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Afghanistan räumt Probleme beim Wiederaufbau des Landes ein

Der afghanische Außenminister Rangin Dadfar Spanta hat große Probleme beim Wiederaufbau seines Landes eingeräumt. Im Kampf gegen den Terrorismus, die Korruption und den Drogenanbau seien die Schwierigkeiten größer als ursprünglich erwartet, sagte Spanta. Nötig seien unter anderem eine bessere Versorgung der Beamten und eine effektivere Verwendung der Hilfsgelder aus dem Ausland. Insgesamt sei Afghanistan aber auf einem guten Weg, betonte der Außenminister. Er verwies unter anderem auf Erfolge im Bildungsbereich. Derzeit gebe es sechs Millionen Schüler und Studenten; davon seien 37 Prozent Frauen und Mädchen. Auch fast ein Drittel der Parlamentsabgeordneten sei weiblich, fügte Spanta hinzu.

Moderation: Martin Gerner |
    Martin Gerner: Herr Dr. Dadfar Spanta, wir sitzen hier im Regierungsviertel in Kabul. Wenn wir auf die Straße blicken aus Ihrem Fenster, sieht man viele Neubauten. Aber man sieht außerhalb des Regierungsviertels noch viele durch den Krieg zerstörte Viertel und Ruinen. Wo steht Afghanistan viereinhalb Jahre nach dem Taliban-Regime?

    Rangin Dadfar Spanta: Ich würde sagen, wir haben einige große Errungenschaften hier nach vier Jahren, aber gleichzeitig viele Probleme. Ich würde nicht sagen, dass wir alles bewältigt haben, aber die Richtung, trotz aller Defizite, die wir haben, ist richtig. Sie sehen, was den Bildungsbereich anbelangt, dass wir momentan sechs Millionen Schüler und Studenten haben. Davon sind zirka 37 Prozent Mädchen und Frauen. Einige Gebäude sind auch schon gebaut, worauf Sie auch schon hingewiesen haben. In Regierungsbüros und Institutionen haben wir eine halbwegs funktionierende Bürokratie und Verwaltung - das ist nicht sauber, ist nicht clean, ist korrupt. Das Hauptproblem ist die Vetternwirtschaft. Das sind alles Probleme, die wir haben, aber die Fortschritte sind doch groß.

    Gerner: Nun haben Sie vor einem halben Jahr bei unserem letzten Gespräch gesagt, Afghanistan ist noch nicht über den Berg. Seitdem hat es für afghanische Verhältnisse relativ viele Selbstmordanschläge gegeben. Die Situation im Süden hat sich zugespitzt. Warum ist es nicht gelungen, die Situation bisher nachhaltig unter Kontrolle zu bekommen?

    Spanta: Ich denke, wir benötigen eine detaillierte, ausführlichere Analyse der Situation. Terrorismusbekämpfung ist nicht alleine eine Militäraufgabe. Es ist nicht nur die Sache der Sicherheit sondern der Außenpolitik. Dazu kommt auch die Sozialpolitik in diesem Lande, wirtschaftliche Entwicklung, die Prinzipien einer guten Regierungsführung. Und das Problem ist, dass dazu auch noch ein Außenfaktor kommt: Sie wissen, dass die Realität im heutigen Afghanistan zum Teil von manchen Nachbarn nicht genug berücksichtigt wird.

    Gerner: Das ist immer so der Hinweis auf Pakistan, meistens indirekt. Ist das richtig?

    Spanta: Ich möchte nicht ein bestimmtes Land nennen, aber auf jeden Fall hat der Terror in Afghanistan ein Hinterland und agiert aus diesem Hinterland und hat Ausbildungsstätten und moderne Kommunikationsmittel. Und das ist eigentlich eine internationale Aufgabe, die Anwesenheit der ausländischen Truppen hier in Afghanistan angesichts der großzügigen Hilfe, die hier von der internationalen Gemeinschaft geleistet wird. Ich denke, wir müssen tatsächlich den Kräften außerhalb von Afghanistan klar machen, dass das heutige Afghanistan nie wieder Kolonie oder Einflussbereich von irgendeinem Nachbarn werden will. Und das werden wir nicht zulassen.

