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Ahmed Raschid Heiliger Krieg am Hindukusch - der Kampf um Macht und Glauben in Zentralasien

Nun noch ein Blick weit jenseits des Ural - ins ehemalige sowjetische Mittelasien. Lange lag diese Weltgegend außerhalb der Wahrnehmung vornehmlich eurozentristisch sozialisierter Zeitgenossen. Spätestens der 11. September aber und danach die Anti-Terror-Maßnahmen gegen das Taliban-Regime in Aghanistan haben die Anrainer-Staaten Usbekistan, Tadshikistan, Kyrgistan und Kasachstan schlagartig ins Zentrum des Interesses rücken lassen. Auch wenn es dort im Augenblick gerade mal ruhiger zuzugehen scheint - unter der Oberfläche gärt es in diesen oft geradezu feudal-autokratisch regierten neuen Verbündeten des Westens. - Ahmed Rashid, Korrespondent der britischen Tageszeitung "Daily Telegraph", hat sich genau für dieses Thema interessiert, für den radikalen Islamismus - als verhältnismäßig neues Phänomen in dieser ansonsten auf spezifische Weise postsowjetisch geprägten Region: "Heiliger Krieg am Hindukusch - der Kampf um Macht und Glauben in Zentralasien", so der Titel seines Buches.

Klaus Belde |
    1993 berichtete ich über den Bürgerkrieg in Tadschikistan. Als ich im Garten eines bekannten tadschikischen Journalisten in Duschanbe ein gemütliches sonntägliches Mittagessen genoss, brach an beiden Enden der Straße ein Feuergefecht los, das sich schließlich in einen Kampf zwischen drei Parteien entwickelte. Während Geschosse in die Sträucher pfiffen, wusste niemand, wer wen tötete oder warum. Aber das Schockierende für mich bestand darin, dass meine Gastgeber - ein Dichter, ein Romancier und ein Journalist - die Crème der liberalen tadschikischen Intelligenz - plötzlich Pistolen zogen, die sie in ihren Taschen versteckt hatten, und zurück feuerten. Wir saßen sechs Stunden lang in dem Garten fest, aber ich fand niemals heraus, wer gegen wen kämpfte, obwohl die Straße mit Leichen übersät war.

    Mit dieser Episode führt Ahmed Rashid uns mitten hinein in die turbulente politische Welt Zentralasiens, das Thema seines jüngsten Buches. Der im pakistanischen Lahore lebende Autor ist unter den international bekannten Journalisten der wohl beste Kenner dieser Region. Damit unterscheidet er sich wohltuend von den Scharen selbsternannter Experten, die heute Talkshows und Nachrichtenkanäle bevölkern. Für wirkliche Fachleute wie Rashid schlägt immer dann die Stunde, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Sie dürfen erklären, warum das Kind in den Brunnen fallen musste, obwohl sie seit langem davor gewarnt haben. Auf die Gefährlichkeit des Taliban-Regimes und dessen enge Verflechtung mit Osama Bin Ladens Terror-Netzwerk Al Kaida hatte Rashid in einem Buch berichtet, das schon ein Jahr vor den Anschlägen von New York und Washington erschien und heute ein internationaler Bestseller ist. Ähnlich prophetisch erscheint uns, was der Autor über die Lage in Afghanistans nördlichen Nachbarstaaten zu sagen hat. Auch diesmal besteht jedoch die Gefahr, dass seine Warnung ungehört verhallt:

    Das Ausbleiben von Wirtschaftsreformen und wirtschaftlicher Entwicklung, das Fehlen von demokratischen Strukturen und Meinungsfreiheit, die zentralisierte Kontrollpraxis einer noch der Sowjetzeit verhafteten Bürokratie und die sich ausbreitenden Krebsgeschwüre der Korruption und des öffentlich zur Schau gestellten Zynismus haben diese Länder zunehmend destabilisiert. Die neue Generation ist schlecht ausgebildet und hungrig. Wie lange noch wird sie sich mit dem sinkenden Lebensstandard und dem Fehlen elementarster Freiheitsrechte zufrieden geben? Wenn auf die Forderungen der jungen Generation nicht eingegangen wird, scheint eine soziale und politische Explosion unvermeidlich.

    Unter Zentralasien versteht Rashid die fünf früheren mittelasiatischen Sowjet-Republiken, von Turkmenistan im Westen über Tadschikistan, Usbekistan und Kyrgystan bis hin in zum am weitesten östlich gelegenen Kasachstan. Gemeinsam sind diesen alten Anrainern der Seidenstraße Geschichte und islamische Kultur. Trennend wirken dagegen ethnische und sprachliche Unterschiede. Die beiden größten Bevölkerungsgruppen sind die nomadischen Turkvölker und die sesshaften, mit den Persern verwandten Tadschiken. Stalins willkürliche Grenzziehungen haben diese Gegensätze noch verschärft. Reiche Öl- und Gasvorkommen boten jedoch zumindest Turkmenistan und Kasachstan ausgesprochen gute Startchancen, als die Region Anfang der neunziger Jahre in die Unabhängigkeit entlassen wurde. Heute, zehn Jahre später, ist das Experiment gründlich gescheitert. Schuld daran ist vor allem das lokale Führungspersonal, das noch aus der Sowjetzeit stammt. Diese Politker sahen ihr höchstes Ziel stets darin, selbst an der Macht zu bleiben. Statt sich mit den Nachbarländern zusammen zu schließen, förderten sie Rivalität und Misstrauen. Im Inneren verhinderten sie wirtschaftliche Reformen und verursachten damit eine umfassende wirtschaftliche und soziale Misere. Jede Art von Opposition wurde brutal unterdrückt, auch der gemäßigte Islam. Dadurch entstand eine Radikalisierung und die Gefahr bewaffneter Konflikte:

