Sonntag, 28. April 2024

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Affen zeichnen nicht. Humoresken

Tatsächlich hat das Abendland den Verdacht nie ganz aus der Welt schaffen können, daß die Welt womöglich eine Fälschung ist. Vor allem in den letzten Jahrzehnten sind die alten, bärtigen Referenzen beharrlich flöten gegangen - und mit diesen naturgemäß auch der Sinn. Herausgekommen ist eine Welt, von der man, genau besehen, so wenig weiß wie vermutlich noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Deshalb wächst das Wissen ja inflationär-. weil man sich immer weniger gewiß sein darf. Folglich bleibt nichts anderes übrig, als sich provisorisch im Unbehausten einzurichten - der ständigen Gefahr bewußt, ins Bodenlose einzubrechen, Überraschungen zu erleben, von Umstürzen und Katastrophen heimgesucht zu werden. Als spirituelles Marschgepäck ist uns dabei nicht viel geblieben, vielleicht noch die Suche nach totaler Entspannung oder das Streben nach internationalem Erfolg. Das ist eigentlich schon alles. Der Münchner Autor Heiner Link - ehedem Herausgeber von "Trashpilot", einer Sammlung von Texten für die 90er - hat sich in sechzehn Grotesken mit dieser etwas komischen Situation literarisch befaßt. Der Band trägt den ebenso etwas komischen Titel "Affen zeichnen nicht" - nun, wer wollte da widersprechen? Die Erzählstrategie särntlicher "Humoresken", wie das Buch untertitelt ist, basiert auf der erstaunlichen, gleichwohl angenehm befreienden Tatsache, daß nichts, aber auch garnichts heilig ist, weder irgendein literarischer Kanon, noch Marokko (ich sage nur: "Himmel über der Wüste"!) oder die Geographie insgesamt (Gibraltar bei Mittenwald!), weder der Protestantismus noch das Schafkopfen; weder Homer noch der Frauenroman - nichts. Folglich heiligt der Zweck die Mittel - und als Mittel steht das komplette Arsenal der abendländischen Literatur zur Verfügung, aus dem sich der Autor für seine gelungenen Texte auch frech bedient. Bleibt die Frage: Für was für einen Zweck eigentlich? Dazu später, jetzt erstmal eine Textprobe:

Thomas Palzer | 22.09.1999
    Wenn diesseits der Alpen aus südlicher Richtung ein Meer an eine Küste schlüge und die Gischt meterhoch bis an die unteren Fenster der am Strand stehenden Villen peitschen würde, gelb schäumend, könnte zwar, aber es muß alles bleiben, wie es war. Es kann nicht angehen, die Landschaft beliebig zu figurieren. Das Meer ist das Meer und hält sich auf, wo es mag. Die Alpen sind kantig und schlängeln sich in Gebirgszügen ohne jeden mathematischen Ehrgeiz kreuz und quer tiber das Festland. Und die Wasserschutzpolizei ist auch am Weßlinger See ausreichend beschäftigt. Immerhin ist es ein schöner Gedai-ike, sich das Meer weiter heroben vorzustellen. Gibraltar bei Mittenwald. Wie gerne würde ich es sehen, wie eine Fähre vom Ufer absetzt, meinetwegen um acht.

    Die Figuren, mit denen Heiner Link seine Geschichten bevölkert, sind Figuren, die er, wie ich annehme, alle von seinem Fenster aus sehen kann: bunte Radfahrer, Hutmacher, Girlies, Philosophen, Kaufleute, Sibylles, Marlas und Svens, Sandflohhändler. Ihnen allen eigen sei, wie der Klappentext meint, ein Drang zum Höheren. Ja, so kann man es wirklich sagen. Erfolg macht sexy, weiß zum Beispiel einer und erfindet eine Schmelzwasserkontrollmaschine. Leider mit geringem Erfolg, wie der Leser bald erfährt, wollen die Österreicher doch, wie ihm per Fax mitgeteilt wird, selber abtauen. So wird er am Ende von der Vergeblichkeit angegähnt - eine Erfahrung, die wir alle mit den Figuren problemlos teilen können. Und das ist Oberhaupt das Merkwürdige an Heiner Links Geschichten: so absurd, grotesk und bizarr sie sich auch ausnehmen, wir als Leser wissen ganz genau, wovon er spricht. Merkwürdig. Kennen wir alles aus unserem Alltag. Haben wir aber, wie auch im folgenden, so noch nie gesehen:

    Ich hatte gerade meine ausgebeulteste Trainingshose und das Feinnrippshirt angezogen und mir eine Schachtel Pralinen hergerichtet, mir eine Decke um die Beine gewickelt und den Fernseher eingeschaltet. Hhmm! Schnapspralinen. Und zappen. Da läutete das Telefon. Reflexartig, ich meine, erstmal riß ich den Couchtisch um. Ja, j a, ich komme schon.

    In Heiner Links Geschichten springt das Detail plötzlich aus dem Großen Ganzen, rumpelt das Profane gegen das Heilige, durchkreuzt der Alltag große Pläne, scheitert der Versuch, fette Geschäfte zu machen, an der Undurchdringlichkeit der Welt. Irgendwie ist immer der Kopf in der Quere, einfach, weil die Welt, die man im Kopf hat, partout mit der, die außerhalb des Kopfes liegt, nicht zusammenpassen will. Was soll man da machen? Aufgeben? Nein, heißt es bei dem Autor-. "Nicht aufgeben! Nicht aufgeben! Nicht aufgeben! Investieren Sie durchaus auch in größere Ausflüge!" Das wird in den anarchischen und chaplinesken Geschichten reichlich gemacht. Doch, um zu unser eieingangs gestellten Frage zurückzukehren: Wozu der ganze Aufwand? Wozu wird hier die ganze Metaphysik von den Füßen auf den Kopf gestellt? Um ihr noch die letzten Groschen zu entlocken? Genau.

    Klauen, Fälschen und / oder Lümmeln. Gepriesen seien die Mittel zum Zweck. Kontrollverlust? Ach was! Let's be good friends, that's what I said, and she said: O.k. Two hundred.