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Affären einer Ehe

Mit "Das sexuelle Leben der Catherine M." legte die Kunstkritikerin Cathérine Millet 2001 einen expliziten und autobiografischen Bestseller über ihr Liebesleben vor. Sexuelle Seitensprünge beträchtlichen Ausmaßes sind auch in "Eifersucht" Thema, diesmal jedoch die von Millets Ehemann.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 21.03.2010
    Es gibt wohl wenige Menschen, die weniger berechtigt wären, über Eifersucht zu schreiben, als Catherine Millet. Ein Buch von ihr zu diesem Thema, das ist, wie wenn Alice Schwarzer die Vorteile des Hausfrauendaseins preisen oder der Dalai Lama eine Anleitung zum Straßenkampf veröffentlichen würde. Denn Catherine Millet ist den wenigen Menschen, die mit ihr noch keinen Sex hatten, als Verfasserin eines vor einem Jahrzehnt erschienenen Buchs über "Das sexuelle Leben der Catherine M." bekannt.

    Der klassischen Palette weiblicher Methoden, durch Geschlechtsverkehr zu Reichtum zu gelangen, hatte die Französin nämlich eine neue und nicht unbeachtliche hinzugefügt. Statt kommerziellen Kopulierens oder vermögenswirksamer Verheiratung publizierte sie eine Art Vagina-Katalog, der ganze Heerscharen von ejakulierenden Eindringlingen verzeichnete, und siehe da: Das große Geld ergoss sich über sie, und zwar reichlicher als in den Träumen jeder Bordsteinschwalbe.

    Für den besonderen Pfiff sorgte dabei der Umstand, dass der Text aus der Feder einer renommierten Kunstkritikerin stammt. Catherine Millet gehört als Chefredakteurin der in Paris erscheinenden Zeitschrift "artpress" zum Establishment des französischen Kunstbetriebs. Sie war 1995 Kommissarin des französischen Pavillons bei der Biennale in Venedig, so wie schon sechs Jahre zuvor bei der Biennale in Sao Paolo. Sie hat etliche Fachbücher geschrieben, das erste vor 30 Jahren über den von ihr verehrten Frauenanfärber Yves Klein sowie eines, dessen Titel unterdessen neue Aktualität bekam: "Le critique d'art s'expose" - "Der Kunstkritiker exponiert sich".

    "Im Rausch der sexuellen Befreiung hatte ich das Gefühl entwickelt, die Möglichkeiten meines Körpers seien unbegrenzt. Ich war mir sicher, alle seine Ressourcen in jeder beliebigen Situation nutzen zu können, mit so vielen Partnern wie nur irgend möglich."

    So schreibt die heute 62-Jährige im Rückblick auf ihre frühe Phase als Sexual-Stachanowistin. Allerdings hinderte diese Ressourcen-Intensivnutzung durch Massenverpartnerung sie keineswegs, eine monogame Beziehung mit einem ebenfalls schriftstellerisch tätigen Lebensmenschen einzugehen. Jacques Henric, so heißt der Glückliche, ist zehn Jahre älter als Catherine Millet und offenbar ein routinierter Wegseher. Jedenfalls scheint ihn das tolle Treiben seiner Frau nicht allzu sehr verstimmt zu haben. Zumindest gewann man diesen Eindruck, wenn man die beiden nach dem Erscheinen von "Das sexuelle Leben der Catherine M." einträchtig dafür Werbung machen sah. Man fragte sich bloß insgeheim, ob dieser Mann nicht ab und zu vor Eifersucht gekocht haben mag, aber wer eine Nymphomanin zur Frau hat, ist sicherlich besonders abgehärtet.

    Jetzt jedoch erfahren wir, dass da sehr wohl Eifersucht im Spiel war, rasende Eifersucht sogar, nur überraschenderweise auf Seiten von Madame Millet. Monsieur Henric hatte nämlich parallel zu ihr jede Menge eigene Affären, und zwar grandios verheimlichte. Heimlichkeit ist zwar für die Entwicklung von Eifersucht nicht unbedingt nötig, verstärkt sie aber erheblich. Wenn also Catherine Millet in ihrem neuen Buch von Eifersucht berichtet, dann braucht sie für den Spott nicht zu sorgen. Die wesentliche Frage ist bloß, ob sie zu diesem Thema etwas Qualifiziertes beitragen kann, da sie offensichtlich nicht ganz in die normalen Gefühlsraster passt.

