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Afghanistan
Wahlkampf und Warlords

In Afghanistan ist eine Diskussion um die Verbrechen der Warlords während des Bürgerkriegs in den 90er-Jahren wieder aufgeflammt. Denn viele dieser Milizenführer treten bei den Präsidentschaftswahlen 2014 an.

Von Sabina Matthay | 14.12.2013
    Nächstes Frühjahr sollen die Afghanen ihren nächsten Präsidenten wählen, die Bewerber entlocken vielen nur Sarkasmus:
    "At least part of them are taken from a Warlord’s address book."
    Die meisten Anwärter stammen aus dem Adressbuch eines Warlords, findet Nader Nadery, ehemaliges Mitglied der afghanischen Menschenrechtskommission. Unter den Kandidaten und ihren Stellvertretern sind nämlich zahlreiche einstige Milizenführer, denen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden.
    Auf Facebook machen viele Wähler ihrer Enttäuschung Luft:
    "Die Feinde der Afghanen werden niemals unsere Freunde!"
    Der Ärger richtet sich etwa gegen den radikalen Islamisten Abdul Rassul Sayyaf und seinen Stellvertreter Ismail Khan: Sayyaf soll während des Bürgerkriegs Massaker an der Minderheit der Hazara befohlen haben. Khan kontrollierte als "Emir von Herat" den Westen Afghanistans.
    Völlig verblüfft waren die Afghanen, als der westlich geprägte Technokrat Ashraf Ghani, der lange für die Weltbank arbeitete, sich ausgerechnet Abdul Rashid Dostum als Vizekandidaten aussuchte, den er selbst mehrfach öffentlich als Kriegsverbrecher bezeichnet hatte.
    Man müsse die afghanische Realität nun mal akzeptieren, so Ashraf Ghani zur Begründung:
    "We have to have reconciliation on a genuine basis of acceptance of who we are."
    Aussöhnung kann es nur geben, wenn wir einander gegenseitig wahrhaft akzeptieren, sagt Ghani. Nader Nadery erklärt den Sinneswandel des ehemaligen Finanzministers anders:
    "He does it because he feels this is what the political landcape suggests."
    Er glaubt, dass die politische Landschaft dieses Bündnis erforderlich macht, vermutet Nadery. Denn einen ausgemachten Favoriten gibt es nicht, das Kandidatenfeld ist so groß, dass jede Stimme zählt. Weil der Paschtune Ghani nicht nur auf das Votum seiner Volksgruppe setzen kann, soll der Usbekenführer Dostum die Stimmen seiner Volksgruppe liefern. Denn im ethnisch heterogenen Afghanistan regiert nach wie vor Patronage die Politik. Nicht Parteien, sondern Lokalfürsten bestimmen das Wahlverhalten.
    Milizenführer bittet um Entschuldigung
    Immerhin rang Dostum sich zu einem beispiellosen Schritt durch und entschuldigte sich auf Facebook bei den Opfern seiner Miliz:
    "Ich möchte der Erste sein, der sagt, dass wir uns bei jenen entschuldigen, die auf beiden Seiten des Krieges gelitten haben."
    Dostum hatte während der kommunistischen Regierung in Afghanistan eine Truppe gegründet, die in den folgenden Jahrzehnten immer wieder die Seiten wechselte und Gräueltaten verübte.
    "Mit einer Entschuldigung können solche Leute sich ihrer Verantwortung nicht entledigen, Worte ersetzen keine Aufarbeitung,"
    sagt Qazi Said Samè. Er leitet das Regionalbüro der Afghanischen Menschenrechtskommission in Nordafghanistan, Dostums einstiger Hochburg. Nach dem Ende der sowjetischen Besatzung und dem Sturz des Regimes Najibullah waren die afghanischen Mujahedeen gegeneinander in den Krieg gezogen. Sie plünderten und zerstörten Städte und Dörfer, verfolgten, vergewaltigten und töteten Hunderttausende Zivilisten. Millionen Menschen flohen aus Afghanistan.
    Zur Rechenschaft gezogen wurde bisher jedoch kein einziger ehemaliger Milizenführer. Stattdessen haben viele ihren Einfluss ausgeweitet, wurden gar mit Regierungsposten bedacht.
    "Leute, die anderen früher Nägel in den Schädel getrieben haben, die sind jetzt in Machtpositionen",
    kritisiert der Journalist Qayyum Babak in Mazar-e-Sharif. Tatsächlich kam die ehemalige afghanische Bürgerkriegselite nach 2001 problemlos als Minister, Gouverneure, Abgeordnete und Generäle unter. Dostum war bis zu seiner Vizepräsidentenkandidatur Stabschef der afghanischen Armee.
    Initiativen zur Aufarbeitung der Kriegsvergangenheit verliefen im Sande. Der nationale Aktionsplan für Frieden, Aussöhnung und Gerechtigkeit in Afghanistan von 2005 blieb Papier. Zwei Jahre später verabschiedete das afghanische Parlament ein Amnestiegesetz, das Ermittlungen gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher de facto verhindert.
    Die Warlords sind vor allem deshalb wieder tonangebend, weil das Ausland sie stützt, meint der Journalist Qayyum Babak. Denn die Milizenführer aus dem Norden hatten 2001 gemeinsam mit dem US-geführten Bündnis die Taliban gestürzt.
    Eine neue Studie des in Kabul ansässigen Think Tanks Afghanistan Analysts Network beschreibt, wie auch die Bundeswehr in ihrem Einsatzbereich mit Kriegsfürsten zusammenarbeitete, wenn es opportun war. "Die Deutschen wurden zu Geiseln ihrer Gastgeber", heißt es in dem Bericht.
    Kaum jemand rechnet noch mit einer Aufarbeitung der Kriegsjahrzehnte, doch die Vergangenheit zu ignorieren, bringt keine Stabilität. Die alten Feindschaften könnten bald wieder aufbrechen, meint Qazi Same, mit schweren Folgen:
    "Vielleicht kommt es zu einem neuen Bürgerkrieg, wenn die Ausländer 2014 abziehen. Dann werden die Menschenrechte wieder mit Füssen getreten. Denn Menschenrechte werden nur dort geachtet, wo es sicher ist und Menschen Luft zum Atmen haben."