    Gerner: Ein Teil der US-Truppen geht jetzt aus dem Süden heraus. Die NATO in Form der ISAF wird da nachstoßen. Aber statt der aktiven Terrorbekämpfung der Koalitionskräfte ist Peace-keeping angesagt. Kann diese Rechnung aufgehen im Süden?

    Spanta: Wissen Sie, wenn wir von Aufständischen reden ... es gibt keine Aufständischen. Es gibt Terroristen, die als Einzelne oder kleine Gruppierungen hierher kommen und die aus dem Ausland kommen, Attentate ausüben und sich dann wieder in ihre sicheren Horte und Regionen zurückziehen, die nicht das Gebiet von Afghanistan sind. Die Reduzierung der amerikanischen Soldaten, die Zahl der amerikanischen Soldaten, die reduziert werden, ist nicht so gravierend. Es ist auch die Zahl, aus meiner Sicht genug. Man kann auch mit 16.500 gegen Terroristen vorgehen. Wichtig ist nicht die Zahl der Truppen, wichtig ist, ob wir diese gesamte Aktivität im Militärbereich mit sozialen Maßnahmen verbinden können. Momentan ist es so: Die Bevölkerung in bestimmten Gegenden ist passiv. Sie unterstützen die Terroristen nicht, aber weil die Regierung nicht anwesend ist – wir haben keine Polizeikräfte dort, keine Militärkräfte, wir haben keine funktionierende Verwaltung. Und diese Menschen sind Zuschauer. Die Erfahrungen deuten überall darauf hin: Wenn man den Terror bekämpfen will, muss man die Bevölkerung aktivieren.

    Gerner: Jetzt haben ISAF-Generäle, mit denen ich hier in den letzten Tagen gesprochen habe, die Einschätzung abgegeben, dass sich die Sicherheitslage verschärfen wird. Teilen Sie diese Einschätzung, und betrifft das auch die Bundeswehrsoldaten hier?

    Spanta: Wissen Sie, Bundeswehrsoldaten sind im Norden Afghanistans stationiert. Und der Norden von Afghanistan ist sehr sicher. Probleme haben wir im Süden und Osten von Afghanistan. Dass in den kommenden Monaten Terrorattacken zunehmen könnten, das ist eine Wahrscheinlichkeit. Aber andererseits haben wir auch unsere Gegenmaßnahmen getroffen, die Verstärkung der Polizeikräfte in Afghanistan, die Mobilisierung der Bevölkerung. Sie wissen, die Terroristen hier in Afghanistan führen keine Aktionen gegen Militär, überwiegend. Die greifen Mädchenschulen und Schulen an, die ermorden Entwicklungshelfer hier in Afghanistan, einheimische und auch ausländische, die zerstören Werkzeug, das wir für den Straßenbau benötigen. Das sind im Militärjargon so genannte weiche Ziele. Und das ist nichts anderes, als Terror zu verbreiten, das heißt: nicht systematisch von der Stärke heraus resultierende Ziele, sondern von der Schwäche heraus. Wichtiger ist, dass man den Terror in den Ausbildungsstätten, in den Quellen des Terrorismus bekämpft. Ich bin völlig sicher, wenn wir auch alle Maßnahmen treffen wollen, so lange die terrorproduzierenden Stätten nicht zerstört werden, werden wir den internationalen Terrorismus weiterhin entweder hier oder in Washington, New York oder in Madrid haben.

    Gerner: Gibt es denn so etwas wie eine 'Irakisierung' der Lage in Afghanistan, Stichwort zunehmende Selbstmordanschläge?

