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Agentenpoesie im Dienste der Jury

Die Vergabe des angesehenen Ingeborg-Bachmann-Preises in Klagenfurt an Kathrin Passig von der Autorengruppe "Zentrale Intelligenz Agentur" (ZIA) hat in der Literaturwelt eine Debatte um den Wert des Wettbewerbs ausgelöst. Schon 2004 konnte die "ZIA" den Publikumspreis und 2005 den Ernst-Willner-Preis einheimsen. Mit eigens für Wettbewerbe verfassten Texten führt die Gruppe den Literaturpreis-Betrieb als Dienstleistungsempfänger vor, für den man textet wie für einen Werbekunden.

Von Wilhelm Hindemith |
    Wenn selbst die "FAZ" diese Woche fragt: War der diesjährige Bachmannpreis das Todesurteil für den Wettbewerb?, dann muss etwas geschehen sein, das der Deutung harrt. Wahrscheinlich ist eine neue Literaturepoche angebrochen, die den bisherigen Literaturdiskurs als veraltet und vergreist entzaubert. Die Klagenfurter Juroren waren überrumpelt, sie erkannten die Textcollage nicht, wie sie im Computer ohne subjektive Empfindungs-Anteile rein-technisch herstellbar ist.

    Die Zentrale Intelligenz Agentur ZIA um Kathrin Passig und ihre Freunde herum, camoufliert und gibt sich sprachlich als Geheimdienst, als Systemknackerbande, die im technoromantischen Outfit an der Schnittstelle von Journalismus, Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst agiere; samt Mitarbeiterkartei, Agenten, inoffiziellen Mitarbeitern und Schläfern. Kathrin Passig, die die Agentur 2001 zusammen mit Holm Friebe gegründet hat, leitet die Abteilung: "Taktik, Technik und Theorie", Herrndorf ist IM.

    Satire? Fake? Natürlich, man führt in subversiver Absicht eine Räuberpistole auf und führt die etablierte Welt, nicht nur die der Literaturen, am Narrenseil vor. Das ist bravourös und natürlich ein höheres Spiel. Die Satire geht aber nicht mehr herkömmlich wie noch Tucholsky oder ein Kabarettist von heute ad personam vor, verspottet nicht diesen oder jenen Kritikerpapst, sondern sie spielt sich im Inneren der Textstruktur ab. Als ein Textgestöber im Schnee des Unwissens. Welchen Text wollt ihr? Gut, könnt ihr haben, ihr müsst es nur sagen, ihr von BMW, ihr von Spiegel-online oder eben ihr aus der Hochkultur. Wir fabrizieren Maßgeschneidertes auf euer aller Text-Begehren. So wird das System Hoch-Literatur entblößt und satirisch als völlig veraltet hingestellt und ausgehebelt. Die Literatur von heute - nichts als Erlebnisschrott, sagt ein anderer IM der Bande.

    Zu den "Operationen" der Zentralen Intelligenz Agentur gehören Kolumnen für die Berliner Zeitung und die "taz", Newsletter für Werbeagenturen oder Werbetexte für BMW. Man veranstaltet absurde Lesungen wie die "Bunny Lectures", eine Comedy-Reihe, man spielt auf jeder Ebene mit und dringt fröhlich ein in die bierernsten Wunschmaschinen-Systeme.

    Der Betrieb der Literatur ist beleidigt, zeigt sich getroffen. Denn was hier passierte, ist in der Tat der Nachweis, dass was die Verlage und die Kritik als einmalig subjektiv und individuell anpreisen, in Wahrheit serienweise zu reproduzieren ist. Die Texthierarchie, der zufolge ein literarisch approbierter Text wertvoller ist, als ein PR-Fließtext für BMW oder ein Artikel für die "taz", ist damit radikal in Frage gestellt. Die Urteile und vagen Kriterien der Kritik gehen auf Dünkel und ein unklares Erbe zurück, die nicht mehr länger zählen.

    Das ganze Spektakel in der Verkleidung der Agenten erinnert ein bisschen an die Skandale und Auftritte der Frühmodernen. An die Verblüffung der Böcklinliebhaber, als plötzlich Kandinsky und die Fauves auftraten mit ihren grellen simplen Farbtrompeten. Auch damals wurde die Gegenwart in einem Coup de théâtre als Welt von gestern entzaubert.

    Dabei ist im Fall der Passig und ihrer Agentenfreunde die technische Coolness, die betont sachliche Gebärde, die Angleichung ans scheinbar Gültige und Beständige deutlich. Die alten Masken des Skandalösen und der Provokateure haben ausgedient. Man gibt sich als Beraterfirma, als Dienstleister, die mit einem besonders hypermodernen Verbrecher- und Agenten-Logo auftreten. Gemäß dem Sprachgebrauch, der etwa im Wort "geil" oder "supergeil" nichts Anstößiges mehr, sondern eher kindlich-lustiges anmeldet.

    Kathrin Passig erzählte , dass der Bachmann-Preis für sie schon immer ein großer Spaß war, dem sie sich am liebsten aus der Perspektive von "Waldorf & Stadler", der beiden Alten aus der Muppet Show, genähert hat.

    Satire ist noch nie wie die Literatur von gestern aufgetreten. Sie war immer un-integrierbar in den herrschenden Diskurs, gleichgültig welcher Couleur oder Schublade dieser angehört. Das haben die etablierten Herrschaften der Jury wohl gründlich verschlafen. "Mission erfüllt!" heißt es betont militärisch bei der ZIA in ihrem "Lagebericht" über den Erfolg der Agentin Kathrin Passig.