    Andererseits folgt daraus, dass primitive Eifersucht auch extravagante und durchgeistigte Persönlichkeiten befällt - eine Erkenntnis, an der sich das einschlägig interessierte Publikum bereits im Fall Sartre/de Beauvoir erbauen konnte. Catherine Millets Fall ist ähnlich: Sie hat ein klares Bewusstsein davon, dass ihre Eifersucht weit unter ihrem intellektuellen Niveau liegt, und sie kann sowohl die Peinlichkeit dieses Niveausturzes als auch die Erscheinungsformen der Eifersucht präzise und vokabelreich beschreiben. Allein, weder irgendwelche tieferen Gründe des Phänomens noch irgendwelche Möglichkeiten, es fruchtbringend zu bearbeiten, scheinen sich ihr erschlossen zu haben. Das Buch endet lapidar bis läppisch mit Worten, die penetrant nach hoch dosiertem Beruhigungsmittel klingen:

    "Allmählich wurde ich weniger oft von Bildern heimgesucht, die Jacques in Begleitung anderer Frauen zeigten."

    Bis dahin hat der Leser etliches über Catherine Millets Familien- und Sozialleben, manches über ihr Sexualleben und viel über ihr Seelenleben erfahren, doch wer in diesem Buch nach Auskünften über das Wesen jener Urgewalt namens Eifersucht sucht, bleibt hungrig. Immerhin gibt es ein paar Bemerkungen und Überlegungen, in denen sich jeder, der selber aktiv oder passiv mit Eifersucht zu tun hatte, wiederfindet. Es sind vor allem die Stellen, die von der Zwanghaftigkeit des ganzen Geschehens handeln, von der perversen Lust an der Apokalypse, von den tranceartigen Zuständen des Selbstmitleids, die für Eifersüchtige so charakteristisch sind.

    Bei Catherine Millet fing alles mit einer hässlichen Hausdurchsuchung an. Zufällig war ihr ein kompromittierendes Dokument ihres Mannes, das dieser unachtsam auf seinem Schreibtisch hatte herumliegen lassen, in die Hände gefallen. Daraufhin begann sie, in seiner Abwesenheit gezielt nach weiteren Materialien zu fahnden, wühlte in seinen Schubladen herum und fand wie erwartet Fotos und Tagebuchnotizen.

    "Mein Körper wurde von einer trockenen eisigen Welle erfasst. Alle, die schon einmal nach Beweisen für ihre schlimmsten Befürchtungen gesucht haben, kennen das: Wenn sie die Antwort auf die vermeintlich offene Frage, die sie umtreibt, erhalten, weicht ihnen plötzlich das Blut aus den Adern. Denn entdeckt haben sie den Beweis nicht erst in dem Moment, unterschwellig waren sie schon vollauf damit beschäftigt; was sie trifft wie ein Schlag, ist die Aktualisierung des Beweises, der Übergang von der Fantasie zur Realität. Sie geraten außer sich vor Schreck, nicht nur über die Realität, sondern weil sie alles vorher gewusst haben."

    Heimlichkeit und Lügen sind, wie gesagt, keine unabdingbaren Voraussetzungen für Eifersuchts-Szenarios, aber sie gehören oft dazu. Gewiss kann man auch eifersüchtig sein in völliger Aufgeklärtheit; doch das wäre eine andere Geschichte. Normalerweise gedeiht Eifersucht auf dem Boden einer doppelten Verletzung: der Intimsphäre zum einen und des Wahrheitsgebots zum anderen. Es ist dieser doppelte Treuebruch, der im Augenblick seiner Entdeckung die Gefühle überkochen oder - je nach Temperament - vereisen lässt.

    "Ich kenne die Wollust des Schluchzens; in bestimmten Phasen meines Lebens stellte es sich als Fortsetzung des Orgasmus ein. Nach den Kontraktionen waren die Spasmen in der Brust das Ventil, durch das der Druck entwich, unter dem sich die Gliedmaßen verkrampft hatten. Es waren keine Tränen der Wut, es waren Tränen des Aufgebens, der Verzweiflung."

    So wie die Wonne des Weinens sexuell grundiert sein kann, so besteht natürlich ein Zusammenhang zwischen dem Bitterstoff der Eifersucht und süßer Liebeslust. Der oder die Eifersüchtige erlebt diesen Zustand als eine Art Bewusstseinsspaltung. Hin- und hergerissen zwischen Ekel und Begehren, zwischen Wut über den Verrat und der Hoffnung auf Heilung, beginnt er oder sie sich genau wegen dieser ausweglosen Uneindeutigkeit seiner eigenen Gefühle selbst zu hassen. Der dadurch entstehende Souveränitätsverlust macht die Person noch unsympathischer: So schließt sich ein emotioneller Teufelskreis, der Eifersuchtsszenen ihre Neigung zum Gewaltexzess verleiht.