    Spanta: Absolut nein. Es ist so, es gibt qualitative Unterschiede zwischen der Anwesenheit der ausländischen Truppen in Afghanistan und auch im Irak. Die Amerikaner und Anti-Terrorkoalition sind nach Afghanistan als Befreier gekommen, und so werden sie auch angenommen und wahrgenommen, obwohl - muss ich auch sagen - diese Art und Weise, wie die Soldaten hier manchmal auftreten, das provoziert die Bevölkerung schon und die Leute sind darüber verärgert. Das sind ambivalente Situationen. Aber letztendlich wollen die Afghanen nicht, dass sie sich zurückziehen. Und das ist der Hauptgrund, warum die Erfolgsgeheimnisse hier groß sind. Ich bin völlig optimistisch.

    Gerner: Ist das Land sicher für die Afghanistanrückkehrer, gerade für die, die abgeschoben werden sollen?

    Spanta: Wissen Sie, die afghanischen Flüchtlinge, die in Europa leben und gelebt haben, die haben es sehr schwer. Hier kommen einige Tausende monatlich aus dem Iran und Pakistan zurück. Die Rückgliederung dieser Menschen in dieser Gesellschaft, was Unterkunft, Verpflegung und so etwas anbelangt, und auch sicherheitspolitisch, das ist eine riesige Herausforderung für Afghanistan. Und die Länder, die ihre Soldaten schicken, die Geld geben, dass wir unseren Staat aufbauen, ich wünsche mir, dass die durch unnötige Zurücksendung und Abweisung der afghanischen Flüchtlinge erstens diese Bevölkerung dort, diese Betroffenen, nicht unsicher machen und auch für uns nicht zusätzliche Probleme schaffen. Mein Appell geht in die Richtung, als jemand, der für Flüchtlinge aktiv gearbeitet hat in Deutschland und die Rechte der Flüchtlinge als Menschen verteidigt hat: Lassen Sie diese Menschen in ihrer zweiten Heimat sich eingliedern lassen. Diejenigen, die zurückkehren wollen, freiwillig, sollen kommen und sind auch herzlich willkommen, aber die anderen haben wirklich Probleme und die sollten nicht zwangsmäßig ausgewiesen werden.

    Gerner: Nun ist es ja bei der Bevölkerung, gerade in den Provinzen in den entlegeneren Landesteilen so, dass man immer wieder hört, es hat sich aus unserer Sicht in den letzten vier Jahren nicht viel geändert und nachweislich kommt ein Teil der Hilfsgelder nicht an. Warum ist das so? Was läuft da falsch?

    Spanta: Wissen Sie, erstens glaube ich, die Politik, sowohl nationale als auch internationale Politik, hat hier am Anfang eine Sache nicht berücksichtigt, nämlich die erweckten Erwartungen. Die Erwartungen der afghanischen Bevölkerung hier waren so groß, dass man gedacht hat, in drei, vier Jahren wäre hier das Paradies. Aber die Dimension der Probleme, das Fortgehen des Terrors in Afghanistan, Korruption, Vetternwirtschaft, Drogenprobleme, das hat man nicht mit einkalkuliert und das war ein kardinaler Fehler. Zweitens: Von Anfang an mussten wir die Schwierigkeiten sehen, diese Schwierigkeiten der afghanischen Kapazitäten in Institutionen und auch das Fortbestehen von außerstaatlichen Gruppierungen, die immer noch im Lande existieren, bewaffnet oder nicht bewaffnet. Parallele Strukturen, parallele Legitimationen. Das sind alles Probleme, die wir tatsächlich haben. Aus diesem Grunde kommt die ganze Hilfe nicht an. Und Sie wissen, es ist bis jetzt nicht mehr als 20 Prozent der gesamten Hilfeleistungen für Afghanistan über die Regierung gelaufen. Da waren andere Organisationen beteiligt, waren die Geberländer direkt beteiligt und so weiter. Die alle waren tatsächlich nicht in der Lage, die Sache besser zu koordinieren und die Prioritäten in der Bevölkerung richtig zu konstatieren. Und das ist ein Grund, warum die Unzufriedenheit bei der Bevölkerung da ist. Aber man muss die ganze Wahrheit sagen.

