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Afghanistan
Taliban erobern Teile von Kundus

Nur wenige Stunden nach Beginn einer Großoffensive in Kundus haben die Taliban die nordafghanische Stadt teilweise erobert. Ein Sprecher der Polizei sagte, ungefähr "die Hälfte" des Gebiets würde von den radikalislamischen Aufständischen kontrolliert. Die Kämpfe dauern an, die Lage ist unübersichtlich.

Von Jürgen Webermann | 28.09.2015
    Afghanische Sicherheitskräfte in Kundus.
    Afghanische Sicherheitskräfte warten auf Verstärkung. (NAJIM RAHIM / AFP)
    Vor den Toren der Stadt: ein Aufmarsch an Soldaten in gepanzerten Fahrzeugen. Die afghanische Armee hat Verstärkung nach Kundus geschickt. Wie es in der Stadt aussieht, ist völlig unklar: Viele Augenzeugen sprechen davon, dass weite Teile des Stadtzentrums unter Kontrolle der Taliban seien. Die Extremisten veröffentlichten Fotos, die sie auf einem zentralen Platz in Kundus zeigen. Nur Stunden zuvor hatte dort noch der stellvertretende Gouverneur der Provinz für ein Foto posiert und behauptet, man habe die Taliban aus dem Stadtzentrum heraus drängen können. Bis dahin hatten die Extremisten bereits Regierungsgebäude, ein Gefängnis und ein Krankenhaus mit 200 Betten eingenommen. Einwohner aus Kundus berichteten von heftigen und anhaltenden Kämpfen auch in Wohnvierteln. Dieser Mann konnte sich in Sicherheit bringen:
    "Die Taliban blockieren aber die Zufahrtswege nach Kundus. So kann niemand hinaus, aus der Stadt in die Dörfer."
    Die meisten Einwohner sind regelrecht eingeschlossen
    Mitarbeiter internationaler Organisationen und der UNO haben sich zum Flughafen durchschlagen können. In der Nähe des Flughafens, vor den Toren der Stadt, befindet sich das ehemalige Feldlager der Bundeswehr, dort sind jetzt afghanische Soldaten und Polizisten stationiert. Die meisten Einwohner aber sind regelrecht eingeschlossen, in Kundus leben knapp 100.000 Menschen.
    Wegen der Kämpfe und der abgeriegelten Straßen können offenbar nur die Wenigsten fliehen. Die Armee setzt Hubschrauber ein, die die Taliban bekämpfen sollen. Augenzeugen sprechen auch von Raketeneinschlägen. Ein Polizeikommandeur schlägt vor den Toren der Stadt martialische Töne an:
    "All unsere Kämpfer sind im Einsatz. Sie werden unsere Gegend bis zum letzten Tropfen Blut verteidigen."
    Kundus ist von strategischer Bedeutung
    Lokale Politiker monierten bereits, Kundus sei nicht ausreichend gerüstet gewesen. Dabei haben die Taliban bereits zweimal versucht, die Stadt anzugreifen, zuletzt im Frühjahr. Die Extremisten haben sich in mehreren Distrikten festgesetzt. Kundus ist von strategischer Bedeutung, weil wichtige Handelsrouten durch die Provinz verlaufen. Außerdem haben die Taliban dort Rückzugsräume. In Afghanistan herrscht derzeit in mehreren Provinzen offener Krieg. Die schlechte Sicherheitslage hemmt auch jegliche wirtschaftliche Entwicklung in Afghanistan. Viele Menschen versuchen derzeit, sich auf den Weg nach Europa zu machen. Vor dem Passamt in Kabul bilden sich seit Wochen lange Schlangen. Auch die Hauptstadt war in den vergangenen Monaten von heftigen Anschlägen erschüttert worden.
    Die Bundeswehr ist derzeit mit rund 850 Soldaten auch in Nordafghanistan präsent, aber nicht in Kundus. Die deutschen Soldaten sollen afghanische Einheiten nur noch ausbilden und nicht in die Kämpfe eingreifen. Der Kommandeur der internationalen Truppen in Nordafghanistan, Andreas Hannemann, sagte dem ARD-Hörfunkstudio Südasien noch im Juli, die Lage in Kundus sei zwar schwierig, von brennenden Häusern und Taliban, die die Provinzhauptstadt überrennen, könne aber keine Rede sein. Das hat sich heute geändert.