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Ahnenforschung im Genlabor

Biologie. – Die Vorfahren vieler Völker waren quasi Nomaden, die im Laufe der Zeit weit von ihrer ursprünglichen Heimat weg zogen und an neuen Gestaden siedelten. Die Spuren der zahlreichen Völkerwanderungen sind allerdings oft völlig verweht und lassen die Wege der Vorväter - wenn überhaupt - nur erahnen. Aus der Biologie erhalten Geschichtsforscher allerdings seit einigen Jahren neue Hinweise: Denn auch im Erbgut heutiger Menschen finden sich Spuren lange zurückliegender Völkerwanderungen. Auf der Jahrestagung der Deutschen Humangenetiker, die noch bis Mittwoch ein Leipzig stattfindet, stellen die ''historischen Genetiker'' ihre Ergebnisse vor.

    Einige Fotos aus der Südsee mit freundlichen Gesichtern der einheimischen Bevölkerung schmücken das modern eingerichtete Molekularbiologie-Labor von Mark Stoneking, Genetik-Professor am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig: "In Neu Guinea untersuchten wir die genetische Vielfalt der Bevölkerung, um mehr über ihre Herkunft zu erfahren. So haben diese Einheimischen aus West-Neu-Guinea, beispielsweise kaum Kontakte mit der Außenwelt." Mit einer schlichten Einweg-Zahnbürste entnahmen Stoneking und seine Kollegen auf der Exkursion ihre Genproben von der Innenseite der Wange. Zurück im Leipziger Labor wurden dann die Proben untersucht. Erste Ergebnisse der Erbgutvergleiche bestätigten eine alte Theorie der Historiker, dass der gesamte Südseeraum vor etwa 5 000 Jahren von Ostasien aus in relativ kurzer Zeit besiedelt wurde. Dabei konzentrierten sich die Forscher auf einen bestimmten, unabhängigen Teil des Erbschatzes, nämlich jene Gene der Kraftwerke jeder Zelle, der Mitochondrien. "Computeranalysen belegen, dass diese Erbanlagen sich von Taiwan kommend sehr schnell über den Pazifik verbreiteten", so Stoneking. Damit wurde die so genannte Schnellzug-Theorie der Historiker zunächst bestätigt.

    Bei der anschließenden Analyse der männlichen Ypsilon-Chromosomen erhielt das Team dann aber leicht abweichende Ergebnisse. Demnach legten die aus Taiwan stammenden Polynesier in Neu-Guinea eine Zwischenstation ein, bevor sie dann immer weiter in Richtung Osten in den pazifischen Raum vordrangen: "Statt im Eilverfahren den Pazifik zu erobern, haben sich die Ostasiaten viele Jahrhunderte niedergelassen, bevor sie zur nächsten Insel aufbrachen. Dabei kam es vor allem im Raum Indonesien und den Philippinen zur langsamen Vermischung mit dort bereits ansässigen Bewohnern", resümiert der Leipziger Bio-Archäologe. So sei der pazifische Raum also doch nicht im Schnellzug, sondern quasi gemächlich im langsamen Boot besiedelt worden. Stoneking und seine Kollegen brachten mit ihrer Arbeit Licht in eine Diskussion, die bereits seit Jahrzehnten kontrovers erörtert wurde.

    Und auch eine zweite historische Streitfrage könnte jetzt von den Leipziger Genetikern geklärt werden. So leben im Kaukasus drei sehr unterschiedliche Völker mit drei sehr stark voneinander abweichenden Sprachen auf engem Raum zusammen: Die christlichen Armenier, die türkisch-muslimischen Aserbaidschaner sowie die Kaukasier, die weder zur indoeuropäischen noch zur türkisch-arabischen Sprachfamilie gehören. Bislang wurde angenommen, dass die drei Gruppen vor Jahrtausenden im Kaukasus aufeinander trafen, was bis heute zu Spannungen führt. Doch Stoneking kam zu anderen, überraschenden Schlüssen: "Die kulturell sehr unterschiedlichen Armenier und Aserbaidschaner sind sehr eng miteinander verwandt, obwohl die Aserbaidschaner andererseits den Türken sprachlich und kulturell nahe stehen." Demnach seien die Sprachen und die verschiedenen Kulturen durch äußere Einflüsse in den Kaukasus gekommen und trafen dort auf eine Urbevölkerung, die dort heute noch lebe. In den letzten 2000 Jahren hätten sich Sprache und Kultur dann auseinander entwickelt - in einem Fall zum Armenischen, im anderen zum Aserbaidschanischen. Genetisch gesehen seien die verfeindeten Nachbarn im Kaukasus ein Volk, so das Ergebnis der Leipziger Genforscher. Möglicherweise, so hoffen die Wissenschaftler, trage dieses Wissen um die gemeinsamen Wurzeln ja sogar zum Frieden in der Region bei.

    [Quelle: Michael Lange]