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Afrika-Cup in Ägypten
Fußballbühne für einen Diktator

Ägypten wird den Afrika-Cup2019 austragen – an Stelle von Kamerun, das vom afrikanische Fußball-Verband CAF ausgebootet wurde. Der Ersatzgastgeber verfügt zwar über die nötige Infrastruktur, doch die Menschenrechtslage unter Präsident Abdel Fatah El-Sisi ist dramatisch schlecht.

Von Ronny Blaschke | 13.01.2019
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    Die ägyptischen Fans freuen sich auf Heimspiele mit ihrem Star Mohamed Salah (imago/Sven Simon)
    Die Zahlen, die Menschenrechtler für Ägypten seit dem Machtwechsel 2013 recherchiert haben, werden in Mitteleuropa kaum diskutiert. Nach Informationen von "Reporter ohne Grenzen" gibt es 60.000 politische Gefangene. Mehr als 300 Menschen, die in Haft zu Tode kamen. Folter, Schikane, Sippenhaft.
    Immer wieder verschwinden Oppositionelle, Journalisten und Zivilisten. Margarete Bause, für die Grünen Mitglied im Menschenrechtsausschuss des Bundestages, war vor kurzem in Kairo. Dort traf sie mit anderen Abgeordneten auf ägyptische Parlamentarier und Aktivisten. Doch einige Menschenrechtler sagten ihre Gespräche kurzfristig ab.
    "Weil einfach das Risiko für sie immens ist und der Geheimdienst überall vorhanden ist. Was wir gehört haben: dramatisch. Eigentlich schwebt über allen Menschenrechtsaktivisten das Damoklesschwert der Inhaftierung. Oder aber sie waren schon im Gefängnis und sind wieder freigelassen worden. Sie haben Angst um ihre Familien. Wir wollten auch Gefängnisbesuche machen, das wurde uns nicht erlaubt. Und wir wissen auch, dass auf Menschenrechtsverteidiger und -aktivisten Druck ausgeübt wurde, uns nicht zu treffen."
    Fußball-Helden gelten als Terroristen
    2013 hatte das Militär den ersten frei gewählten Präsidenten Mohammed Mursi von den Muslimbrüdern aus dem Amt geputscht. Bald darauf übernahm der General Abdel Fatah El-Sisi das Amt. Statt eine Demokratisierung voran zu treiben, wie es sich Millionen Ägypter im Arabischen Frühling 2011 erhofft hatten, verstärkten Armee und Polizei die Repression. Besonders unter Beobachtung: die Muslimbruderschaft und die Ultras der großen Fußball-Vereine. Selbst Spieler-Ikonen wie Mohammed Aboutreika, wurden wegen ihrer Kritik als Terroristen bezeichnet.
    Hussein Baoumi analysiert die Entwicklung für Amnesty International: "Fußball ist in Ägypten durch und durch politisch. Autoritäre Regierungen fürchten sich vor organisierten Gruppen. Denn sie glauben, dass dadurch eine Opposition entstehen kann. So etwas geschah 2011, als die Ultras ein wichtiger Teil der Proteste waren. Viele Fans fühlten sich vom Staat ungerecht behandelt und marginalisiert."
    Brutale Polizeigewalt gegen Fans
    Nach dem Rücktritt von Hosni Mubarak 2011 kam es häufig zu Demonstrationen, Straßenkämpfen und Polizeiübergriffen - mit mehreren hundert Toten. So auch im Stadion der Hafenstadt Port Said ein Jahr nach der Revolution, beim Spiel zwischen Gastgeber Al Masry und Al Ahly aus Kairo. Zeugen berichten von Angriffen mit Waffen, verschlossenen Stadiontoren und einem komplett abgeschalteten Flutlicht. Am Ende waren 74 Menschen tot und fast 1000 verletzt. Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International werteten dies als Racheaktion der Mubarak-Gefolgschaft gegenüber den revolutionären Ultras von Al Ahly. Nach dieser Katastrophe wurden Fans komplett aus dem ägyptischen Ligaalltag verbannt. Erst seit 2018 dürfen wieder größere Gruppen in die Stadien.
    Hussein Baoumi: "Die Regierung und das Innenministerium gehen mit brutaler Härte vor. Die Polizei nahm viele Ultras fest, es kam zu gewaltsamen Toden. Auch ihre Familien stehen unter Druck. Aber was die Regierung nicht versteht: Auch wenn man Menschen einsperrt, man kann eine soziale Bewegung nicht so leicht zerstören."
    Mit Fußball gegen die Kolonialmacht
    Wohl in keinem anderen afrikanischen Land waren Fußball und Politik stets so verknüpft wie in Ägypten. Schon vor mehr als hundert Jahren wurde der Verein Al Ahly von Nationalisten gegen die britische Kolonialmacht in Stellung gebracht. Nach dem Ende der Monarchie in den 1950er Jahren beschrieb Staatspräsident Gamal Abdel Nasser den Fußball als Sinnbild für Fortschritt und Zusammenhalt. Er setzte sich für Gründung des Afrika-Cups ein, auch als Stütze für seine Vision des Pan-Arabismus.
    Der Blogger und Publizist James M. Dorsey beobachtet den Fußball in Nordafrika und im Nahen Osten seit Jahren: "Es gibt zwei Themen, die in Ägypten große Leidenschaft hervorrufen: Religion und Fußball. Darin sahen die autokratischen Machthaber eine Chance. Das ägyptische Nationalteam ist beliebt und erfolgreich. Die Herrscher zeigten sich in Stadien. Sie wollten mit dem Erfolg in Verbindung gebracht werden. Und so konnten sie von unpopulären Themen ablenken. Auch die Besitzverhältnisse der ersten Liga sind darauf ausgerichtet. Etwa die Hälfte aller Vereine sind an Staatsorgane angegliedert, an Ministerien, aber auch an Polizei, Militär und Grenzschutz. So kann die Politik nationale Emotionen manipulieren."
    Christen haben im Nationalteam kaum Chancen
    Das Regime Ägyptens ist für den Westen ein Partner im Kampf gegen Terror. Die USA überweisen jährlich eine Militärhilfe, europäische Länder wie Deutschland verkaufen Rüstungsexporte. Wird der autokratische Staatschef Abdel Fatah El-Sisi den Afrika-Cup nutzen, um seine Regierung als demokratisch zu präsentieren? Oder bringt das Turnier Themen an die Öffentlichkeit, die selten diskutiert werden?
    Der Politikwissenschaftler Danyel Reiche von der Amerikanischen Universität Beirut nennt ein Beispiel: "Das Hauptproblem in Ägypten ist die Diskriminierung der Christen, der Kopten, das sind immerhin rund zehn Prozent der Bevölkerung. Und die zahlenmäßig größte christliche Gruppe im gesamten Nahen Osten. Es gibt keine koptischen Spieler in der Fußball-Nationalmannschaft. Es hat welche gegeben in der Vergangenheit, wie Ramzy, der ja auch in Deutschland sehr erfolgreich war. Also insofern gibt’s da ganz deutlich eine Diskriminierung von Christen im ägyptischen Fußball, als Spiegelbild der Diskriminierung der Christen insgesamt im Land."
    Viele europäische Medien berichteten nach der Vergabe des Afrika-Cups vor allem über sportliche Chancen für den ägyptischen Führungsspieler Mo Salah. Verletzungen der Menschenrechte kamen weniger zur Sprache.