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Aflatoxine
Der stille Hunger von Guatemala

Mais ist Grundnahrungsmittel, reich an Proteinen und Nährstoffen. Obwohl die Ernten der Maya im Bergdschungel Guatemalas gut ausfallen, leiden 80 Prozent der Kinder unter chronischer Mangelernährung und Wachstumsstörungen. Ursache für diesen "stillen Hunger" könnten Schimmelpilzgifte sein. Ein Feldversuch in Afrika soll jetzt Klarheit bringen.

Von Thomas Kruchem | 12.05.2016
    Maiskolben trocknen auf der Straße in dem Ort Santiago Atitlan in Guatemala
    Der Mais in Guatemala ist oft stark mit Aflatoxin belastet, das krebserregende Gift des Schimmelpilzes Aspergillus (imago stock&people / UIG)
    Maricella Sarab Coy ist kaum einen Meter 40 groß; sie zieht die türkisfarbene Bluse über ihrem leuchtend bunten Faltenrock zurecht, während der kleine Rigoberto Tortilla, Maisfladen, vom Finger der Mutter lutscht.
    Samác, ein Dorf der indigenen Maya im feuchtwarmen Bergdschungel Guatemalas. Die Bauern hier sind arm; ihre Grundnahrungsmittel Mais und Bohnen jedoch sind reich an Energie und Proteinen; auch Obst und Gemüse gedeihen. Trotzdem leiden bis zu 80 Prozent der Maya-Kinder unter chronischer Mangelernährung, so genanntem "stunting": Sie sind, irreversibel, in körperlichem Wachstum und geistiger Entwicklung zurückgeblieben, weil es ihnen an Proteinen und Mikronährstoffen fehlt. Warum? Das wisse man nicht so richtig, sagt Olga Maria Alvarez, Anthropologin eines Ernährungsprojekts der US-Hilfsorganisation Mercy Corps. Auffällig jedoch sei: Die Maya machten traditionell haarsträubende Fehler beim Umgang mit Mais:
    "Ihr Grundnahrungsmittel Mais ist den Maya heilig. Und für den Umgang mit Mais gelten feste Regeln. Überall in den Dörfern verbieten religiöse Führer den Menschen, Blätter, die den Maiskolben umhüllen, umzuklappen und den Kolben so der Sonne auszusetzen. Das sei eine Sünde."
    Nicht nur Armut für Mangelernährung verantwortlich
    Die Dorfpriester verbieten auch, Maiskolben gleich nach der Ernte zu entkörnen, die Körner in der Sonne zu trocknen und dann in Silos aufzubewahren, klagt Alvarez. Das bedrückende Resultat: Der Mais sei extrem belastet mit Schimmelpilzen, die hochgiftige Aflatoxine produzieren. In Maricella Sarab Coys Hütte hängen in braune Blätter gehüllte Maiskolben an einer Schnur oder liegen auf feuchtem Lehmboden. Auch in Afrika machten Bauern schlimme Fehler beim Umgang mit Mais und Erdnüssen, den für Aflatoxine anfälligsten Nahrungsmittelpflanzen, berichtet Vivian Hoffmann. Sie leitet in Kenia ein Projekt des renommierten "International Food Policy Research Institute", kurz IFPRI. Wie in Guatemala gebe es auch in Kenia die höchsten Raten an Mangelernährung in den Regionen, wo die Aflatoxin-Belastung am höchsten sei, berichtet Hoffmann. Und dies seien keineswegs die ärmsten Regionen. Kurz: Die IFPRI-Forscherin hegt den dringenden Verdacht, dass vielerorts nicht Armut und falsches Essen die wichtigste Ursache für chronische Mangelernährung und Wachstumsstörungen bei Kindern sind, sondern Pilzgifte:
    "Studien an Tieren zeigen, dass Aflatoxine das Wachstum stark behindern. Und auch sonst sprechen immer mehr Indizien dafür, dass Aflatoxine eine Ursache sind für das 'stunting' bei Kindern. Nur der Beweis im strengen Sinne durch eine randomisierte kontrollierte Studie fehlt noch. Eine solche Studie führen wir derzeit durch. Wir wollen beweisen, dass Aflatoxin-Belastung und 'stunting' nicht nur gemeinsam auftreten, sondern in einem ursächlichen Zusammenhang stehen."
    Wissenschaft und Entwicklungshilfe bislang untätig
    Hierzu minimieren die Wissenschaftler über einige Jahre die Aflatoxin-Belastung in ausgewählten Dörfern und vergleichen anschließend die Mangelernährung dort mit der in anderen Dörfern. Ist dann der Beweis für den ursächlichen Zusammenhang erbracht, weiß man allerdings immer noch nicht, wie Aflatoxine chronische Mangelernährung verursachen. Vivian Hoffmann sagt:
    "Es gibt da unterschiedliche Hypothesen. Eine besagt, dass Aflatoxine die Proteinsynthese im Körper behindern; eine andere, dass die Pilzgifte die Funktion des Darms stören. Viele Menschen in tropischen Regionen haben Probleme, Nährstoffe über den Darm aufzunehmen; und wir wissen bis heute nicht, warum das so ist. Aflatoxine wären eine mögliche Erklärung."
    Wissenschaft und Entwicklungshilfe haben die Bedrohung durch Aflatoxine über Jahrzehnte nahezu ignoriert, meint Vivian Hoffmann. In wenigen Monaten jedoch dürfte feststehen, dass die Pilzgifte Millionen Kindern alljährlich die Chance auf ein gesundes Leben raubt. Dann gebe es keine Rechtfertigung mehr für Tatenlosigkeit.