    Gerner: Also, ich höre ganz klar eine Kritik heraus an der bisherigen Koordination zwischen afghanischer Regierung und internationalen Geberländern, die Hilfsgelder ans Ziel zu bringen. Die Weltbank hat zur Londoner Konferenz vor ein paar Monaten gesagt, dass es noch nie so ein großes Milliardengrab an Hilfsgeldern wie Afghanistan gegeben hat. Sind denn irgendwelche Konsequenzen gezogen worden?

    Spanta: Eine größere Summe dieser Gelder wird jetzt über Regierungsinstanzen abgewickelt. Das ist ein Schritt nach vorne und positiv, würde ich sagen. Aber das ist immerhin keine Garantie, so lange wir nicht eine saubere Regierung haben und so lange wir nicht radikal Korruption bekämpfen können und so lange wir auch die soziale Sicherheit der Regierungsbeamten nicht verbessern, dass die in der Lage sind, einfach ihre Familie zu ernähren. Ich würde nicht sagen, dass die ganze Korruption aus Not resultiert. Ich sage, dass Korruption hier als Tradition, als Unkultur existiert. Aber diese Sachen sollte man durch Verwaltungsreform, durch bestimmte Maßnahmen besser organisieren, und ich bin optimistisch, dass das besser wird.

    Gerner: Heißt das, dass Sie sich in der Korruptionsbekämpfung und in den Geldern, die es für staatliche Behörden, wo die Gehälter ja ganz gering sind, etwa bei der Polizei, wo die geringen Gehälter auch ein Grund für die Korruption mit sind, dass Sie sich da mehr Hilfe, mehr Verteilung auf diese Posten von den Geberländern erwarten?

    Spanta: Das wurde noch nicht akzeptiert. Aber ich denke, wir erwarten, dass es so gemacht wird. Die Gehälter sollten erhöht werden, und zwar drastisch . . .

    Gerner: . . . mit ausländischer Hilfe?

    Spanta: Mit ausländischer Hilfe auch. Aber andererseits wir müssen den schlankeren Staat haben, einen effizienteren Staat haben. Auch die Polizei sollte schlagkräftiger werden, auch zahlenmäßig, was die Sicherheitsorgane anbelangt. Wir müssen auch in die Lage kommen, unsere Steuergelder einzukassieren. Sie wissen, dass den Schätzungen nach, wenn wir einen sehr gut funktionierende starken Staat gehabt hätten, hätten wir zirka eineinhalb oder zwei Milliarden Dollar jährliche Steuergelder hier in der Staatskasse gehabt, wovon wir nur ein Bruchteil haben. Und das ist die interne Möglichkeit, dass sie uns die Möglichkeit geben, besser zu agieren.

    Gerner: Vieles, ein großer Teil des erwirtschafteten Geldes, kommt ja aus dem Drogenhandel, es geht an den Staatskassen vorbei. Die ersten Programme der Geberländer, das sagen die Geberländer und ihre Experten selbst, haben nicht gegriffen. Welche Fehler sind da gemacht worden?

    Spanta: Viele Fehler wurden gemacht. Die Dimension der Drogenproblematik ist wirklich immens. Und Drogenreduktion ist nicht einfach dadurch zu ermöglichen, dass man moralische Appelle gibt. So sollte man erstens auf saubere Art die Sicherheitsorgane verstärken. Gleichzeitig sollte man die afghanischen Bauern und Produzenten von den Schmugglerbanden, internationalen Mafia-Banden, die auch international agieren, vielleicht von hier bis London, Berlin et cetera... diese also durch diese Maßnahmen trennen und - was noch wichtiger ist - auch den Bauern in Afghanistan eine Möglichkeit geben, dass die überleben. Womit? Mit billigen Weizenproduktionen können die nicht überleben. Das heißt, dass man diesen Menschen eine nachhaltige Erwirtschaftung ermöglichen sollte. Sie wissen, Afghanistan hat viel Obst und Gemüse, und so die Möglichkeiten sich zu verbessern. Aber das hängt wieder mit unserer Infrastruktur, Vermarktung und Kaufkraft der Bevölkerung zusammen. Die Bestrebungen der Regierung sind wirklich immens, aber so lange das nicht mit anderen Maßnahmen zusammen geht, nämlich, dass man den Bauern eine andere Produktionsart ermöglicht, werden wir keinen nachhaltigen Erfolg haben.

