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Afghanistan
Wo sich der Widerstand gegen die Taliban hält

Nur die afghanische Provinz Panjshir konnte noch nicht von den Taliban eingenommen wurde. Angeführt werden die Kämpfe von Ahmad Massoud, der ein Angebot der Taliban für einen Regierungsposten abgelehnt haben soll. Bereits seit den 80er-Jahren gilt das Tal als Hochburg des Widerstands - aus gutem Grund.

Von Silke Diettrich | 04.09.2021
Anhänger von Ahmad Massoud, Sohn des verstorbenen Ahmad Shah Massoud, im Panjshir-Tal. Stark bewaffnete Kämpfer stehen vor einer Reihe von Jeeps.
Anhänger von Ahmad Massoud, Sohn des verstorbenen Ahmad Shah Massoud, im Panjshir-Tal (dpa / AP / Jalaluddin Sekandar)
Bislang ist es noch nie gelungen, dass Panjshir-Tal zu erobern. Eine Hochburg des Widerstands: gegen die Sowjets in den 80ern, gegen die Taliban Ende der 90er und auch jetzt, nach der erneuten Machübernahme der radikalen Islamisten, will sich das symbolträchtige Tal nicht den Taliban ergeben. Angeführt wurde der Widerstand von Ahmad Sha Massoud. Nun hat sich sein Sohn im Tal verschanzt. Nach eigenen Angaben habe er mehr als 6.000 Kämpfer unter sich, darunter ehemalige afghanische Soldaten und Regierungsvertreter.
Kurz vor der Machtübernahme der Taliban hat Ahmad Massoud der Denkfabrik Atlantic Council ein Interview gegeben:
"Die Taliban haben sich nicht verändert, sie sind noch extremistischer als zuvor. Sie wollen alleine und zentral über Afghanistan herrschen, das geht in diesem Land nicht. Deswegen leisten wir Widerstand und kämpfen, weil wir eine Regierung wollen, damit alle in Frieden leben können."
Ahmad Massoud ist Tadschike, die Taliban sind Paschtunen. Ethnische Konflikte in Afghanistan haben schon zu Bürgerkriegen geführt und sind auch ein Grund dafür, dass das Land seit Jahrzehnten nicht zur Ruhe kommt. In Verhandlungen mit den Taliban soll Ahmad Massoud eine Machtbeteiligung gefordert haben, erst 50, dann 30 Prozent.
Für die Taliban scheint das ausgeschlossen. Sie haben das historische Panjshir-Tal umzingelt und versuchen nun, den Widerstand mit Gewalt zu brechen. Ahmad Massoud hingegen hofft, genau wie einst sein Vater, dagegenhalten halten zu können.
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In den Fußstapfen von Ahmad Sha Massoud

Beim Interview stehen überall gerahmte Fotos seines Vaters, der fast genau den gleichen Namen hatte: Ahmad Sha Massoud. Bis heute ein Nationalheld in Afghanistan. "Der Löwe vom Panjshir-Tal" so wird er oft genannt. Fotos von ihm hängen als riesige Plakate am Flughafen, an Autoscheiben oder Straßenlaternen, Afghaninnen und Afghanen besingen Massoud in Liedern, der vor 20 Jahren ermordet wurde - von El-Kaida-Kämpfern. Zwei Tage später rasten die Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers. Massoud hatte vor den Terrorplänen von Osama bin Laden gewarnt. Kurz nach seiner Ermordung sind die USA mit ihren Verbündeten nach Afghanistan einmarschiert, die Vertreibung der Taliban hatte damals vom Panjshir-Tal aus begonnen.
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Diese Geschichte wird sich nicht wiederholen und es sei mehr als fraglich, ob der Sohn des afghanischen Nationalhelden tatsächlich seine Stellung nun halten kann, sagt Thomas Ruttig. Er beobachtet seit vielen Jahren das Land, hat selbst schon unter den Taliban dort gelebt und arbeitet für die Denkfabrik Afghan Analysts Network:
"Ich glaube, er reicht nicht an seinen Vater heran. Er war schon seit zwei, drei Jahren aktiv, eine Oppositionsbewegung gegen den damaligen Präsidenten Ghani auf die Beine zu stellen. Es haben sich nicht zu viele um ihn geschart und auch die älteren Führer seiner eigenen Partei. Die Frage des Alters spielt immer eine große Rolle in Afghanistan, aber auch die haben sich ihm nicht angeschlossen."

Ethnische Konflikte als Zündstoff

Schon bald wollen die Taliban ihre neue Regierung vorstellen. Es wird sich zeigen, wie viele Menschen aus den unterschiedlich ethnischen Gruppen daran teilhaben werden. Das könnte für Sprengstoff sorgen, sagt Thomas Ruttig. Ein erneuter Bürgerkrieg, der vom Panjshir-Tal ausgeht, sei noch nicht ausgeschlossen:
"Wenn es den Leuten gelingt, ihren Kampf auszuweiten und weiter Anhänger zu finden, was der Fall sein könnte, wenn die Taliban gegen die großen Minderheiten der Tadschiken und Hazara und Usbeken repressiv vorgehen, das könnte zu wieder zu einem Bürgerkrieg führen. Das wäre erneut eine ethnische Polarisierung, die sehr gefährlich ist für das Land."
Die Verhandlungen zwischen den Taliban und Ahmad Massoud haben bislang zu keiner Einigung geführt. Seit mehr als fünf Tagen gibt es nun Gefechte. Auf Facebook hat sich der Sohn des Nationalhelden heute zu Wort gemeldet: "Wir werden den Kampf für Gott, Freiheit und Gerechtigkeit niemals aufgeben." Noch gibt er sich nicht geschlagen.