    Davon ist im Hause Millet/Henric glücklicherweise keine Rede - jedenfalls nicht in diesem Buch. Unerwähnt bleibt allerdings auch alles, was eine psychologische Erklärung für die so elegisch geschilderte Krise liefern könnte. Gewiss, man kann davon ausgehen, dass Männer über fünfzig einen gewissen Erprobungszwang verspüren, der zu solch klassischen Konstellationen wie den von der Autorin erlittenen führt: Jacques war in dem betreffenden Alter, seine Gespielinnen waren entsprechend jünger, blonder, langhaariger als die gute, wenn auch wilde, Catherine. Doch wie hat er seine Seitenspringerei verstanden? Und was von seinen Sehnsüchten hat sie verstanden? Eine dicke Sprachlosigkeit liegt über diesen Fragen und über diesem sonderbaren Paar.

    "Von den ersten Vorfällen an hielt ich meine Entdeckungen zunächst geheim, in der Hoffnung, er würde die Wunden erkennen, die sie mir geschlagen hatten; ich wartete darauf, dass er die Initiative ergriffe, sie zu verbinden, ich hoffte auf den Beweis einer so vollkommenen Liebe, dass ich Jacques die Fähigkeit zutraute, per Telepathie zu spüren, was ich empfand."

    Hier ist schon alles versammelt, was nach therapeutischer Behandlung schreit: die Kultivierung einer unmöglichen Erlösungsfantasie, die Bewirtschaftung des Schmerzes und die weitere Vergiftung der Partnerschaft durch Heimlichkeit. Letztere dient eben nicht nur der Ermittlung einer verborgenen Wahrheit, so wie ein Detektiv vorgeht, sondern die Heimlichkeit ist auch so etwas wie ein Abwehrzauber. Er gewährt einen Rest von Autonomie im Umgang mit widerwärtigen Tatsachen, deren besondere Widerwärtigkeit eben darin besteht, dass sie vollkommen rücksichtslos, ohne die Möglichkeit einer Verständigung, geschaffen wurden.

    "Diese Hingabe an den Schmerz war immer noch das unfreiwillig gesuchte, sicherste Mittel, um mich von der Qual der Mutmaßungen zu befreien und die Diskussionen zu beenden, mit denen ich Jacques in meiner Vorstellung drangsalierte, oder auch um die verschlungenen Rachegedanken zu vergessen. Mit greifbaren Beweisen in der Hand konnte ich mir eine Atempause gönnen. Die traurige, aber volle Gewissheit erlöste mich vom Hinundherwälzen des Verdachts."

    Catherine Millet fingerte regelmäßig und systematisch in den Papieren ihres Mannes herum, stets auf der Suche nach weiteren Beweisen für das längst Gewusste. Sie dosierte ihr Leiden, wie um einen masochistischen Lustgewinn zu steigern, indem sie ganz allmählich das Ausmaß seiner Verheimlichungsanstrengungen erkannte. Sie empfand diese gegen sie gerichtete Heimlichkeit natürlich als besonders erniedrigend, zumal sie scharfsinnig erkannte, dass diese Heimlichkeit zugleich den anderen als Aphrodisiakum dient.

    "Die Heimlichkeit setzt Fantasie frei und die Liebenden kompensieren den Mangel an gemeinsam verbrachter Zeit mit einer Verkomplizierung der Umstände, was sie wiederum von der Intensität ihrer Verbindung überzeugt."

    Es gibt aber noch eine weitere Funktion der Heimlichkeit, die ertappten Seitenspringern ein ebenso gängiges wie eingängiges Erklärungs- und Entschuldigungsmuster bietet, nämlich Fürsorge. Man wollte den Partner oder die Partnerin bloß nicht beunruhigen, heißt es dann, denn der Seitensprung als solcher würde bestimmt falsch aufgefasst. Eigentlich läge gar nichts daran, es sei nur ein triebhaftes Begehren, jenseits jeglicher Diskussionswürdigkeit. An der Partnerschaft solle damit keinesfalls gerüttelt werden.

    Seltsamerweise tritt Jacques Henric nicht mit solchen Sätzen auf. Mag er sie gesagt haben oder nicht, Catherine Millet unterlässt es einfach, diese Seite der Eifersuchtsthematik zu erörtern. Dabei liegt hier ein Fundament des ganzen Liebeskampfs und -krampfs: in der Hierarchisierung von Beziehungen. In jedem anderen Lebensbereich weiß der Mensch seine Bedürfnisse souverän aufzuspalten und zuzuordnen, nur bei der Liebe muss alles unteilbar total sein.