    Gerner: Ihr ehemaliger Kabinettskollege Jalali, der im Ärger aus diesem Kabinett geschieden ist, hat gesagt, er hätte die Erwartung, dass ISAF und internationale Truppen sich an der Bekämpfung aktiver beteiligen gegen die Drogenbosse und ihre Ringe.

    Spanta: Das sehe ich nicht so. Das ist die Aufgabe der afghanischen Regierung. Wir brauchen nur die Zusammenarbeit und Unterstützung, was alternative Lebensweise anbelangt, was die Sicherung der Lebensgrundlage der Bauern anbelangt etwas nachhaltiger, dass die auf ihren Füßen stehen, dass wir in drei, vier oder fünf Jahren nicht mehr nötig haben, Opium anzubauen.

    Gerner: Der Fall Abdul Rahman hat die deutsche und internationale Öffentlichkeit sehr empört. Da ist ein Moslem konvertiert und zugleich war sein Leben bedroht. Das konnten viele in Deutschland nicht nachvollziehen. Wo stehen Sie in dieser Auseinandersetzung?

    Spanta: Wissen Sie, ich denke, die Elemente des Kulturkampfes beeinflussen die Politik auch in Europa und bei uns. Und das veranlasst, dass wir häufig realitätsfremd denken und handeln. Und da müssen wir vorsichtiger sein. Erstens: Wir haben, was Afghanistan anbelangt, es mit einem erzkonservativen Land zu tun mit eigenem Wertesystem und Vorstellungen. Und in diesem Land machen wir langsam aber sicher Fortschritte in Richtung stabile Demokratie um zu zeigen, dass man auch in einem islamischen Land Demokrat werden kann. Und das ist unser Ziel, das Projekt Afghanistan. In diesem konkreten Fall Abdul Rahman: Der Mann war nie von der Todesstrafe bedroht, nie. Ich habe meinen Kollegen immer die Garantie gegeben: Leute, dieser Mann wird nicht ermordet, die afghanische Regierung wird eine vernünftige Lösung für diesen Fall finden. Aber wir hatten in Deutschland Landtagswahlen, wir hatten in Italien Wahlen, und manche christliche fundamentalistische Gruppen in Amerika haben eine Rolle gespielt. Ich bezweifle überhaupt, dass dieser Mann Christ geworden war. Das bezweifelt mit mir auch eine internationale Gemeinschaft hier. Ich persönlich habe mit Abdul Rahman nicht gesprochen. Aber die Vertretung der Vereinten Nationen, die sehr glaubwürdig ist und mit diesem Mann gesprochen hat, bestätigt diese These. Natürlich, wenn Muslime die Religion wechseln, ist das nach Interpretation von manchen religiösen Gelehrten im Prinzip ein problematischer, sehr kritischer Fall. Aber die Regierung in Afghanistan bemüht sich, zu ihrer Verpflichtung zu den Menschenrechten und universalen Menschenrechtserklärungen zu stehen. Das ist nicht so leicht, das auf einmal zu realisieren. Aber dazu stehen wir und bemühen uns, im Rahmen unserer Gesetze, sozialen Gegebenheiten, Machtverhältnisse, Sicherheit und Stabilität in Afghanistan, das zu realisieren.

