Freitag, 29. März 2024

Archiv

Ai Weiwei
Der Stardissident in New York

Er zeigt dem Platz des Himmlischen Friedens den Stinkefinger - und das muss man nicht metaphorisch sehen. Ai Weiwei macht Kunst, um die Missstände in China zu verändern. Rund 50 Beispiele dafür zeigt jetzt das Brooklyn Museum.

Von Sacha Verna | 22.04.2014
    Ai Weiwei versteht sich auf Massen. Auf Massen von Sonnenblumenkernen zum Beispiel, mit denen er 2010 die Turbinenhalle der Tate Modern in London füllte. Auf Massen von Porzellankrabben, die zurzeit Teil der großen Ai Weiwei-Schau im Berliner Martin-Gropius-Bau sind. Und auf Massen von Besuchern, die im Westen überallhin strömen, wo das Werk des Stardissidenten aus China gezeigt wird.
    "Ai Weiweis Werk vermittelt den Leuten außerhalb Chinas die Zusammenhänge dessen, was in China geschieht. Es fördert unser Bewusstsein dafür, was die Menschen dort bewegt. Deshalb findet Ai Weiweis Werk ein so starkes Echo im Westen." Sharon Matt Atkins hat „According to What?" im Brooklyn Museum organisiert. Die Ausstellung umfasst fünfzig Installationen, Videos und Fotografien, von einem Drahtkleiderbügel, den Ai Weiwei 1983 zu Marcel Duchamps Profil verbog, bis zu mehreren Türmen aus Fahrrädern, die der 56-jährige Künstler speziell für das Museum entworfen hat.
    Besucher laufen über die Installation "Sonnenblumenkerne" von Ai Weiwei in der Londoner Tate Modern.
    Besucher laufen über die Installation "Sonnenblumenkerne" von Ai Weiwei in der Londoner Tate Modern. (AP)
    "Ai Weiwei stand besonders unter dem Einfluss von Marcel Duchamps, Jasper Johns und Andy Warhol, als er in den Achtziger- und Neunzigerjahren in New York lebte, auch dem der Minimal Art. Diese Ideen hat er auf interessante und provokative Weise mit traditionellem chinesischen Tischlerhandwerk kombiniert, mit antiken Stühlen und Vasen ..."
    Neben den erwähnten chinesischen Vasen aus diversen Dynastien, die Ai Weiwei wie üblich verunziert oder in Scherben präsentiert, sind Häuser aus gepressten Teeblättern zu sehen, eine Landkarte aus dem Holz uralter chinesischer Tempel, sowie zwei Porzellantöpfe, in denen Tausende rosa Süßwasserperlen schimmern wie Bonbons bei einem Aktionsangebot.
    "Das Werk funktioniert auf verschiedenen Ebenen. Oft ist es sehr persönlich und bezieht sich auf Erinnerungen und Erfahrungen Ai Weiweis. Aber es hat auch sozialpolitische Ebenen."
    Aufbereitet für den Westen
    Die sozialpolitische Ebene von Ai Weiweis Werk wird bei der riesigen Schlange aus Rucksäcken an einer Raumdecke deutlich, die sich in den eigenen Schwanz beißt und an die vielen Kinder erinnern soll, die 2008 beim Erdbeben in Sichuan unter den Trümmern miserabel gebauter Schulhäuser begraben wurden. Auf einem Foto zeigt Ai Weiwei dem Platz des Himmlischen Friedens den Stinkefinger. Und in einem einstündigen Film dokumentiert er die Leiden von Liu Ximei, der bei einer Bluttransfusion in einem chinesischen Armenkrankenhaus mit dem AIDS-Virus infiziert wurde.
    "Es ist schwierig, eine Grenze zwischen Ai Weiweis Kunst und seinem Aktivismus zu ziehen. Das eine ist ein notwendiger Bestandteil des anderen. Ai Weiwei glaubt auf jeden Fall daran, dass Kunst Veränderungen bewirken und das Bewusstsein fördern kann."
    Ai Weiwei bereitet die Zu- und Missstände in China für sein westliches Publikum auf. Er macht gesellschaftskritisches Engagement zum musealen Unterhaltungsprogramm. Die Symbolik ist knüppeldick und wirkungsvoll, weil Ai Weiweis Werke vom Betrachter keinen Aktivismus verlangen, sondern lediglich Reaktivismus. Man guckt, findet gut und marschiert von dannen, erleichtert darüber, dass Weltprobleme in Kunstform so wunderbar einfach zu bewältigen und ästhetisch anspruchslos sind.