    Dafür gibt es durchaus gute Gründe: Schließlich ist die sexuelle Verschmelzungsenergie prinzipiell unkontrollierbar. Auch wenn eine Affäre sehr kopfgesteuert anfängt, besteht Anlass, diese Urkraft zu fürchten. Allerdings ist das auch eine Frage des Alters. Wir dürfen annehmen, dass Jacques Henric schon eine klare Vorstellung der weiblichen Haupt- und Nebenrollen in seinem Leben besaß, als er seine Frau zu hintergehen anfing; doch genau darüber war sie anscheinend nicht imstande sich Rechenschaft zu geben.

    "Nie verstand ich, warum Jacques immer öfter durch sein Verstummen die Auseinandersetzungen abbrach, nie begriff ich, was ihn in einem bestimmten Augenblick dazu bewog. Er drehte sich auf die Seite, ich fragte ihn, ob er böse sei, er sagte Nein, und damit war Schluss, ich erhielt keine Antwort mehr, ich konnte mein Glück am nächsten oder übernächsten Tag erneut versuchen, mich auf seinen Arm stützen, seinen Namen rufen, als sähe ich ihn in der Ferne verschwinden; ich konnte umgekehrt versuchen, ihn durch leises Sprechen glauben zu machen, die Krise sei vorüber, oder ihn bitten, er möge wenigstens die Formulierung, den Vorwurf, mit dem ich ihn verletzt hatte, wiederholen, Er entzog sich, versicherte mir, man müsse die Zeit arbeiten lassen, es werde vorbeigehen, und tatsächlich zwei, drei, vier Tage später, ohne dass ich besser verstand, was ihn jetzt dazu brachte, sprach er mich wegen irgendetwas Banalem an, und diesmal waren der Ton, der Fluss seiner Stimme frei und ungezwungen."

    Gut - jeder kennt solche Formen der Kommunikationsverweigerung. Jeder weiß, dass Endlosauseinandersetzungen nicht unbedingt zur Verständigung führen. Jeder hat schon mal aus Hoffnungslosigkeit geschwiegen. Aber dass in einem Haushalt von Sprachmenschen das Verstummen so intensiv gepflegt wird, ist zumindest verwunderlich. Immerhin gibt es Geräte, welche die Kommunikation fördern - zumindest in technischer Hinsicht:

    "Wir kompensierten die geografische Entfernung durch Telefongespräche, nach denen mir vom Druck des Hörers das Ohr wehtat. Diese Gespräche waren schrecklich. Am Telefon kann man weder ein etwas zu hartes Wort durch einen bloßen Blick ersetzen, noch auf den Blick des anderen hin eine grausame Entgegnung unterdrücken; deshalb redet man schroffer, während gleichzeitig die Unsichtbarkeit des Gesprächspartners wie im Beichtstuhl die schwierigsten Geständnisse begünstigt. Hinterher waren wir erschöpft und mit unseren Argumenten am Ende; einmal wurde mir kurz schwindelig, sodass mir der Hörer aus der Hand fiel."

    Jean Cocteau hat aus einer solchen Situation ein Monodram gemacht, das von Francis Poulenc vertont wurde: "La voix humane" heißt es - "Die menschliche Stimme". Die Verbindung von Eifersucht und Telefon ist schon ein klassisches Element der französischen Kulturgeschichte.

    Aber was haben Partner unter dem Horizont von Seitensprung und Eifersucht einander überhaupt zu sagen, wenn es nicht bloß um das verbale Ringen geht, mit dem Tatsachen verschleiert oder aufgedeckt werden sollen? Die Verhöre, die Ausflüchte, die Nachfragen, die Geständnisse bilden sozusagen den aufsteigenden Ast des Eifersuchtsdramas. Fact Checking ist noch lange keine Verständigung.

    "Nach langem Hinauszögern hatte ich eine erste Frage riskiert, so einfach und kurz formuliert wie nur irgend möglich: 'Zu dem Essen bei den Soundsos, bist du da mit L. hingegangen?' Kaum hatte ich den Satz ausgesprochen, reagierte Jacques auch schon mit einem Wutausbruch. Er halte meine 'krankhafte Eifersucht', mein 'masochistisches Gequatsche' nicht mehr aus. Vorsichtig versuchte ich noch einmal zu betonen, wie harmlos doch in Wirklichkeit mein Ansinnen sei: Er brauche es mir nur zu bestätigen, dann würde ich nicht mehr daran denken. Doch Jacques hörte mir nicht mehr zu, auch er habe gelitten, leide noch immer, und deshalb habe er Anspruch darauf, dass ich ihn damit verschone."

