von all dem ... "

    Zwar empfehlen ihm die Freunde einen Psychotherapeuten, dabei leiden auch sie an Realitätsverlust. Nichts ist niemandem mehr sicher, aber gesucht wird mächtig. Nach dem Sinn, dem richtigen Verhalten in der Welt, nach Gott und jeder eindeutigen existenziellen Wahrheit. Keine kleinen Fragen.

    Noch mehr als in seinem Stück "Illusionen", in dem Wyrypajew zwei alte Paare zeigte, die sich durch eine Nebelwand von Worten und Fragen ihren Weg zur Erkenntnis zu bahnen suchten, prasselt hier ein Fragen- und Geschichtengewitter von widerstreitenden Haltungen und Antworten auf die Zuschauer ein. Die sich in diesem entwicklungs- und spannungslosen Redestück voller Klischees der bösen Wahrheiten wie in einer Dramatikerbastelstube fühlen.

    Die wilde Fülle der zu Verstörungen der Figuren und in Sackgassen führenden Geschichten legt sich ohne Sprachkraft und ohne Wortwitz wie eine schwere Textbarriere vor das Geschehen auf der winzigen Bühne.

    Unten ein Zimmer mit Sofa, hinterm Fenster Urwald, an den Seiten eine Dusche und Werkschränke, darüber ein Hochbett: Das ist die Szenerie, auf der Regisseur Dieter Boyer die drei Personen in leere Bewegung versetzt. Bei seinen Versuchen, Leben ins Bedeutungsgerede zu bringen, lässt er seine Schauspieler oft das Publikum direkt ansprechen. Das zwei hyperventilierende Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs und eine eher ruhige Frau erlebt. Die falsche Seitensprünge beichtet, kleine Kruzifixe bastelt und nach dem wahren Mann und auch nach Gott sucht:

    "Früher waren die Männer bestimmt noch schlechter als heute, aber die Frauen hatten da nichts zu wählen, sondern haben den geliebt, den ihnen Gott gesandt hat. Aber heute kann ich wählen, und ich finde meinen Herrn nicht. Es funktioniert nicht, weil ich weiß, wie er sein soll. Das stört mich. Ich weiß, wie er sein muss. Genauso ist es mit Gott. Ich weiß, wie er sein soll, deshalb findet sich kein Gott, dem ich dienen werde."

    Am Schluss aber finden die drei gegen alle Widersprüche in sinnfreier Einigkeit zueinander, - ein Film zeigt sie nackt tanzend im Schnee.
    Was dem schwachen Stück und der redlichen Inszenierung auch nicht mehr aufhilft. Die kaum eineinviertel Stunden Spielzeit wurden doch arg lang.