Der Angriff erfolgte noch vor Morgengrauen. Woher die Taliban kamen, darüber gibt es derzeit widersprüchliche Informationen. Einige Augenzeugen behaupten, die Kämpfe hätten mitten im Stadtzentrum begonnen. Das würde bedeuten, die Taliban-Kämpfer seien vorher unbemerkt in die Stadt eingesickert. Anderen Meldungen zufolge griffen die Taliban von drei verschiedenen Seiten und von außen an. Den Kämpfern sei es gelungen, das Gebäude des Provinzrates sowie des afghanischen Friedensrates einzunehmen. Außerdem eroberten sie demnach das Krankenhaus von Kundus, das über 200 Betten verfügt. In den Straßen der Stadt werde weiter gekämpft. Die Taliban übernahmen offenbar auch mehrere Kontrollpunkte an den Ausfallstraßen. Zivilisten können daher nicht mehr aus Kundus fliehen. Viele Menschen versuchten trotzdem, sich am außerhalb gelegenen Flughafen in Sicherheit zu bringen. Dort in der Nähe befindet sich auch die Kaserne der afghanischen Armee und der Polizei. Bis vor zwei Jahren war sie einer der wichtigsten Stützpunkte der Bundeswehr in Afghanistan.
Taliban näherten sich bereits vor einem Jahr der Stadt
Der Provinzgouverneur befindet sich ersten Berichten zufolge nicht in Kundus, sondern auf einer Auslandsreise. Andere Politiker versuchten, über soziale Medien die Bevölkerung zu beruhigen und veröffentlichten Bilder, die sie auf dem zentralen Platz von Kundus zeigt. Ob sie dorthin zurück gedrängt wurden oder - wie sie behaupten - die Taliban vorher von dort vertrieben wurden, ist unklar. In der Provinz Kundus ist die Sicherheitslage seit Jahren schlecht. Bereits vor einem Jahr sowie in diesem Frühjahr war es den Taliban gelungen, bis an Außenbezirke der Stadt heranzukommen. Allerdings behaupteten die afghanische Armee und auch die Bundeswehr immer wieder, dass die Extremisten keine nennenswerten Fortschritte gemacht hätten. Der Befehlshaber für die internationalen Einheiten in Nordafghanistan, der deutsche General Andreas Hannemann, sagte dem ARD-Hörfunkstudio Südasien Ende Juli noch:
"Ich war dieses Jahr dreimal in Kundus. Und kann den ein oder anderen beruhigen. Man sieht dort weder brennende Stadtteile, noch wird in jedem Dorf gekämpft. Es ist auch nicht so, dass ganze Provinzen untergehen."
Sicherheitslage in Afghanistan hat sich verschlechtert
Die afghanische Armee hat Luftunterstützung und Verstärkung angefordert, nicht zum ersten Mal. Wie stark die Taliban-Einheiten sind, die Kundus angegriffen haben, ist nicht bekannt. Die Stadt in Nordafghanistan hat für beide Seiten hohe Bedeutung. Andreas Hannemann:
"Kundus ist schwierig, Kundus war immer schwierig, weil es ein Kreuzweg von strategischen Transportachsen ist. Wir haben eine Nord-Süd und eine Ost-West-Verbindung, es hat eine wirtschaftlich hohe Bedeutung, das wissen auch die Taliban, insofern ist zu erwarten, dass sie in diesem Raum etwas unternehmen."
Der Angriff heute ist ein Indiz dafür, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert hat. In mehreren Provinzen des Landes herrscht offener Krieg. Auch in Kabul hatte es zuletzt viele Anschläge gegeben. Der deutsche Außenminister Steinmeier musste während seines Besuches in der Stadt Ende August den kurzen Weg vom Flughafen in die Stadt per Hubschrauber zurücklegen - aus Sicherheitsgründen. Zudem stehen viele Menschen vor den Botschaften und den Passämtern Schlange, weil sie sich Richtung Europa aufmachen wollen. In diesem Jahr sollen Zehntausende Menschen ausgereist sein. In Afghanistan selbst gibt es rund 800-tausend Binnenflüchtlinge.