    Die Trotzreaktion ist typisch für den Ertappten. Aber Jacques Hinweis auf sein eigenes Leid enthält eine wesentliche Wahrheit über den Mechanismus der Liebeszerrüttung durch Liebesüberhöhung. So wie Catherine, bereits im Besitz von Beweisstücken für Jacques Untreue, von ihm telepathische Fähigkeiten erhofft, mit denen er spüren soll, was sie empfindet, so gräbt sich Jacques stillschweigend in einen Verständnisanspruch ein, den Catherine ihm schuldig bleibt. Dahinter steckt ein urmenschliches Konzept von Liebe als einem metaphysischen Erkennen, und nicht von ungefähr ist Erkennen auch ein altes Wort für Beischlaf.

    Wenn der verbale Austausch über diese Dinge nicht mehr funktioniert, dann beginnt der für die Liebe tödliche Bereich der Verdächtigungen und Unterstellungen:

    "... ich unterstellte Jacques eine Erfahrung sexuellen Glücks, wie ich es nicht hatte erreichen können."

    Dann fantasiert sich Catherine an die Stelle jener Partnerinnen, mit denen Jacques glücklicher zu sein scheint:

    "Ich träumte nicht mehr mein eigenes sexuelles Leben, ich träumte das von Jacques."

    Dann fällt die Prognose einer Krankheit, die eigentlich nicht Eifersucht heißt, sondern Liebesunglück immer negativer aus:

    "Die große Blase unseres gemeinsamen Lebens schrumpfte immer mehr zusammen."

    Dies jedoch nicht zuletzt deshalb, weil Catherine das Fremdgehen auf perverse Weise in ihrer Gedankenwelt umkehrte, indem sie sich selbst immer fremder fühlte. Zunächst empfand sie sich von Jacques mehr oder weniger unsichtbaren Frauen wie von Eindringlingen in ihrer Privatsphäre genötigt. Sie fand in einem Motorradhelm, den sie auch zu tragen pflegte, ein fremdes Haar und brachte es von da an nicht mehr über sich, ihn aufzusetzen. Sie sah Fotos von Jacques und fremden Begleiterinnen an Plätzen, die sie auch gerne besucht hatte. Ab da wurden sie zu No-go-Areas. Selbst das eigene Badezimmer begann sie zu meiden, seitdem sie wusste, dass sich da zuweilen auch gespenstische Besucherinnen ihres Mannes wuschen und frisierten.

    "Im deutlichen Bewusstsein meiner schwachsinnigen Abhängigkeit rief ich mir die eine oder andere Szene mit Jacques und einer seiner Freundinnen in Erinnerung. Ich versuchte, eine klare Vorstellung zu behalten, wie lange ich schon so bis tief in meine Einbildungskraft hinein unterjocht war. Hätte ich Striche auf die Wände meiner imaginären Zelle zeichnen können, ich hätte es getan; ich zählte in Monaten, dann in Jahren, ohne zu wissen, ob ich bei dem, was der allerpersönlichste sexuelle Akt ist, jemals wieder zu mir selbst finden würde."

    Dabei sind an ihre Zellenwände Leinwände gespannt, auf die ein pornografisches Gedankenkino projiziert wird. Dieses zu gestehen, gehört zu den mutigsten und radikalsten Elementen des Milletschen Eifersuchtsberichts. Bloß ihrem Mann hat sie nicht anvertraut, was sie dem Leser freizügig mitteilt: dass sie nämlich die Vorstellung, wie er es mit seinen Geliebten treibt, durchaus erregend findet.

    "... vermutlich hätte mich mein unbewusstes niemals das Wagnis eingehen lassen, Jacques in das Geheimnis meiner Masturbationsfantasien einzuweihen, in denen es um nichts anderes als um seine Ausschweifungen mit anderen ging."

    Catherine Millets begreift das selbst als eine Art Nebeneffekt ihrer visuellen Orientierung. Viel eher aber ist es ein Zeichen für den schizophrenen Suchtzusammenhang, der das ganze Thema überwölbt: Sehnsucht und Eifersucht sind zwei Seelen in jedes Menschen Brust.



    Cathérine Millet: Eifersucht
    Hanser Verlag