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Agenda 2020 soll das bilaterale Verhältnis beleben

Vor hundert Tagen war Angela Merkel unmittelbar nach ihrer Wiederwahl im Deutschen Bundestag an die Seine gereist, um dort die Nachhaltigkeit der deutsch-französischen Beziehungen zu unterstreichen. Heute soll das neue Jahrzehnt der bilateralen Zusammenarbeit eingeläutet werden – mit einer sogenannten Agenda 2020, die gleich 80 gemeinsame Projekte auf den Weg bringen soll.

Von Ursula Welter |
    Iranische Atompläne, parteiinterne Grabenkämpfe – für den französischen Staatspräsidenten, der sich auch noch für die Regionalwahlen im März rüstet, spielt die Musik in diesen Tagen auf beiden großen Flächen der Realpolitik, innen wie außen.

    Mit der heutigen Tagung des deutsch-französischen Ministerrats vermischen sich die Dinge, Innen- und Außenpolitik fließen zusammen und, ginge es nach den französischen Vorstellungen, wäre noch mehr drin in der deutsch-französischen Zusammenarbeit.


    Die Erinnerung an das gemeinsame Gedenken am Arc-de-Triomphe am 11. November ist noch frisch, der Dank an Angela Merkel, dass sie – anders als ihr Vorgänger – die Einladung angenommen hatte, auch.

    Nun soll der Symbolik etwas Reales folgen. Wenn das französische und das deutsche Kabinett gemeinsam tagen, dann geht es vor allem um gegenseitiges Kennenlernen, denn Merkels Mannschaft ist in Teilen neu zusammengesetzt, es ist dies der erste deutsch-französische Ministerrat nach der Wahl und mit einer schwarz-gelben Koalition auf deutscher Seite. Und: Es ist die erste Zusammenkunft dieser Art seit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon, mit seinen neuen Spielregeln.
    Deutschland, Frankreich, Europa – dass sie sich diesem Dreiklang verpflichtet fühlt, hatte Angela Merkel am 11. November unterstrichen:

    "Die deutsch-französische Aussöhnung und Freundschaft, sie sind ein Geschenk, die Freiheit unseres Kontinents, Europa, ist ein Wunder! Wir wissen nur zu gut, wie kostbar beides ist, wir verpflichten uns, beides zu bewahren und zu schützen."

    Bewahren, schützen und voranbringen. Paris und Berlin wollen mit 80 Vorschlägen, die sie heute auf den Tisch legen, ihre Zusammenarbeit intensivieren und gemeinsam ihre Führungsrolle in Europa wahrnehmen.

    "Agenda 2020" heißt das Papier, das etwa den Wirtschaftsweisen beider Länder gemeinsame Beratungen bringen soll; das 200 zweisprachige Kindergärten in Aussicht stellt; das mehr Kooperation der wissenschaftlichen Einrichtungen wie Max-Planck-Institut und CNRS auf französischer Seite vorsieht.

    Die ganz großen Träume, die hie und da auf französischer Seite gehegt wurden, ein deutsch-französischer Minister etwa, der in Berlin wie Paris am Kabinettstisch sitzen könnte, Träume wie diese sind ausgeträumt, jedenfalls in ihrer Ursprungsfassung. Berlin hatte klar gemacht, dass das Ministeramt in Deutschland mit seiner Ressorthoheit anders konstruiert sei als in Frankreich, wenig später wurden die Pläne in Paris deshalb wieder in die Schublade gelegt.

    Allerdings sollen die Fachminister künftig, eine Einladung vorausgesetzt, im jeweils anderen Land am Tisch sitzen dürfen.

    Wie mühsam die Realpolitik ist, zeigt sich auch in industriepolitischen Fragen. Im Rüstungsbereich sind die Interessen unterschiedlich, Kooperationswünsche der Franzosen bei Bahn- und Energieunternehmen stoßen ebenfalls noch auf Bedenken in Berlin und in den angesprochenen Unternehmen. Immerhin: Bei den Elektroautos soll es konkrete Fortschritte geben: Ein gemeinsamer Markt für E-Fahrzeuge sei denkbar, heißt es, damit wäre dann auch das Thema "Gemeinsamkeiten in der Klimapolitik" berührt.

    Geteiltes Leid erleben Paris und Berlin auch in puncto Kostenexplosion beim Militärtransporter A400M, die einen haben 60, die andern haben 50 Maschinen bestellt. EADS sieht sich nicht im Stande, die Vertragsabmachungen einzuhalten. Nachzahlungen an den Konzern stehen im Raum, wie weit beide Staaten zu gehen bereit sind, werde bis Ende der Woche entschieden, sagte Frankreichs Verteidigungsminister Hervé Morin, der deutsch-französische Ministerrat heute gilt als Etappe auf diesem Weg.

    Und so wird es am Ende des Tages zwar nicht so feierlich sein, wie am 11. November, aber es wird gelten, was galt:

    "Es lebe die deutsch-französische Freundschaft !"