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Agrarproduktion
"Der Landwirt muss zum Pfleger von Landschaft und Ressourcen werden"

Um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, müsste bis 2050 die Agrarproduktion um 70 Prozent gesteigert werden, warnt Achim Steiner, Direktor des UN-Umweltprogramms. Er fordert ein grundsätzliches Umdenken in der Landwirtschaft.

Achim Steiner im Gespräch mit Jule Reimer |
    Jule Reimer: Der Klimawandel kommt und nicht in wenigen Teilen der Welt muss die Landwirtschaft mit deutlichen Ertragseinbrüchen rechnen. Das machte am Wochenende in Berlin die Vizepräsidentin der Weltbank, Rachel Kyte, drastisch klar. Wie dem gegensteuern, das wurde auf einem prominent besetzten Podium am Rande der Grünen Woche diskutiert. 2050 wollen voraussichtlich neun Milliarden Menschen, also knapp zwei Milliarden mehr als jetzt, auf dieser Erde satt werden. – Vor dieser Sendung fragte ich Achim Steiner, den Direktor des UN-Umweltprogramms, welche Steigerung die Agrarproduktion dafür bis dahin erbringen muss.
    Achim Steiner: Die Zahl, die am häufigsten zitiert wird von der Welternährungsorganisation, auch der Weltbank, ist die Zahl, dass wir bis 2050 die landwirtschaftliche Produktion um 70 Prozent steigern müssen. Diese Zahl alleine sollte uns sicherlich Sorgen machen, denn sie bedeutet eine Expansion der Landwirtschaft, die in der Form gar nicht mehr nachvollziehbar ist, wenn wir schon die Kosten der heutigen Agrarproduktion betrachten. Um Ihnen nur mal einige Beispiele zu geben: In den letzten Hundert Jahren haben wir fast 50 Prozent aller Feuchtgebiete – das sind die Auen, die Moore – trockengelegt. Wir haben bereits heute eine Situation, dass wir in den nächsten fünf bis acht Jahren fast ein Drittel der Weltbevölkerung in Regionen und Ländern haben, wo Wassermangel ein akuter Zustand ist. Wenn Sie ein Land wie Brasilien nehmen: Die Diskussion über die Expansion, die Erweiterung der Landwirtschaft in den Amazonas hat heute ganz konkrete Kosten. Das Amazonas-Gebiet ist die größte Wasserpumpe der Welt. Sie versorgt ganz Südamerika mit Wasser. Das heißt, der hydrologische Kreislauf, der Wasserkreislauf dieser Region hängt von einem Amazonas-Gebiet ab, und das kann man nicht nur unter dem Vorwand oder mit dem Argument betreiben, dass wir weitere Flächen brauchen für Soja, für Tierzucht und so weiter. Genauso in vielen Regionen, wo die Klimaveränderung, die wir heute schon haben, auch zum Beispiel die Bereitstellung von Wasser für Bewässerungen verändern wird, wird bedeuten, dass wir wahrscheinlich im Laufe dieses Jahrhunderts 20 bis 25 Prozent der Produktion, die wir heute schon haben, verlieren werden.
    Reimer: Welche von den alt hergebrachten Methoden im landwirtschaftlichen Bereich würde man dann im Grunde genommen verändern oder auf den Prüfstand stellen sollen?
    Steiner: Der Begriff „Intensivierung der Landwirtschaft“ bedeutet ja, dass wir auf derselben Fläche mehr produzieren können. Das haben wir in den letzten 50 bis Hundert Jahren vor allem über die Chemie geleistet und auch über die Mechanisierung der Landwirtschaft. Was wir vernachlässigt haben ist, dass in der Geschichte dieser Erde sich sehr viele Prozesse, ökologische Prozesse inzwischen als ideal dafür gezeigt haben, dass sie auch im Sinne der landwirtschaftlichen Produktion sehr nützlich sein können. Zum Beispiel werden wir im Zuge des Klimawandels Landwirtschaft in Zukunft auch dafür belohnen, dass sie CO2 speichert. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, in der Landwirtschaft weniger CO2-Emissionen zu verursachen. Das wird die Ökonomie der Landwirtschaft verändern.
    Reimer: Will heißen: Sie haben gerade die nächste Reform der europäischen Agrarsubventionspolitik angekündigt? Werden Sie da gehört mit diesen Ideen?