    Und wenn hier und da manchmal Probleme auftauchen, fangen sofort die Europäer an vor allem, ausgehend von eigenen Wertvorstellungen, ohne die Realität in Afghanistan zu berücksichtigen, Briefe zu schreiben, indirekte Drohungen zu machen wegen Hilfeleistungen und so weiter und so fort. Das ist nicht adäquat. Das ist eine falsche Politik, die ich nicht akzeptieren würde. Und darüber hinaus war der Fall Abdul Rahman nur eine Rache für die Karikaturen. Eine Rache, weil die moslemische Öffentlichkeit empört auf die Veröffentlichung dieser Karikaturen reagiert hat, was ich sehr berechtigt fand. Wenn wir einen interkulturellen Dialog haben wollen und ein empfindliches Zusammenleben zwischen Kulturen haben wollen, sollten wir zwischen universalen Werten wie Menschenrechte und anderen Werte von einer anderen Bevölkerung eine Unterscheidung machen und versuchen, nicht die anderen so zwanghaft unter Druck zu setzen. Wenn Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit miteinander kollidieren, dann sollten wir auch gucken, wo diese kritische rote Linie ist, damit wir die nicht überschreiten.

    Gerner: Nun ist ja dieses Dilemma auch in der Verfassung angelegt. In der Verfassung steht, sie basiert auf islamischem Recht und zugleich 'rule of law', das ist ganz klar ein Begriff des modernen westlichen Rechts. Was wird sich denn durchsetzen auf Dauer?

    Spanta: Das hängt davon ab, wie die zukünftigen Entwicklungen aussehen. Aber für mich als Außenminister dieses Landes ist es wichtig, dass wir unsere islamischen Wertvorstellungen haben, und das ist unsere Identität, unsere Kultur und unsere zivilisatorische Ordnung, aber gleichzeitig die Werte der Demokratie. Volkssouveränität und Herrschaft und Menschenrechte, das sind für uns universale Werte, die wir akzeptieren. Bis diese Sollwerte und Normen real werden in diesem Lande ist ein langer Weg. Da müssen wir behutsamer, langsamer gucken. Sie kennen doch Afghanistan. Vor vier Jahren hatten Frauen Probleme, alleine einkaufen zu gehen. Aber heute stellen sie 28 Prozent der gesamten Parlamentsmitglieder. Auch, wenn das erst vor kurzem geschehen ist, ist es doch eine Errungenschaft, oder?

    Gerner: Stichwort Guantanamo. Die Kritik aus dem Ausland hat jetzt wieder zugenommen. Sie kommt immer wieder. Wie ist ihre Position?

    Spanta: Es ist sehr wichtig, dass gerade diese Länder, die an Menschenrechte glauben, die Vorkämpfer der Menschenrechte sind, überall Menschenrechte achten.

    Gerner: Heißt das konkret, dass Sie für eine Schließung Guantanamos sind so bald wie möglich?

    Spanta: Ich habe das nicht gesagt. Ich bin Außenminister von Afghanistan und muss meine Position berücksichtigen. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind unsere langfristig strategischen Verbündeten und ich betrachte die Vereinigten Staaten von Amerika so und ich schätze sehr die Leistungen, die die hier gebracht haben. Ohne den Beitrag der Vereinigten Staaten von Amerika hätten wir heute Afghanistan nicht, wäre Afghanistan völlig talibanisiert, entstaatlicht.

    Gerner: Würden Sie immerhin sagen, dass das im Widerspruch zu den Normen der amerikanischen Politik steht?

    Spanta: Das müssen amerikanische Politiker entscheiden. Die amerikanischen Institutionen müssen entscheiden, nicht ich.

    Gerner: Jetzt noch mal zur allgemeinen Außenpolitik. Afghanistan ist zwischen einer Atommacht, Pakistan, und einer, die es werden möchte, Iran. Welchen Spielraum hat man da überhaupt?

    Spanta: Ich wünsche mir ein Asien ohne Atomwaffen und auch sogar, ehrlich gesagt, ohne Atomenergie, weil ich die Folgen dieser Nutzung der Atomenergie nicht kenne. Wenn die hochentwickelten Länder wie Schweden, Norwegen, Deutschland, Belgien entscheiden, auszusteigen in einigen Jahren, dann kommt dieser Dritte-Welt-Komplex und Chauvinismus unnötig, über diese Energie zu verfügen. Und das kann ich nicht kapieren und kann ich auch nicht verstehen. Wir haben genug Wasserressourcen in diesem Lande, regenerative Energieressourcen. Wir können in dieser Hinsicht unseren Energiebedarf besser kompensieren. Das ist eine persönliche Bemerkung.