    Die wachsende Beliebtheit des militanten Islamismus in Zentralasien ist in erster Linie auf die repressive Haltung der Regierungen zurückzuführen. Diese Regierungen lehnen selbst die kleinsten demokratischen Reformen ab und dulden keine Opposition. Angesichts der steigenden Armut und Arbeitslosigkeit sind die hoch verschuldeten Gesellschaften Zentralasiens anfällig für jede Organisation oder Partei, die Hoffnung auf ein besseres Leben verspricht.

    Usbekistans Staatschef Islam Karimov zeichnet sich durch besondere Unduldsamkeit und Brutalität aus. In der Islamischen Bewegung Usbekistans, kurz IMU, erwuchs ihm ein gefährlicher Gegner. Seit Ende der neunziger Jahre hielt die IMU mit Überfällen und Geiselnahmen nicht nur Usbekistan selbst in Atem, sondern auch die Nachbarländer Kyrgystan und Tadschikistan. Mit den Taliban und dem Al-Kaida-Netzwerk arbeitete die Gruppe eng zusammen. Als wichtige Finanzquelle diente der gemeinsam betriebene Drogenhandel. Einen prominenten Platz in Rashids Chronik des umfassenden Versagens nehmen auch die ausländischen Mächte ein - allen voran die auf ihren Einfluss bedachten Russen und die zunächst nur an den Öl- und Gasvorkommen der Region interessierten Amerikaner. Die beste Figur unter den islamischen Ländern macht ausgerechnet der vielgeschmähte Iran. Als Schutzmacht der von sunnitischer Intoleranz bedrohten Schiiten verfolgte das Regime in Teheran eine bemerkenswert ausgewogene und besonnene Politik. Der 11. September markiert auch für die Staaten Zentralasiens einen wichtigen Einschnitt. Schon Ende der neunziger Jahre hatten die USA begonnen, einzelne Regierungen beim Kampf gegen islamische Extremisten zu unterstützen. Allerdings machte die Regierung Clinton den Fehler, ihre Militärhilfe nicht an klare politische Bedingungen zu knüpfen. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center hat sich dieser Trend verstärkt. In mehreren zentralasiatischen Staaten unterhalten die USA und ihre Verbündeten seit Beginn des neuen Afghanistan-Krieges Luftstützpunkte. Die dortigen Regime sind die eigentlichen Gewinner des Anti-Terror-Krieges. Denn während sie ungeahnte Mengen militärischer und wirtschaftlicher Unterstützung erhalten, wird von ihnen weniger Reform-Enthusiasmus erwartet denn je. Ihr Repressionsapparat läuft derweil auf Hochtouren.

    Usbekistan (hat) keinen Moment gezögert, die staatliche Unterdrückung sämtlicher islamischer Aktivitäten zu forcieren, ob sie nun friedlich oder gewalttätig waren. Das Regime nutzte die Gunst der Stunde und brachte alle derartige Aktivitäten unmittelbar mit Osama Bin Laden in Verbindung. Die westlichen Bündnispartner konnten deshalb schwerlich gegen die Repressalien Einspruch erheben.

    Das größte Geschenk für Usbekistans Staatschef Karimov bestand darin, dass offenbar die gesamte Führung der IMU bei amerikanischen Bombenangriffen in Afghanistan ums Leben kam. Rashid konnte diese Information nicht mehr in sein Buch aufnehmen. Er hofft darauf, dass eine dauerhafte Friedenslösung für Afghanistan sich auch günstig auf die nördlichen Nachbarn auswirken wird. Zugleich rechnet er damit, dass die USA von den Regierungen dieser Länder endlich verlangen könnten, internationale Standards in Sachen Demokratie, wirtschaftlicher Entwicklung und sozialer Verantwortung einzuhalten. Die Erschließung der Ölreserven und der Bau neuer Pipelines erscheint ihm als idealer Weg, die zentralasiatischen Länder Anschluss an die internationale Entwicklung finden zu lassen. Er schließt seine Analyse mit den Worten:

    Die eigentlichen Krisenherde in Zentralasien sind die Staaten, nicht die Aufständischen. Wenn die internationale Gemeinschaft dies endlich erkennt, dann waren die Aussichten für einen wirklichen Frieden in Zentralasien nie besser.

    Leider scheint es jedoch, als seien die USA und ihre Verbündeten von dieser Erkenntnis noch sehr weit entfernt.

    Ahmed Raschid: "Heiliger Krieg am Hindukusch", erschienen im Droemer Verlag, München, 335 Seiten - 19,90 Euro