Donnerstag, 28. März 2024

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Agitprop-Musical zur Mietpreiskrise
"Wir werden Investoren vertreiben"

"Stadt unter Einfluss", heißt das erste Musical von Indie-Musikerin Christiane Rösinger zum Mietwahnsinn in Berlin und den Folgen von Kapitalmaximierern. "Wohnungen sind nicht mehr für Menschen zum Wohnen gedacht, sondern inzwischen Orte, um Geld anzulegen", sagte Rösinger im Dlf.

Christiane Rösinger im Corsogespräch mit Achim Hahn | 25.09.2019
Die Autorin Christiane Rösinger ist mit ihrem Cast zu sehen, sie hält ein Schild mit der Aufschrift "Wir bleiben Alle" hoch.
Christiane Rösinger mit den Mitwirkenden ihres Musicals „Stadt unter Einfluss“ (c) Marius Becker (Theater Hebbel am Ufer)
"Berlin hat leider eine unrühmliche Geschichte von Wohnungsnot, Bauskandalen, Filz von Bauindustrie, Senat, Bezirksamt - egal, welche Partei gerade an der Regierung war", sagte Christiane Rösinger im Dlf-Corsogespräch. "Wohnen war in Berlin schon immer ein Problem, aber es haben sich auch schon immer Leute gewehrt und für das Recht auf Wohnen gekämpft." Und davon handele jetzt auch ihr Musical "Stadt unter Einfluss" am Berliner HAU-Theater. Die Form des Musicals, das eher süßliche Unterhaltungsware vermuten lässt, sei für sie eine Herausforderung gewesen, ein anderes Musical zu machen, das nicht zugekitscht sei, aber trozdem singend durchs Leben gehen lasse.
Dokumentarischer Hintergrund
Anfang des Jahres habe sie sich mit Aktivistinnen und Aktivisten von Miterinitiativen getroffen, aus deren Erzählungen sie die Lieder entwickelt habe. Hintergrund vieler Geschichten sei die Erfahrung, dass Altmieter störten, weil neue Mieter mehr Geld einbrächten. "Wohnungen sind nicht mehr für Menschen zum Wohnen gedacht, sondern inzwischen Orte, um Geld anzulegen für die Finanzwelt." Alte Mieter würden entweder herausmodernisiert, man könne sie "rausschimmeln" durch Wasserschäden, und die Leute einfach zu zermürben. "Es gibt Taktiken, die Leute mit Telefonterror zu belästigen. Es gibt Firmen, die beauftragen ehemalige Sozialarbeiter, um die Leute zu beeinflussen, sie sollen doch ausziehen. Es hat doch keinen Sinn, sich zu wehren." Auch die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen biete Entmietungsmöglichkeiten.
Modernes Agitprop-Musical
"Für mich ist Agitprop nichts Negatives. Es heißt ja, eine Haltung haben, für etwas kämpfen - und auch ein gewisses Pathos passt natürlich auch zum Musical." Die Leute auf der Bühne sängen von ihrem Leben; und das, was sie zum Beispiel durch Hausbesetzungen gerettet hätten, würde ihnen jetzt genommen, "und ich weiß, dass sie sich freuen, dass sie mal auf der Theaterbühne vorkommen, dass es mal ein Stück über sie gibt".
Der letzte Sündenfall der Berliner Mietenpolitik sei der Verkauf vieler Sozialwohnungen 2005, als Berlin so pleite gewesen sei. "Das war ein Riesenfehler", sagte Rösinger im Dlf. In Berlin würden billige Wohnungen gebraucht und keine teureren Neubauten. Sie fände es auch gut, wenn alte Mieter geschützt und Häuser zurückgekauft würden. "Es ist nun einfach so, dass Leute, die Immobilien und Wohnungen habenin den letzten Jahren ein sehr gutes Geschäft gemacht haben - auf Kosten der Mieterinnen und Mieter."
Wir haben noch länger mit Christiane Rösinger gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
Trotzdem gebe es in ihrem Musical ein Happy End, da es zur Zeit zu viele Dystopien gebe. "Es wird alles gut. Wir solidarisieren uns. Wir kämpfen gegen die Immobilienschaffenden. Es ist so weit, wir holen uns die Stadt zurück. Tag für Tag, Stück für Stück. Wir machen ernst mit unseren Parolen. Die Häuser denen, die drin wohnen!"
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.