    Steiner: Wenn ich der einzige wäre, der dies fordert, würde ich das nicht unbedingt für mich in Anspruch nehmen, weil ich glaube, der Chor derjenigen, die sich heute mit einer Grundreform der Landwirtschaftspolitik befassen, sind ja nicht nur diejenigen, die aus der Perspektive Nachhaltigkeit dies betrachten, sondern unsere Landwirtschaft ist ja seit zehn, 20 Jahren im Grunde in einer Krise, was die Landwirtschaftspolitik angeht, die Subventionspolitik, und ich glaube, gerade in Europa haben wir in den letzten zehn Jahren sehr viele Fortschritte gesehen. Wir betrachten den Landwirt zunehmend heute nicht nur als jemand, der die Produktion maximiert und wo wir dann die Überschüsse aufkaufen müssen, sondern der Landwirt wird sozusagen zum Pfleger des Landes und auch der ökologischen Ressourcen, und das ist eine Funktion und eine Aufgabe, die die Gesellschaft auch belohnen und bewerten kann.
    Reimer: Bewässerungslandwirtschaft galt in der Vergangenheit in vielen Regionen als die Methode, um Erträge steigern zu können. Ist das eine zukunftsfähige Lösung?
    Steiner: Darauf gibt es keine universelle Antwort. In manchen Regionen der Welt gibt es Wasservorräte oder auch nachhaltig nutzbare Wasserressourcen, die für die Landwirtschaft erschlossen werden können. Andererseits müssen wir uns ganz klar vor Augen halten: Schon heute wird über zwei Drittel des Wassers, das wir in unseren Wirtschaften verwenden, für die Landwirtschaft bereitgestellt und damit auch verbraucht. Wasserressourcen werden immer knapper. Die Konsequenzen, dass wir immer tiefer bohren müssen, das Wasser immer tiefer aus dem Boden holen müssen, hat ja nicht nur etwas mit dem Wasservorrat zu tun, sondern da werden viele andere Probleme auch entstehen, zum Beispiel die Versalzung der Böden. Inzwischen werden in Pakistan, in Indien Hunderte von Millionen oder Milliarden dafür ausgegeben, landwirtschaftliche Flächen zu restaurieren, wieder neu zu erschließen, weil sie so versalzen sind über die letzten Jahrzehnte.
    Ökolandwirtschaft boomt weltweit
    Reimer: Kann der Ökolandbau die Welt ernähren?
    Steiner: Erst einmal würde ich sagen, es ist bestimmt eine Hypothese, die es verdient, untersucht zu werden. Die Intensivierung und auch der wirtschaftliche Aspekt eines Ausbaus der Landwirtschaft durch Ökologisierung ist eindeutig bereits im Gange und wir können ihn verfolgen. Selbst in einem Land wie Uganda werden heute Flugzeuge beladen mit ökologischen Produkten, die in die Weltmärkte getragen werden. Wir haben dort 200.000 Bauern, die sich mit ökologischem Landbau ihren Lebensunterhalt verdienen. Wir haben Zertifizierungssysteme. Der ökologische Nahrungsmittelmarkt ist einer der am schnellsten wachsenden Weltmärkte überhaupt in der ganzen Landwirtschaftsökonomie.
    Reimer: Aber es geht ja um die Menge.
    Steiner: Ja! Aber auch um die Menge. Wir haben vor einigen Jahren eine Forschungsarbeit gemeinsam mit Unctad veröffentlicht, in der wir in Hundert verschiedenen Betrieben, verteilt über Afrika, untersucht haben, ob die Intensivierung der Produktion mit ökologischem Landbau Ergebnisse erreicht. Dort wurden Produktionssteigerungen von 50, 80, Hundert Prozent geschaffen. Intensivierung bedeutet nicht nur mehr Chemie, es ist auch eine Frage von Technik, von Landbau, wie man natürliche Fruchtbarkeitsprozesse unterstützt, Wasserhaushalt. Und manchmal ist die Frage nicht nur die absolute Menge, sondern auch die Wirtschaftlichkeit. Wir müssen uns immer wieder vor Augen halten: Die Intensivierung der Landwirtschaft, vor allem in Entwicklungsländern mit Kleinbauern, bedeutet ja letztlich, dass sie oft sehr viel stärker abhängig werden von Inputs, die nicht aus ihrem Gebiet kommen, die sehr viel kosten und die bei einer Dürreperiode letztlich zu einer wirtschaftlichen Krise führen können in einem Hof, weil man die Schulden nicht mehr bezahlen kann. Das sind alles Kreisläufe, die man bei dieser Intensivierung mit ins Auge ziehen muss.
    Reimer: Der Direktor des UN-Umweltprogramms Achim Steiner über zukunftsfähige Technologien in der Landwirtschaft.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.