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Agrarwirtschaft
Die Kartoffel von der Nordseeinsel

Bisher ging man davon aus, dass nur wenige Pflanzen salzhaltige Böden mögen. Dass das ein Irrglaube ist, belegt ein Agrarprojekt in den Niederlanden. Auf der Nordseeinsel Texel haben Forscher jetzt den Test gemacht - und gleich eine ganze Reihe Nahrungspflanzen entdeckt, denen der Salzgehalt im Boden nicht viel ausmacht.

Von Hilde Braun |
    Den Horn, Texel, eine renovierte Schapenboet, ein texeltypischer Schaftstall ist Vorzeigeraum für das Vorzeigeprodukt: die zilte (salztolerante) Kartoffel und ihren Weg von der Idee bis zum Erfolg. Marc von Rijsselberghe, Bauer auf Texel hatte die Idee auf der Nordseeinsel Salzgemüse anzubauen.
    Nach zahlreichen Versuchen mit Dutzenden Kartoffelsorten ist es gelungen. Die Biokartoffel ist auf dem Markt. Doch nicht nur Kartoffeln wachsen auf Boden salzdurchtränktem Grund. 120 Gewächse sind erfolgreich aus dem salzigen Boden geschossen. Jean Pierre ist Mitarbeiter des Projekts Zilt Proefbedrijf Texel:
    "Die Erdbeeren schmecken wie normale Erdbeeren - auch süß - und sie sehen auch genauso aus!"
    Suche nach salztoleranten Pflanzen
    Ein Hektar Land zwischen Nordseeküste und Binnenland der Insel ist das Versuchsfeld. Es ist aufgeteilt in zahlreiche verschiedene Parzellen. Über Drainagen wird der Boden mit Salzwasser angereichert in sieben verschiedenen Prozentstufen. So gibt es Parzellen, denen nur sechs Prozent Salzwasser zugefügt werden, bis hin zu 20 Prozent. Selbst da wachsen noch Kartoffeln, allerdings sind sie sehr klein. Jean Pierre van den Biggelaar erklärt:
    "Das Interessante ist, dass wir es schön finden, wenn die Pflanzen totgehen, weil dann wissen wir, dass sie nicht salztolerant sind. Das ist eigentlich, was wir wissen wollen, ob Pflanzen salztolerant sind, weil weltweit ist etwa eine Milliarde Quadratmeter Boden mit Salz schmutzig geworden.
    Jeder kennt Bangladesh zum Beispiel. Die Deltas dort, das Meer kommt hoch dort und das Land wird mit Wasser überspült."
    Ein Ingenieur hat eigens für die Versuche auf Texel eine Maschine entwickelt, die die exakte Menge Salzwasser in den Boden bringt. Außerdem wird über Sensoren ständig geprüft, wie der genaue Salzgehalt pro Parzelle ist, denn er kann sich etwa durch Regen verändern.
    "Niemand isst etwas, was ihm nicht schmeckt"
    Arjen de Vos ist leitender Wissenschaftler und zeigt die Versuchsfelder:
    "Wir haben einen Test mit Möhren gemacht und sie mit hoch konzentriertem Salzwasser gezogen: Weil wenn sie keinem schmecken, bringt es ja nichts, denn niemand isst etwas, was ihm nicht schmeckt.
    Aber wir haben herausgefunden, dass Möhren, die mit Salzwasser wachsen sogar mehr Zucker als andere produzieren , das heißt sie schmecken sogar noch süßer, wenn man sie mit Salzwasser zieht."
    Er kritisiert, dass viele Studien der Hochschulen sich auf alte Zahlen und Daten beziehen und die Forschung quasi stehengeblieben ist.
    "Hochschulen benutzen alte Daten, sie haben gute Modelle entwickelt, aber mit Daten die 60-70 Jahre alt sind! Was nützt ein gutes Modell, wenn die Daten alt sind? Wir haben große Unterschiede zu alten Untersuchungen gefunden: Pflanzen, die danach nicht salztolerant waren sind salztolerant und umgekehrt, als salztolerante deklarierte Pflanzen reagieren wirklich sensibel auf Salz. Es gibt Riesenunterschiede zu diesen alten Studien. Wir haben mit neuen Sorten gearbeitet, die Bauern jetzt aktuell nutzen! Vielleicht ist es die Klimazone, vielleicht auch die Befruchtungsstrategie, wir wissen nicht woher die Unterschiede kommen, aber wir haben eine Menge davon gefunden."
    Von Texel nach Pakistan
    Die Versuche in Texel erregen viel Aufsehen - und das weltweit. Zum Beispiel in Pakistan. Dort könnte Boden genutzt werden, obwohl das Grundwasser in der Region salzig ist. Zunächst entsteht am Küstenort Sindh auf einem Hektar ein Versuchsfeld. Hunderte Hektar sollen folgen. Jean Pierre van den Biggelaar:
    "Wir haben jetzt ein Projekt in Pakistan, im Inland - haben wir 5.000 Kilo Kartoffeln hingeschickt und wir wollen schauen, ob die Kartoffeln da wachsen und wir wollen versuchen, die dort auch im Boden groß zu machen. Und wenn das funktioniert haben die Leute auch wieder einen Grund da zu bleiben. Wenn man nicht bauen kann, gehen die Leute weg, und dann können die Leute dort wieder Kartoffeln bauen."
    Aus aller Welt bekommen die Texeler Anfragen, große Firmen wollen sich den Anbau in Übersee patentieren lassen. Der Ziltproefbedrijf will einfach nur, dass seine Ideen helfen, den Welthunger zu lindern. Und schreibt mit neuen Nahrungsmitteln Erfolge. In hunderten Gastronomiebetrieben werden die erfolgreichen Produkte schon genutzt, zum Beispiel Meereskohl, oder die neu gezüchtete Strandrübe. Und eben auch die zilte Kartoffel, entwickelt in Texel, gedüngt mit Meeresalgen. In niederländischen Läden gehört sie zum Sortiment.