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Agrarstrukturen Ost

Den Bauern im Saal steht die Erregung ins Gesicht geschrieben. Was da auf dem ostdeutschen Land vor sich gehe, sei die größte Landverschiebung seit der Völkerwanderung, so hört man. Andere sprechen von parasozialistischen Kolchos-Strukturen. Gemeint ist die aus DDR-Zeiten überkommene Landverteilung im Osten. Für die Teilnehmer der Tagung, meist Landwirte mit kleinen und mittleren Familienbetrieben, liegt darin eine große Ungerechtigkeit – eine Ungerechtigkeit, die von der Vergangenheit herrührt. Daher beginnt die Veranstaltung auch mit einem Referat zur DDR-Agrar-Geschichte. Uwe Bastian vom Bürgerbüro e. V. zur Aufarbeitung von Folgeschäden der SED-Diktatur spannt den Bogen von der Bodenreform nach 1945 bis zur Wendezeit. Er zeigt, wie die alte selbstständige Landbevölkerung proletarisiert und zu Lohnarbeitern gemacht wurde. Und er prangert vor allem, wie er sagt, die Konservierung der DDR-Verhältnisse nach der Wende an. Die riesigen Agrareinheiten seien erhalten geblieben - und das mit der Unterstützung der Politik. Pro Forma habe man sich, so Uwe Bastian, zwar für die Neu- und Wiedereinrichtung kleiner Betriebe ausgesprochen, aber...

von Markus Rimmele |
    ...in Wirklichkeit wurde propagandistisch dargestellt, wie bankrott die LPGen eigentlich sind, und die Öffentlichkeit kümmerte sich kaum um die Vorgänge, die dort auf dem Lande vor über 10 Jahren eigentlich passierten. Das heißt also, die Flächen und das Vermögen der ehemaligen LPG-Mitglieder blieben zu großen Teilen bei den ehemaligen Funktionären der Vorstände, die es nun im überwiegenden Teil in Genossenschaften, später aber in GmbHs, GmbH & Co KGs umwandelten aus diesem ehemaligen LPG-Vermögen.

    In seinem Untersuchungsgebiet Ost-Vorpommern, sagt Bastian, befänden sich 90 Prozent des Agrarlandes im Privatbesitz ehemaliger SED-Agrarfunktionäre. Er nennt sie SED-Latifundistas. Und noch immer, so die weiteren Referenten, würden diese Großunternehmer bevorzugt behandelt, die DDR-Geschichte quasi fortgeschrieben. Während Neueinrichter Jahr für Jahr ihre Schulden abstottern müssten, habe man den Großbetrieben die Altschulden wieder und wieder gestundet. Ungerechtigkeit herrsche auch bei der Verteilung öffentlicher Flächen. Hier hätten die Kleinen kaum eine Chance gegen die Großbetriebe. Und dann sind da noch die EU-Subventionen, die vor allem den Massenproduzenten zu Gute kommen. Jörg Gerke von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft:

    Die Argumentation, die wir aus dem Osten hören: 'Wir haben hier die weltmarktfähigen Betriebe.’ Das stimmt so nicht. Wir haben durch das europäische Subventionssystem und so, wie es in Ostdeutschland angewendet wird, eine gigantische Verzerrung des Wettbewerbs. Wir haben keinen Wettbewerb. Wir haben für die Betriebe die Möglichkeit, dass sie bis zu 80 Prozent ihrer Erlöse aus den Prämien ziehen. Und dann ist denen ganz egal, ob der Doppelzentner Weizen 20 Mark, 25 Mark oder 15 Mark kostet.

    Eine Entwicklung, die in Ostdeutschland in allen Bereichen Sorgen bereitet, verschärft auch unter den Kleinbauern die Probleme noch zusätzlich: nämlich die Abwanderung der Jugend. Die Stimme eines Landwirts aus Brandenburg:

    Letztlich: Wofür machen wir denn alles? Das kann doch wohl irgendwie nicht richtig gewesen sein die Agrarpolitik, die gemacht wurde, wenn uns die Leute entfliehen, weil sie keine Arbeit im ländlichen Raum haben. Und wenn wir trotzdem feststellen können jetzt, dass die Familienbetriebe wesentlich erfolgreicher wirtschaften können und dass wir jetzt erst mal es sogar geschafft habe, mehr Menschen pro Hektar zu beschäftigen als die LPG-Nachfolger, dann denke ich, spricht das schon für sich.

    Unter diesen schwierigen Umständen setzt sich unter ostdeutschen Bauern immer mehr der Trend zum Nebenerwerb durch – viele sind nur noch Teilzeitlandwirte. Für deren Verbandspräsidenten trägt diese Entwicklung aber auch Chancen in sich. Bauern seien häufig sehr gute und vielseitige Geschäftsleute – und aus so manchem landwirtschaftlichen Betrieb sei schon eine interessante Unternehmensidee erwachsen.