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Affenmütter in der Klemme

Biologie. - Die Süßigkeitenregale an der Supermarktkasse stellen Mutter und Kind gern auf die Probe: Diskussionen um Für und Wider der dort platzierten Süßigkeiten sind an der Tagesordnung. Das ist bei wildlebenden Rhesus-Affen nicht anders, wie ein britisches Forscherteam herausgefunden hat.

Von Marieke Degen |
    Ein kleiner Trost für alle Eltern, die ihre brüllenden Kinder schweißgebadet und unter abschätzigen Blicken vom Süßigkeitenregal wegzerren mussten: Makaken-Müttern geht es noch schlechter, wenn ihr Nachwuchs einen Trotzanfall hat.

    "Eins haben wir ziemlich schnell gemerkt: Affen, die sich das schrille Geschrei anhören mussten, wurden unruhig. Sie haben zu Mutter und Kind rübergeschaut, manchmal haben sie die beiden auch bedroht oder sogar gebissen. Das ist zwar relativ selten vorgekommen. Aber unseren Berechnungen zufolge war das Risiko für Mutter und Kind, während eines Wutausbruchs attackiert zu werden, 30 mal höher als sonst."

    Stuart Semple ist Primatenforscher an der Roehampton University in London. Er interessiert sich für die Kommunikation bei Affen. Wenn wir Menschen miteinander kommunizieren, sagt Semple, dann lassen wir uns dabei von unserer Umgebung beeinflussen. Zum Beispiel von Fremden, die zufällig mithören. Doch wie verhält es sich mit unseren nächsten Verwandten?

    "In den letzten 40, 50 Jahren gab es eine Menge Studien über Kommunikation bei Tieren, aber die Forscher haben immer nur auf das Tier geschaut, das die Nachricht sendet, und auf das Tier, das sie empfängt und darauf reagiert. Ich wollte die Kommunikation unter realistischen Bedingungen und in einer natürlichen Umgebung erforschen. Dafür ist die Kommunikation zwischen Mutter und Kind ideal, weil es immer wieder Hinweise darauf gegeben hat, dass diese Interaktion von Außenstehenden beeinflusst wird."

    Affenmütter mit Kindern in einer natürlichen Umgebung fand der Forscher auf Cayo Santiago in Puerto Rico, eine Insel in Makakenhand. 900 Rhesusaffen leben dort. Ein Eldorado für Verhaltensforscher: Vier Monate lang haben sich Stuart Semple und seine Kollegen an die Fersen von elf Affenmüttern und ihrem Nachwuchs geheftet, und mehr als 300 Wutanfälle dokumentiert.

    "Wir sind den Tieren mit hochempfindlichen Mikrofonen gefolgt. Filmen konnten wir sie nicht, dafür ist das Gestrüpp auf Cayo Santiago zu dicht. Aber wir haben ihre Laute aufgenommen und gleichzeitig aufgesprochen, wie sich die Tiere gerade verhalten."

    Das Ergebnis der Studie: Die Mütter lassen sich sehr wohl von Außenstehenden aus der Ruhe bringen, genau wie wir Menschen. Das Kommunikationsverhalten von Mensch und Primat sei sich damit etwas ähnlicher geworden, sagt Semple. Wenn die Affenmütter mit ihren quengeligen Kindern allein waren, dann gaben sie etwa jedes zweite Mal nach und ließen sie an die Brust. Das blieb auch so, wenn Familienmitglieder oder rangniedere Tiere anwesend waren – von ihnen hatten Mutter und Kind nichts zu befürchten. Doch in Gesellschaft von Ranghöheren änderte die Mutter ihr Verhalten.

    "Wenn Tiere in der Nähe waren, die der Mutter körperlich überlegen waren, die also ein Risiko für Mutter und Kind dargestellt haben, dann haben die Mütter in 80 Prozent der Fälle nachgegeben. Wie die Mütter auf das Weinen ihrer Kinder reagiert haben, hing also tatsächlich davon ab, welche Affen um sie herum waren, und vor allem davon, wie stark sie waren."

    Dabei ging das Gequengel nicht nur fremden Tieren auf die Nerven, sondern brachte auch die sonst liebevollen Mütter in Rage. Statistisch gesehen waren sie 460mal aggressiver, wenn ihr Baby zu weinen anfing.

    "Das könnte ein Versuch der Mutter sein, Aggression von Außenstehenden abzuwenden. Sie will selbst schon das Kind dazu bringen, still zu sein, um das Risiko, angegriffen zu werden, zu verringern."

    Die große Frage, sagt Semple, sei jetzt aber die folgende: Nutzen die Affenkinder solche Situationen bewusst aus, um ihre Mutter um Milch zu erpressen?

    "Sie heulen nicht immer los, sogar in ähnlichen Situationen. Wenn sie an die Zitzen der Mutter wollen und die Mutter sie wegstößt, dann kriegen sie manchmal einen Wutanfall - und manchmal nicht. Wir wollen jetzt herausfinden, ob sie die fremden Affen gezielt instrumentalisieren. Wenn sie das machen, dann müssten sie in Anwesenheit von Fremden mehr Wutanfälle bekommen als sonst."

    Das wollen Semple und seine Kollegen als nächstes herausfinden. Doch dafür müssen sie noch mehr Wutanfälle auf Cayo Santiago mit dem Mikrofon aufnehmen.