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Afghanistan
Illusion von einem friedlichen Land

Zwischen der Ukraine, Syrien, dem Islamischen Staat und Jemen macht Afghanistan nur noch selten Schlagzeilen. Dabei ist Afghanistan noch immer weit von Frieden und Stabilität entfernt. In rund 20 von 34 Provinzen fanden im vergangenen Jahr Kämpfe statt - die Zahl der getöteten und verletzten Zivilisten erreichte einen Höchststand.

Von Sandra Petersmann | 04.04.2015
    Afghanischer Helfer im Gespräch mit Bundeswehrangehörigem.
    Afghanischer Helfer im Gespräch mit Bundeswehrangehörigem: Viele ehemalige Ortskräfte werden in Afghanistan bedroht. (dpa/picture alliance/Can Merey)
    Es ist das Chaos nach der Explosion: Soldaten und Polizisten rennen aufgeregt durcheinander. Ein Selbstmordattentäter hat sich in der Nähe des Präsidentenpalastes in Kabul mit einem Auto in die Luft gesprengt.
    Mohammed Tahir, ein Überlebender des Anschlags, berichtet von Toten und Verletzten. Von abgerissenen Armen und Beinen. Das Selbstmordattentat geschah am 25. März. Mindestens sieben Menschen verloren ihr Leben, mehr als 30 wurden verletzt. Am selben Tag hielt Afghanistans Präsident Ashraf Ghani eine Rede vor dem amerikanischen Kongress.
    "Die Taliban müssen entscheiden, ob sie ein Teil von Al Kaida oder Afghanistan sein wollen. Und wenn sie sich für Afghanistan entscheiden, dann werden wir sie als Teil unserer Gesellschaft willkommen heißen. Viele Taliban glauben, dass sie gegen Korruption und Kriminalität kämpfen, die sie in ihren Dörfern und Städten erlebt haben. Mit diesen gerechtfertigten Klagen können wir umgehen. Auf der Verhandlungsbasis, dass die Taliban unsere Verfassung und rechtsstaatliche Prinzipien anerkennen, werden wir einen Weg für ihre Rückkehr in die Gesellschaft finden."
    In der gleichen Rede warnte Ashraf Ghani davor, dass der Terror des selbsternannten Islamischen Staates auch in Afghanistan Fuß fassen könnte.
    "Die Welt muss verstehen, dass der Islamische Staat auch für unsere Region eine furchbare Bedrohung ist. Terroristische Bewegungen verfolgen auch in Zentralasien das Ziel, jeden Staat zu destabilisieren. Sie suchen nach neuen Operationsfeldern. Wir sind ein Frontstaat."
    Ob Islamischer Staat oder nicht: Der Terror ist nach 13 Jahren NATO-Kampfeinsatz nicht aus Afghanistan verschwunden. Tage ohne Anschläge und Tote sind seltene Tage. Von Präsident Barack Obama bekam Ashraf Ghani die Zusage, dass die USA ihren weiteren Rückzug aus Afghanistan verlangsamen werden. In der Spitze waren mal über 100.000 amerikanische Soldaten im Land. Derzeit sind es noch knapp 10.000. Eigentlich sollte diese Truppenstärke im Laufe des Jahres um etwa die Hälfte reduziert werden, doch dieser Plan ist zu den Akten gelegt worden.
    "An dem Datum, dass wir unseren Rückzug bis Ende 2017 abschließen, hat sich nichts geändert. Aber ich bin genauso wie unser Kommandeur vor Ort der Meinung, dass es sich jetzt absolut lohnt, den afghanischen Sicherheitskräften mehr Zeit zu geben, damit sie ihr Ziel erreichen."
    Machtvakuum gibt Taliban großen Spielraum
    Im vergangenen Jahr mussten die afghanischen Sicherheitskräfte ihre bisher schwersten Verluste seit dem Sturz des Taliban-Regimes hinnehmen. Es war das erste Jahr, in dem sie überwiegend alleine kämpften und die ausländischen Soldaten nur im Notfall eingriffen. Die Taliban überzogen das Land mit Gefechten und Anschlägen. In fast 20 von 34 Provinzen fanden Kämpfe statt. Die Zahl der getöteten und verletzten Zivilisten erreichte einen Höchststand. Präsident Ashraf Ghani ist zurzeit erkennbar bemüht, mithilfe Pakistans Verhandlungen mit den Taliban aufzunehmen. Das pakistanische Militär gilt als einflussreicher Mentor der afghanischen Taliban-Bewegung. Doch Sayed Mohammed Akbar Agha zweifelt an einer schnellen Verhandlungslösung. Der ehemalige Kämpfer steht den Taliban um Mullah Omar nahe und bietet sich als Vermittler an.
    "Alle ausländischen Soldaten müssen das Land verlassen, aber die Amerikaner wollen bleiben", sagt Akbar Agha. Und fügt an: Solange auch nur ein einziger amerikanischer Soldat im Land stationiert sei, werde es keinen Frieden geben."
    Es kommt erschwerend hinzu, dass die Intervention unter Führung der USA einen schwachen, korrupten Staat mit ausgehöhlten Institutionen geschaffen hat, der sich nicht alleine finanzieren kann. Die Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr war für viele Bürger eine Stunde der Hoffnung. Doch sie endete im Fälschungschaos. Anschließend erzwangen die Amerikaner eine Regierung der nationalen Einheit – nur ein weiterer Ausdruck der großen Abhängigkeit. Doch nach sechs Monaten im Amt haben es Präsident Ashraf Ghani und Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah noch immer nicht geschafft, alle Minister und Provinzgouverneure zu ernennen. Die beiden Lager streiten, anstatt zu regieren. Das Vakuum gibt nicht nur den Taliban großen Spielraum. Auch andere lokale Machthaber stoßen in die Lücke, während zahlreiche ausländische Akteure aus Pakistan, Iran, China, Indien oder Russland nach Partnern suchen, um in Afghanistan ihre Interessen durchzusetzen.
    "Das Land bleibt in einem fast 40-jährigen Dauerkrieg gefangen. Afghanistan hat sich seit dem Sturz der Taliban sichtbar entwickelt - vor allem im Gesundheits- und im Bildungsbereich. Aber wie nachhaltig ist das, wenn Frieden und Rechtssicherheit ferne Ziele bleiben?"