    Und jetzt gibt es die Spannungen zwischen dem Westen und dem Iran und bis jetzt ist es uns gelungen, uns rauszuhalten aus diesen ganzen Sachen. Denn unser nationales Interesse ist es erstens, mit beiden Parteien gute Kontakte zu haben, zweitens dass sie alle Meinungsunterschiede friedlich im Rahmen des Völkerrechtes und auch der Prinzipien der internationalen Atomenergiebehörde lösen. Das ist unser Wunsch. Und darauf bestehen wir auch.

    Gerner: Wir haben die Menschenrechtssituation angesprochen. Ich glaube, Sie müssen jetzt in Kürze, wenn ich es richtig im Kopf habe, Ihren Pass abgeben angesichts des neuen Amtes, den deutschen Pass. Ist das mit einigen ambivalenten Gefühlen verbunden, denn da stehen ja wahrscheinlich auch Werte dafür?

    Spanta: Wissen Sie, ich habe mich zum Grundgesetz der Bundesrepublik bekannt, was für mich sehr wichtig war und ist, die Prinzipien der Menschenrechte, Artikel 1, 'Unversehrbarkeit der Menschenwürde'. Ich habe eine andere Auffassung als die Mehrheit der Mitglieder unseres Parlaments über Staatsbürgerschaft. Ich sehe überhaupt keinen Widerspruch darin, zwei Pässe zu haben. Alle diejenigen, die Afghanistan in den letzten Jahren zerstört haben, die absolute Mehrheit von denen hatte einen Pass gehabt, nämlich einen afghanischen oder arabischen oder pakistanischen. Und ich kenne eine Fülle von Menschen, die zwei Pässe haben, aber sich selbstlos für den Aufbau Afghanistan einsetzen. Darüber hinaus: Ich habe vielleicht viel Kritik an Deutschland, aber das Land hat mich aufgenommen, mir Geborgenheit gegeben, mir Sicherheit gegeben, mir ein Studium ermöglicht, hat mich in der Gesellschaft dort akzeptiert, ich war politisch dort aktiv, war wissenschaftlich dort aktiv, ich habe viele Freunde, ich habe meine Familie. Meine Kinder leben noch dort, frei und ohne Bedrohung leben die dort. Ich finde das wirklich nicht ehrlich, so zu sagen, aha, die Rückgabe des deutschen Passes spielt für mich keine Rolle, das ist für mich nicht ehrlich.

    Aber andererseits bin ich ein afghanischer Patriot. Ich liebe dieses Land, und ich habe in all diesen Jahren, in denen ich in Deutschland gelebt habe, davon geträumt, eines Tages hierher zu kommen und hier zu leben. Meine Liebe zu diesem Land trotz aller Kritik, die ich habe, ist wirklich eine sehr, sehr emotionale, tiefgreifende Liebe. Und das ist der Hauptgrund, warum ich mein bequemes Leben aufgegeben habe und hier hergekommen bin. Ich habe mich nicht vorgedrängt oder reingedrängt, Außenminister zu werden, wirklich nicht. Ich habe dagegen Widerstand geleistet. Aber der Präsident wollte, dass ich das Amt akzeptiere, weil er davon überzeugt war, dass ich es wahrscheinlich besser machen kann. Ich werde mein Bestes geben, aber, wie ich gesagt habe, ich stehe zu meiner Überzeugung, was Staatsbürgerschaft ist. Trotzdem, wenn das afghanische Parlament es von mir verlangt - was sie gemacht haben - dann habe ich meinen Pass zurückzugeben. Das ist nicht leicht, aber es ist halt so.

    Gerner: Herr Dr. Spanta, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch.

    Spanta: Ich bedanke mich sehr herzlich und viele Grüße nach Deutschland und insbesondere nach Aachen.